Die Wege so mancher Herren und Damen sind unergründlich. Dass Olaf Wirths, der aus dem Rheinland kommt und Bambusbrücken in Kolumbien gebaut hat, jetzt eine Brauerei in der Niederlausitz leitet? Und dass Anja Braun, die nach der Wende schnurstracks ganz weit nach Westen ging, jetzt am Altmarkt in Cottbus eine Craft Beer Bar betreibt? Hätten sie beide auch nicht gedacht. Ist aber spannend zu hören, wie es dazu, zum Labyrinth, der Bar, und dem Labieratorium, der Craft Brewery, kam. Und eine schöne, deutsch-deutsche Liebesgeschichte ist es außerdem.
(Text: Nina Anika Klotz)
Deutschland, Ende der 1980er Jahre. Ganz, ganz im Osten der DDR beginnt Anja Braun eine Ausbildung zur Köchin. War die Idee ihrer Mutter, eine bessere hatte sie selbst auch nicht. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie gern Abitur gemacht und studiert. Aber in der DDR ging es ja bekanntlich nie nach dem Willen Einzelner. Wer aus einem Jahrgang zum Abi geschickt wurde, bestimmten andere. Anja war nicht dabei. Die Kochlehre ist die schlimmste Zeit ihres Lebens. Sie träumt heute noch schlecht davon.
Zur selben Zeit packt ganz, ganz im Westen der BRD Olaf Wirths seine Koffer. Klar hatte er halt erst einmal Abi gemacht, das mit dem Studieren schiebt er aber auf unbestimmte Zeit auf. Lieber will er mit den Händen arbeiten – und vor allem reisen will er. Er macht eine Tischlerlehre und geht auf die Walz. Walz um die Welt. Europa, Südamerika, Kanada, er baut Bambusbrücken und Blockhäuser. Es ist mit die beste Zeit seines Lebens.
Als 1989 die Mauer fällt, ändert das für Anja alles. Die junge Frau zieht in den Westen. So weit, wie es nur geht. Sie macht das Abitur nach und beginnt an der Universität von Köln Rechtswissenschaften zu studieren. Nebenbei jobbt sie bei einer großen Versicherung. Und da schlappte eines Tages dieser komische Kauz in Zimmermannshosen in die Kantine.
Aus der Versicherung in die Kölschkneipe
Eigentlich hatte Olaf Wirths bei seiner Rückkehr schon die Idee für die Gründung eines Unternehmens im Gepäck. Mehr oder weniger pro forma schreibt er sich dennoch für Bauingenieurwesen an der Kölner Uni ein und weil er noch ein bisschen Geld braucht, ehe er mit seinem Start-Up (Dreiräder als fahrende Litfasssäulen) loslegen kann, heuert auch er bei dieser Versicherung an.
Anja und Olaf verabreden sich auf ein Bier, aus dem werden sehr viele und was vom Kölsch-Rausch bleibt, ist eine heute vierköpfige Familie und ein erstaunliches Unternehmerpaar, das seine bereits dritte Firma aus dem Nichts schafft und zum Erfolg führt. Und dieses Mal geht es um Bier. 2013 gründen Anja Braun und Olaf Wirths das Labieratorium, die erste Craft Beer und überhaupt bislang einzige Brauerei in Cottbus.
Labieratorium, Labyrinth, Cottbuser Brauerei
Zu ihrem rasch wachsenden Bierreich des Ostens gehören das Labyrinth, eine Craft Beer Bar in absoluter A-Lage, direkt am Altmarkt im Herzen der Stadt, eine Shop-Büro-und-Lagerhalle, bald ein kleiner Biergarten und vor allen Dingen eine ganz neu errichtete Brauerei mit 10-Hektoliter Sudhaus und Gär- und Lagerkapazität für 2.500 Hl Bier im Jahr auf dem Gelände einer ehemaligen Keksfabrik. Sieben Angestellte arbeiten mittlerweile in und für das Labieratorium, Brauer, Logistiker, Außendienstler. Und vorneweg: Anja Braun und Olaf Wirths, Biersommeliere und rundum unerschrockene Macher.
Im Labieratorium experimentieren sie viel mit Wahnsinn
Leidenschaft und Wahnsinn sind Worte, die fallen, wenn die beiden über ihr Leben als Gründer sprechen. Damit hatten sie noch als Studenten ein Velo-Taxi-Unternehmen in Köln aufgebaut, das damals für einiges Aufsehen gesorgt hat. Weil die Idee so neu war. Und so gut. Weil ihre Räder auf der Domplatte halten durften und etliche Touristen den Rhein entlangfuhren. Dabei haben die zwei viel über den Wert guten Marketings gelernt. Beim Anruf eines VOX-Reporters einfach auflegen, weil man von den vielen Bieren des Vorabends noch zu müde war? Das würde Olaf Wirths heute nicht noch mal passieren, sagt er lachend.
„Aber irgendwie wollten wir damals mit Perpedalo noch nicht so richtige Unternehmer sein“, erzählt Anja Braun. Dafür waren sie zu jung, sie wollten ihre Freiheit nicht aufgeben, gemeinsam lange Reisen machen – und so verkauften sie das Business schließlich.
2004 starten sie dann ihr zweites, gemeinsames Projekt: In Waldröl, Olafs Heimatort, bauen sie eine ehemaliges Kasernengelände zu einem großen Freizeitpark um, einschließlich Umweltpädagogikzentrum, Baumwipfelpfad und Jugendherberge mit Globalen Dörfern und Baumhäusern. Am liebsten hätte Olaf auch hier schon eine Brauerei oder ein Brewpub mit verortet, aber das passt natürlich zum unschuldig jungen Alter der Besucher nicht so. Also bleibt Bier zunächst ein Hobby, das er seit seiner Walz mal mehr mal weniger ernst verfolgt. Klar trinkt er es gern. Längst hat er aber auch erkannt, welche große, kulturelle Bedeutung Bier rund um den Globus hat und welches Potential in dem Thema steckt. Wenn die Zeit es zulässt, braut er auch selbst, schaut sich Brauereien von innen an und lernt aus den Gesprächen mit Braumeistern.
Aus dem fernen Osten in den wilden Osten
2012 verkaufen die beiden auch ihren Freizeitpark Panarbora und nehmen sich eine Auszeit in Südostasien, um zu überlegen, was es denn als nächstes sein darf. Als die Bier-Idee sich konkretisierte, kommt schnell auch der Gedanke, damit in den Osten zu gehen. Der Westen mit seinem Kölsch- und Alt-Kult, der ist da schon gut aufgestellt, aber der Osten, Cottbus, Anjas Heimatstadt – biertechnisch gesehen ist das eine Wüste. Niemandsland. Nichts, keine Brauerei – aber eine Region im größtmöglichen Wandel.
Zukunftsplaner sehen vor, die Niederlausitz, das große Braunkohlegebiet um Cottbus herum, zu einem gigantischen und strahlend-schönen, grünen Naherholungsgebiet zu machen. So arbeitet man etwa schon seit Jahren am größten, künstlichen See Deutschlands, dem Ostsee, der in ehemaligen Tagebaukratern entsteht. Hier tut sich etwas. Muss auch, irgendwie. Und es macht schon Sinn, eine der ganz seltenen Brauereineugründungen Brandenburgs genau hier geschehen zu lassen.
Labieratorium: Regionaler Marktführer und national vorn dabei
„Wir haben schon den Anspruch, die wichtigste Brauerei in der Region zu sein“, sagt Olaf Wirths. Regionaler Marktführer, eigentlich. Er lacht. Man muss sich große Ziele setzen, einerseits. Andererseits: Gibt ja sonst keinen hier, der sich darum bewirbt. „Zugleich wollen wir aber auch national wahrgenommen werden – gern als die Kleinen aus dem wilden Osten.“ Klar, anders funktioniert Craft Beer außerhalb der Metropolen ja auch nicht, die Flaschen müssen in die Craft Beer Shops in ganz Deutschland und ihre Fans in der Ferne finden. Gut, dass die neue Brauerei eine stattliche Rampe direkt bei der Abfüllanlage hat, so dass die Labieratorium-Biere direkt auf dem Laster und ab nach Nord, Süd und Westen gefahren werden können.
Mit ihrem allerersten Bier wollten Anja und Olaf die Cottbusser selbst aber erst einmal ins Herz treffen, den Heimatnerv kitzeln. Und das ist gelungen, mit einem eigentlich ziemlich anspruchsvollen und komplexen Gebräu, dem „1385“ (Jahr der ersten urkundlichen Erwähnung eines Bieres aus, jawohl, Cottbus): obergärig, leichte Rauchnote und Citrus. Ein altes, nach Gruitrecht gebrautes Bier ins Reinheitsgebot von heute übersetzt. Schräg – aber die ersten 1.000 Liter, die sie auf dem Marktplatz verkaufen, werden ihnen binnen einer Stunde aus den Händen gerissen. „Danach mussten wir schnell weg, weil immer noch mehr Leute ankamen, mehr Bier wollten und der ein oder andere natürlich enttäuscht war“, erzählen die beiden.
Für das zweite „in groß“ gebraute Bier, ein IPA namens „F60 paranoid IPA“, mietet sich Olaf Wirths erstmals im Brauhaus Binkert in Breitengüßbach ein (wo u.a. auch Kuehn Kunz Rosen Biere gebraut werden). Ein hervorragender Gypsie-Host, wie Wirths betont. Bald braut er einige seiner Biere dort, während er in Cottbus einen Standort für seine Brauerei sucht.
Das Sortiment wächst relativ schnell auf rund zehn Biere, die allzeit verfügbar sind – alle erkennbar an dem Pan, dem halb-Mann-halb-Bock-Fabelwesen, der sowohl mit Ackerbau als auch dem altgriechischen Rausch zu tun hat. Passt beides, fanden Olaf und Anja und machten ihn zu ihrem Markenzeichen.
Wo bleibt das Kölsch?
Rotbier, Kellerbier, Porter, Pale Ale und Weizen haben die Cottbuser Labieranten drauf. Aber wo eigentlich bleibt ihr Kölsch? Oder vielmehr ihr Wieß (weil dann ja außerhalb Kölns gebraut und geschützte Herkunftsbezeichung und so weiter…). Schließlich fing die Geschichte von Anja und Olaf irgendwie damit an. „Ja, irgendwann sollten wir das vielleicht…“, überlegt Olaf, aber seine Frau schüttelt entschieden den Kopf: „Nein, das macht keinen Sinn. Kölsch ist ja mehr als das Bier im Glas, das ist die Trink- und Kneipenkultur drumherum.“ Kölsch trinken kann man nur in Köln. Im wilden Osten trinken wir anders.
(Nina Anika Klotz)