Giesinger Bräu

GIESINGER BRÄU: Mia san Visionäre

Nina Anika Klotz

Von der „dahauten Garage“ zur 5-Millionen-Euro-Brauerei: Steffen Marx denkt gerne groß. Bisher ist der Chef und Gründer von Giesinger Bräu in München damit auch gut gefahren

 

Der Moment, in dem man einen lockeren Scherz machen will, der Gegenüber aber bierernst bleibt.
„Und, wann bewirbst‘ dich für ein Wiesenzelt?“
„So in fünf, sechs Jahren.“

Vielleicht auch erst ein bisschen später. Im Moment habe das keine Priorität, aber völlige Utopie ist die Idee für Steffen Marx auch nicht. Klar kann er sich das vorstellen, ein „Giesinger Bräu Zelt“ auf der Wiesn. Warum nicht? Der Wiesnchef, Oberbürgermeister Seppi Schmid, sei ein großer Unterstützer seiner Unternehmung. An der Kapazität müsse man halt noch arbeiten. „Wenn man ein kleines Wiesnzelt beliefert, muss man 1.000 Hektoliter Bier in zwei Wochen hinstellen. Das schaffen wir nicht.“ Noch nicht.

Giesinger Bräu

Lagertanks in der Giesinger Brauerei packen noch kein Oktoberfest. (Foto: StP)

Steffen Marx ist ein Mann der groß denkt. Aus Erfahrung. Als er vor zehn Jahren in einer Untergiesinger Garage ein winziges Brauprojekt namens „Labieratorium“ gestartet hat und damals in München quasi unverkäufliche Fruchtbiere gebraut hat, war die Vorstellung, 2016 in einem 30-Hektoliter-Sudhaus zu stehen, elf Brauereimitarbeiter zu haben und 11.000 Hektoliter Bier im Jahr zu verkaufen, mindestens ebenso verrückt gewesen, wie heute der Gedanke an ein Giesinger-Wiesnzelt.

Steffen Marx, Wahl-Ur-Bayer

Steffen Marx schenkt sich ein Pils ein und nimmt an einem Tisch in seiner Braugaststätte Platz. Es ist Mittwochnachmittag, irgendeine schräge Zeit zwischen Mittag- und Abendessen, irgendein schräges Wetter zwischen Biergarten und lieber nicht draußen sitzen – und trotzdem ist im Giesinger was los. „Immer“, sagt der Chef zufrieden. „In der Regel sind wir auf zwei Wochen im Voraus ausreserviert.“

Für gewöhnlich schmeißt Steffen Marx sich für Pressetermine in eine Sonntagstracht. Oder zumindest kennt man ihn so von Bildern in der Zeitung: Grüne Samtweste, Janker, Strickjacke. Heute hat der Bräu allerdings T-Shirt und Gummistiefel an. Heimatfolklore trägt er trotzdem – unter der Haut. Auf den einen Arm hat Steffen Marx einen Maibaum tätowiert, mit Hopfen und Gerste, natürlich, auf den anderen die Giesinger Heilig-Kreuz-Kirche, das Logo von Giesinger Bräu. Ein Urbayer, nimmt man an. Stolzmünchner. Wie sonst auch der Giesinger Bräu Slogan „Mia san Bier“?

Giesinger Bräu

Die Kirche auf Steffen Marxs Oberarm kann man aus den Fenstern der Brauerei (fast) sehen. (Foto: StP)

 

Dabei kommt Steffen Marx aus Mecklenburg-Vorpommern. Und bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr hat der Preuße keinen Schluck Alkohol getrunken. „Hat mich nicht interessiert“, sagt er. Nach dem Abi geht er zur Bundeswehr. Da hat sich seine Haltung urplötzlich verändert.

Steffen Marx entscheidet sich für eine Offizierslaufbahn, kommt 1999 für ein Studium an der Bundeswehr-Uni in Neubiberg bei München nach Bayern. „Die ersten zwei Jahre waren hart“, sagt er, aber dann fühlte er sich mehr und mehr heimisch im Süden. Heute bayert er sogar ein bisschen. „Und ich habe 30 Kilo zugenommen, seit ich in Bayern bin“, sagt er.

Brauen lernt man beim Brauen

Weil sein Vater ein Vermessungsbüro hat, studiert der Sohn in Neubiberg Vermessungswesen. Nach ein paar Semestern wird ihm das aber zu fad. Er wechselt die Uni und beginnt in Weihenstephan Brauwesen zu studieren. Als er merkt, dass er sich da im Grundstudium durch den gleichen Quatsch, Stochastik und so, quälen muss wie in seinem ersten Fach, schmeißt er hin und beginnt learnig by doing. Gemeinsam mit dem Braumeister Tobias Weber startet er 2006 das Giesinger Garagen-Brau-Projekt.

Giesinger Bräu

Brauerei-Insights bei Giesinger Bräu (Foto: StP)

Über die Jahre baut Marx sich eine solide Giesinger Fanbase auf, 2008 gründet er mit der Giesinger Biermanufaktur und Spezialitätenbraugesellschaft mbH ganz offiziell eine Brauerei in der Birkenstraße. Es ist die erste Brauereigründung in München seit Jahren. Marx ist auch deshalb erfolgreich, wie er glaubt, weil sein naturtrübes Kellerbier, das damals schon „Giesinger Erhellung“ hieß, aber doch ein ganz anders Bier war, als es heute ist, teurer war als das Bier der großen Münchner Brauereien. „Wir sind so groß geworden, weil wir rechnen können“, sagt der Brauereichef. „Ein Euro für eine Flasche handgemachtes Bier, das muss doch drin sein.“ War auch drin. „So haben wir unsere Kundschaft gefunden.“

Top-Tipp: Taproom

„Unser einziger Fehler damals war es, keinen Ausschank zu integrieren“, sagt Marx über die Untergiesinger Zeiten. Er könne auch nur jedem, der heute im Craft Beer Bereich startet, empfehlen, einen Taproom zu machen. Muss nichts großes sein, braucht kein Essen, aber frisch gezapftes Bier für den Kunden, das lohne sich. „Da hast du gleich die ersten drei Euro auf der Uhr.“ Wie er ja selbst sagt: Der Mann kann rechnen.

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Braumeister Simon Rossmann zwickelt. Fröhlich. (Foto: StP)

2011 ergibt sich die Chance diesen Fehler auszumerzen: Über einen befreundeten Partyveranstalter kommt Marx an das Gelände auf der Martin-Luther-Straße am Giesinger Berg. „Der wollte hier einen Showroom für Küchen oder Schlüpfer oder was auch immer machen“, erzählt Marx. Aber er hatte eine bessere Idee: Lass hier doch eine größere Brauerei bauen mit Stüberl und allem drum und dran. Planung und Realisierung dauern alles in allem fast drei Jahre.

Giesinger Bräu: 5-Millionen-Projekt mit der Crowd

5 Millionen Euro kostet der Umbau der Location. 10 Prozent kommen aus einer sehr erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne. In relativ kurzer Zeit hat er 1.000 Leute zusammen, die im Schnitt pro Kopf 700 Euro stiften. Dafür bekommen sie 8 Prozent zinsen, die in der Giesinger Wirtschaft verfressen und versoffen werden können. Wenn andere jetzt behaupten, sie würden aktuell die größte, deutsche Craft-Beer-Crowdfunding-Aktion betreiben, stimme das nicht, sagt Marx selbstbewusst. Den Rest der Kosten übernimmt zur Hälfte die Bank, die andere Hälfte sei Eigenkapital. Im November 2014 eröffnet Steffen Marx das neue Giesinger Bräu. Unter den Gästen ist auch der Paulaner-Chef, der Brauereinachbar vom Nockherberg. „Der wollte sich das nicht entgehen lassen“, sagt Marx.

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„Craftiges“ heißt die Craft Beer Linie bei Giesinger Bräu. (Foto: StP)

Wenn man will, kann man Giesinger Bräu als die zweitgrößte unabhängige Brauerei Münchens bezeichnen, nach Augustiner. Oder auch als die erste Craft Beer Brauerei der Landeshauptstadt. „Aber das hört möglicherweise der Crew nicht so gern“, sagt Marx und lacht. Tatsächlich kam „der Kult“, wie Marx sagt, und das Craft Beer in Form der „Giesinger Craftiges“-Bier-Linie mit derzeit vier verschiedenen Bieren (Doppel Alt, Baltic Rye Porter, Wheat Stout und Lemondrop Tripel), erst nach dem Umzug. Zuvor hatte Marx sich auf traditionelle Biersorten konzentriert. Bis heute macht die „Giesinger Erhellung“ unter allen 12 Giesinger Biersorten 75 Prozent seiner Produktion aus. Seiner Produktion, die auch hier in der neuen Brauerei schon wieder an ihre Grenzen stößt. Im Sommer arbeiten sie im Drei-Schicht-Betrieb, aktiven Vertrieb ihrer Biere hätten sie schon lange nicht mehr betrieben. Alles was sie brauen, ist auch so sofort weg. Dabei gehen 20 Prozent seines Bieres in seinem Gasthaus über den Tresen, sagt Marx, der Rest verteilt sich über München und das Umland. Außerhalb dessen vertreiben sie Giesinger bisher nur vereinzelt.

„Einmal müssen wir noch neu bauen“, sagt Steffen Marx. „Wir brauchen dringend eine eigene Abfüllerei.“ Und eine größere Anlage, mehr Lagerkapazitäten. Dann könnten sie Helles und Co. dort produzieren und das Giesinger Sudhaus ausschließlich für die Bierspezialitäten nutzen.
Und sie könnten dann natürlich auch genügen Bier für ihr Wiesnzelt brauen.

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Ein Prosit, ein Prohosit… Steffen Marx und sein Bier. (Foto: StP)