Titel Farmhouse Ale

HISTORICAL BREWING TECHNIQUES: Farmhouse Brewing

Thomas Redders

Das meiste Bier kommt aus großen, hochmodernen Brauereien und wird eher, sagen wir, „klassisch“ gebraut. Nur sehr wenig, dafür aber ganz besonderes Bier entsteht auf kleinen Höfen rund um den Globus auf ausgefallene Art und Weise: das Farmhouse Ale. Besonders verbreitet ist das traditionelle Farmhouse Brewing in Skandinavien, im Baltikum, in Weißrussland und in Russland. Und genau darüber hat Kveik-Experte Lars Marius Garshol in den letzten Jahren ein Buch geschrieben: Historical Brewing Techniques – The Lost Art of Farmhouse Brewing. Eine Ode an fast vergessene Brautechniken. Es geht um Tradition, neue, alte Geschmäcker und Aberglaube. 

Lars Marius Garshol ist eigentlich Software-Entwickler. Ihn aber als Laien im Bierbereich zu bezeichnen, wäre völlig untertrieben und wird ihm nicht annähernd gerecht. Seit inzwischen fast einer Dekade befasst sich der Norweger mit traditionellem Farmhouse Brewing und Kveik-Hefen und ist zu einer weltweit anerkannten Größe auf diesem Gebiet geworden. Darüber hat er mit Wissenschaftlern aus der ganzen Welt Artikel in den renommiertesten Brau-Journals veröffentlicht. „Nebenbei“ – auch das ist maßlos untertrieben – betreibt er seinen eigenen Blog (Larsblog). Gründe genug, endlich sein nächstes Buch zu veröffentlichen.

Das Buch

Startschuss für das Schreiben war der 07. Februar 2017. Aber warum schreibt man ein solches Buch? „Für mich war es wichtig, das über diese Biere zu lernen, worüber ich nichts wusste. Natürlich haben wir die Kveik als Element dessen entdeckt, aber für mich war das immer ein Teil eines größeren Bildes. Ich möchte diese Bierstile und die Tradition am Leben halten. Ich versuche dieser zweiten Hälfte der Welt des Brauens ein Gesicht zu geben. […] Du musst etwas mehr bieten, um wirklich Einfluss zu nehmen„, erläutert Lars. Und sein Buch hat bereits jetzt großen Einfluss auf den Erhalt traditioneller Braukultur.

Hefe Ring

Ein traditioneller Hefe-Ring mit getrockneter Hefe. (Grafik: Lars Marius Garshol, Historical Brewing Techniques – The Lost Art of Farmhouse Brewing)

Auf rund 350 Seiten beschreibt der Norweger nicht nur die Historie und den Brauprozess, sondern liefert auch ausführliche Beschreibungen über die Zutaten, die Bierstile, Rezepte und die soziale Bedeutung des Farmhouse Brewing in Skandinavien, im Baltikum, in Weißrussland und im Westen Russlands. Bis er den ersten Kontakt zu einem Farmhouse Brewer hatte, vergingen Monate: „In der Regel muss du nur den ersten Kontakt in einer Region finden. Diese Person kennt dann weitere.“ Wir haben also einmal stark zusammengefasst, was traditionelles Farmhouse Brewing ausmacht, und uns dafür mit Lars unterhalten.

Die Geschichte des Farmhouse Brewing in Nordeuropa

„Für einen großen Abschnitt unserer Historie war Farmhouse Brewing geläufiger als kommerzielles Brauen, aber dennoch wird dieser gewaltige Zweig der Bierwelt nahezu komplett ignoriert.“ Mit diesem Satz beschreibt Lars den Werdegang des Farmhouse Brewing in einem Satz ziemlich treffend. Noch im letzten Jahrhundert wurde auf vielen Höfen aus eigenen Zutaten Bier gebraut. Das flüssige Brot. Nicht nur gegen den Durst, sondern vielmehr als Energiequelle, um der harten Arbeit Paroli zu bieten.

Farmhouse Ale ist und war also nie ein ganz bestimmter Bierstil. Jeder Hof hatte sein eigenes, über Generationen weitergegebenes Rezept, mit eigenen Zutaten und eigener Hefekultur. Einige Biere hatten Namen, andere nicht. Gebraut wurde mit dem, was es gab. Trotzdem hat Lars eine Definition entwickelt: “ Ursprünglich wurde Farmhouse Ale auf dem Hof gebraut, mit dem Getreide des Hofes, für die Menschen auf dem Hof, in der Farmhouse Brewing Tradition des jeweiligen Ortes.“

Messinstrumente gab es nicht, viel ging nach Gefühl. So sind eigene Einheiten entstanden. Die Hefe muss bei „Milchtemperatur“ zugegeben werden (entspricht etwa 35 bis 37 °C). Viele Braumethoden scheinen heute undenkbar. Und natürlich wurde auch viel schlechtes Bier gebraut. „Da muss es ein paar schreckliche Beispiele gegeben haben“, schreibt Lars. Aber noch heute wird mit den alten Methoden viel gutes Farmhouse Ale gebraut.

Farmhouse Ale heute

Kaum noch jemand baut seine Zutaten selber an, mälzt selbst, züchtet Hefen über Jahrzehnte. Heute sollte der Grundgedanke ein etwas anderer sein. „Der Schlüssel zum Farmhouse Brewing ist wirklich die Tradition, die ungebrochene Kette der ungeschriebenen Braukunde, die von Brauer zu Brauer durch direkte Anweisungen weiter gegeben wurde“, fasst Lars es zusammen. Das mindset ist ein weiterer Schlüssel. Dann geht Farmhouse Ale sogar kommerziell : „Einige der kommerziellen Brauereien, wie Jovaru Alus and Lammin Sahti, haben dieses mindset. Und das ist ihre Welt. Ihre Eltern waren Farmhouse Brewer. Sie kaufen das Malz, sind aber trotzdem Farmhouse Brewer. Sie versuchen immernoch die traditionellen Biere zu brauen.“

Farmhouse Styles

Farmhouse Ales heute: Klassifikation und Herkunftsland. (Grafik: Lars Marius Garshol, Historical Brewing Techniques – The Lost Art of Farmhouse Brewing)

Zutaten – was die Felder hergaben

Braubedarf einfach kaufen, ging ja damals nicht. Also musste fast alles selber hergestellt werden. Getreide – je nach Region vor allem Gerste, Hafer, Roggen oder Weizen – wuchs überall auf den Feldern. Nicht immer die selbe Sorte, aber Gerste war schon damals weit verbreitet. Lars teilt Europa in drei verschiedene historische Getreide-Regionen auf: im Norden wurde hauptsächlich Gerste und Hafer angebaut, im Osten war es Roggen, im Westen und Süden Weizen und vereinzelt Roggen. Hefe wurde über Generationen weitergegeben. Gewürzt wurde mit Pflanzen aus dem Umland.

Das Malz

Wirklich beeindruckend ist aber vielmehr, dass schon vor vielen hundert Jahren gemälzt wurde. Die Methoden hatten natürlich nicht viel mit heutigen Mälzereien zu tun, aber gerade das macht das traditionelle Malz noch heute so besonders. Einige Brauer folgen der Tradition und mälzen noch immer selber. Beim Hornindal Farmhouse Ale Festival 2017 wurden rund 30 Wettbewerbs-Biere eingereicht. Davon waren vier Biere mit selbstgemälztem Farmhouse Malz gebraut. Alle Vier waren unter den fünf Finalisten. Der Mälzungsprozess war regional unterschiedlich. Andere Darren, andere Rohstoffe, andere Temperaturen. Auch ungetrocknetes Malz wurde und wird noch heute verwendet.

Die Hefen

Farmhouse wird oft mit funky Hefen – also eigentlich mit Brettanomyces – in Verbindung gebracht. Es gab erst später die Reinzucht, viel wurde in Holz vergoren und gelagert. Lars hat seit 2014 aber viele Hefen analysieren lassen. Und es gab ein paar Überraschungen.

Was in Norwegen im Zusammenhang mit Farmhouse Brewing über allem steht, ist Kveik. Eine über Generationen weitergegebene Hefekultur, oft auf Heferingen oder anderen Holzkonstrukten (kveikstokk) gesammelt und in der Regel getrocknet. Viele Mythen haben sich gebildet: Wie kann die Hefe solange verwendet werden? Die muss doch verseucht sein mit Bakterien. Die ist doch voller wilder Hefen! Lars hat also die ersten gesammelten Stämme (Sigmund’s und Stein’s) in die National Collection of Yeast Cultures nach Norwich geschickt. Das Ergebnis war überraschend: Einfache, obergärige Hefe. Drei eng verwandte Saccharomyces cerevisiae Stämme! Kein Brett. Keine Bakterien. Das hat sich bei weiteren Kulturen bestätigt, nur selten waren Bakterien enthalten. Inzwischen gibt es eine Liste mit 63 Farmhouse Hefen, viele davon sind Kveiks.

Stammbaum Farmhouse

Stammbaum ausgewählter Saccharomycetales-Hefen. (Grafik: Lars Marius Garshol, Historical Brewing Techniques – The Lost Art of Farmhouse Brewing)

Die Pitching-Temperatur ist eine der Besonderheiten der Kveik. Bis zu 43 °C sind möglich, alles zwischen 25 und 43 °C war und ist noch heute gängig. Außerdem vergärt sie viel schneller. Üblich sind 24 bis 48 Stunden. Extra karbonisiert wird das Bier bis heute nicht und erinnert daher eher an britische Cask Ales.

Mehr als nur Hopfen

Anders als heute wurde mit den Gewürzen, beziehungsweise dem Hopfen, nicht viel rumprobiert. Es gab ein Rezept pro Hof. Daran wurde sich gehalten. Aber jeder hat anders gewürzt. Schon relativ früh wurde Hopfen genutzt. Daneben ist aber vor allem Wacholder charakteristisch für traditionelle (skandinavische) Farmhouse Ales. Anders als beim Kochen, wurden nicht die Beeren, sondern die Sträucher und Äste genutzt, um das Brauwasser zu infusionieren. Aber warum ausgerechnet Wacholder? Lars versucht zu erklären: „Was wir sagen können, ist, dass der Wacholder für die Reinigung von allen möglichen Hölzern genutzt wurde, einschließlich der Melkgerätschaften und ähnlichem. Das könnte der Anfang gewesen sein. An Orten, an denen kein Wacholder für das Bier genutzt wird, wird es trotzdem für die Reinigung genutzt. Es scheint so, dass sie wirklich das Aroma wollten.“

Neben Wacholder wurde mit Gagel, Wermut, Kümmel, Johanniskraut, Bitterorangenschale, Schafgarbe, Rainfarn, Lorbeer, Sumpfporst, Heidekraut und noch allem möglichen mehr gewürzt. Auch Kartoffeln, Erbsen und Möhren wurden als Stärkelieferanten genutzt. Was die Felder hergaben!

Der Brauprozess

Lars beschreibt Brauprozesse aus allen Regionen, die er im Zusammenhang mit dem Buch besucht hat. Das sind einige. Und alle sind ein bisschen (manchmal ein bisschen mehr) anders. Gemein haben sie aber, dass sie ganz weit weg von den „millimeter brewers“ sind, wie Farmhouse Brauer Jørund Gering gewöhnliche Brauer nennt, die natürlich Stammwürze, Temperatur und Karbonisierung messen. Messungen kann man machen, man sollte aber nicht so viel darauf geben. Oder in Lars‘ Worten: „Versuche alles zu vergessen, was du über’s Brauen zu Wissen glaubst und lasse dich anstelle dessen von der Tradition leiten.“

Brauen gehört zum sozialen Zusammenleben

Farmhouse Ale war mehr als nur die Kost der Arbeiter auf den Feldern. Es wurde für Rituale gebraut, für Feste wie Weihnachten oder Hochzeiten, aber auch für Beerdigungen. Eigentlich immer, wenn es was zu feiern gab, oder die Menschen zusammen kamen.

Eine besondere Rolle spielte der Aberglaube. Der war aber damals anders definiert als heute, erklärt Lars: „Ursprünglich gab es keine Trennung zwischen Wissen und Aberglaube. Einer meiner Freunde erzählt gerne, dass wenn indigene Völker in Papua-Neuguinea in einem Kanu paddeln, dann ist es nicht die Kraft und Gegenkraft, die das Kanu bewegt. Es bewegt sich, weil du das Paddelritual richtig ausführst.“

Es war also viel mehr state of the art. Ein misslungener Sud wurde auf die vetter geschoben – übernatürliche Kreaturen aller Art. Einige Prozessschritte durften nicht beim Namen genannt werden. Anstatt Würze kochen sagte man Würze abspielen. Das Sammeln des Wacholders heißt im norwegischen eigentlich brakje. Man musste es aber eine nennen, damit die vetter nicht wissen, dass man braut. Besonders verbreitet war aber der Hefeschrei. Bei der Hefegabe wurde einmal laut in den Fermenter geschriehen, um den vetter zu vertreiben. 

Heute wie damals wird der „Anstich“ besonders gefeiert. Oppskåke sagen die Norweger. Einladungen gab’s nicht. Sjur Rørlien aus Voss erklärt: „Niemand wurde zum oppskåke eingeladen. Fünfzehn oder zwanzig Leute kamen einfach.“ Die Liste mit Ritualen kann beinahe endlos weitergeführt werden.

Farmhouse Brewing

Oppskåke im Westen Norwegens. (Grafik: Lars Marius Garshol, Historical Brewing Techniques – The Lost Art of Farmhouse Brewing)

Die Tradition lebt weiter

Noch heute wird oft in den Fermenter geschrien und einige Rituale sind nicht verloren gegangen. So braut Terje Raftevold beispielsweise nicht an den „dog days“. Das sind die warmen Tage zwischen Ende Juli und Ende August. Sigmund Gjernes entfernt den Schaum von der kochenden Würze, weil er angeblich Kopfschmerzen macht. Das wurde ihm so beigebracht. Ob das stimmt, ist ungewiss. Eine andere Geschichte, die Lars erzählt ist die: „Da war diese Frau, die mir erzählte, dass sie ein Apartment im Untergeschoss gemietet hat. Im anderen Teil des Geschosses braute dieser ältere Herr. Jedes Mal, wenn er die Hefe zugegeben hat, schrie er, sodass ihr ein Schauer über den Rücken lief. Es mag noch immer Menschen geben, die schreien. Aber es wird weniger. Die meisten haben heute eine moderne Bildung.“  

Farmhouse

Sigmund schöpft die „Wacholderöle“ ab. (Grafik: Lars Marius Garshol, Historical Brewing Techniques – The Lost Art of Farmhouse Brewing)

All das ist nur ein ganz, ganz kleiner Teil des traditionellem Farmhouse Brewing. Zu jedem Fakt gibt es Beispiele, mal spannend, mal informativ, mal lustig. Und mal alles zusammen. Historical Brewing Techniques – The Lost Art of Farmhouse Brewing ist viel mehr als nur ein Sachbuch. Neben unzähligen wissenschaftlichen Daten und Analysen ist vor allem die soziokulturelle Geschichte in einem Buch konserviert. Und einen Rezepttipp gibt Lars noch für alle Farmhouse-Neulinge: „Ein gutes Rezept für den Anfang ist Terje Raftevold’s Kornøl. Es ist ziemlich unkompliziert. Infusionsmaische mit Wacholder-Infusion, läutern, kühlen, Hefegabe. Das war’s. Leg los!“

(Titelbild: Lars Marius Garshol)