St. Pauli ohne Astra: Auf dem Hamburger Schulterblatt lässt es sich besser trinken. Ein Gespräch mit Gerrit Lerch, Betreiber des „Galopper des Jahres“ über Pils mit Herz und Power und die wahren Craft Beer Freunde, die unter der Woche kommen
Schulterblatt ist ein komischer Name. Ein komischer Name für eine Kneipengasse. Aber Kneipengasse ist ja irgendwie auch ein komisches Wort. Sei’s also drum: Das Schulterblatt in der Schanze auf St. Pauli ist Hamburgs berühmteste und beste einfach-mal-nett-mit-Freunden-was-essen-und-trinken-Straße, schon lange, immer noch und sicher auch in Zukunft. Und Gerrit Lerch ist auf dem Schulterblatt zuhaus, beruflich. Der gelernte Hotelfachmann und Ex-Barkeeper betreibt hier bereits seine vierte Kneipe – und diesmal geht es um besseres Bier, um eine „alternative Bierkultur“, wie er selbst sagt, und viel Auswahl an den Zapfhähnen. Im „Haus 73“ hat er mit dem „Galopper des Jahres“ die erste Craft Beer Bar des Schulterblatts eröffnet.
Gerrit, warum gibt es bei dir im Galopper des Jahres nicht einfach auch Astra und Beck’s wie in den anderen Schanzen-Kneipe auch?
Im hinteren Bereich, dem „Jolly Jumper“ und dem Club unten, dem „Kleiner Donner“ gibt es Astra und Becks. Das hat damit zu tun, dass längerfristige Bierverträge auf dem Gesamthaus liegen. Lange vor meiner Übernahme geschlossen. Meine Bedingung bei Unterzeichnung des Mietvertrages war, dass ich den gesamten Barbereich, den jetzigen „Galopper des Jahres“, als Craft-Beer-Bar betreiben kann. Ohne jegliche Beschränkungen.
Ich habe mich schon seit längerem mit der Craft Beer Bewegung beschäftigt. Im Jahr 2011 hat die Idee Fahrt aufgenommen. Nicht zuletzt durch meinen Umzug nach Grönwohld. In diesem Ort befindet sich die einzige Brauerei im gesamten schleswig-holsteinischen Kreis Stormarn. Dort habe ich einen Braukurs gemacht. Sehr motivierend!
Dazu kamen: Besuche in verschiedenen Craft Beer Bars in Berlin. Das obsessive Durchstöbern von sämtlichen nationalen und internationalen Bierblogs im Internet. Interessante Presseartikel zur Thematik „Craft Beer“. Die Sympathie zu einer subkulturellen Bewegung. Der Spaß am Ausprobieren von neuen Gastronomiekonzepten. Die Bestätigung der Vermutung, dass man die finanzielle Hilfe der großen Brauereien nicht braucht, um erfolgreich zu sein. Meine persönliche Freude am Biergenuss und speziell der Sortenvielfalt. Die Hoffnung, dass man es im Schanzenviertel mit aufgeschlossenen und interessiertem Publikum zu tun hat. Um nur ein paar Gründe zu nennen…
Was ist denn deine Geschichte? Wie bist du zum Galopper des Jahres gekommen, was hast du gemacht, bevor dich die Idee mit dem Craft Beer gepackt hat?
Ich bin gelernter Hotelfachmann. Habe nach meiner Ausbildung als F&B Cost Controller und danach als Barkeeper gearbeitet. 1998 habe ich mich mit meinem Freund und Kompagnon Marc Oliver Pagel selbständig gemacht. Mit dem „bp1“ im Schulterblatt. Schon zu Lebzeiten legendär. 1999 kam das „bedford“ im Schulterblatt dazu. Diese beiden Läden musste ich traurigerweise zum Ende des letzten Jahres schließen, weil die Mietverträge nicht verlängert wurden. 2002 habe ich, wieder zusammen mit Pagel, den Imbiss „Schmitt-Foxy Food“ im Schulterblatt aufgemacht. Da bin ich 2008 ausgestiegen. Im Herbst 2013 habe ich den gastronomischen Part im Schulterblatt 73, dem ehemaligen Kulturhaus 73, übernommen. Mit dem hochkulturellen Part habe ich am Rande zu tun. Ich bin mehr der Mann für die Alltags- und Subkultur. Der „Galopper des Jahres“ ist das Herzstück.
Und wie laufen die „anderen“ Biere, die neuen und ungewöhnlichen? Kennen Eure Gäste Craft Beer? Wer sind Eure Gäste?
Wir verkaufen immer noch viel Pilsener. Aber unsere Pilsener sind Ricklinger Pils, oder das kaltgehopfte „Fastmoker“ von Fiete Matthies‘ Wildwuchs Brauwerk. Am Liebsten vom Faß. Weitere Topseller sind: Rollberg Rot, Prototyp der Kreativbrauerei Kehrwieder, Ratsherrn Zwickel, Augustiner. Dazu haben wir immer ein „Faßbier der Stunde“. Da kommt ran, worauf wir oder unsere Gäste gerade Lust haben. Mikkeller, Brewdog, Omnipollo, Flying Dog, Sierra Nevada O`Haras, Buddelship, Crew Republic, The Kernel… Biere aus aller Herren Länder und in jeglicher Sortenvielfalt. Im Moment haben wir sechs Zapfhähne, bin aber gerade dabei auf zwölf Hähne aufzustocken, weil es einfach Spaß macht und die Gäste Bock drauf haben. Dann kann man auch ständig ein Weißbier, ein IPA, oder ein Kölsch oder Alt am Hahn haben. Zu den gezapften Bieren haben wir mindestens fünfzehn wechselnde Flaschenbiere. Da probieren wir ständig neue Sachen aus. Immer alles auf Tafeln promotet. Und wenn das Fass oder die Kiste alle ist und wir keinen Nachschub mehr haben oder wollen, wird es einfach durchgestrichen und dann kommt was Neues. Viele unserer Gäste kommen wegen der Biervielfalt. Besonders in der Woche spürbar! Da wird noch viel mehr probiert als am Wochenende. Mein Tipp: 80% Bierinteressierte. Am Wochenende ist die Quote wohl etwas verhaltener. Vielleicht 30%, die definitiv wegen des Bierkonzeptes kommen. Viele Gäste finden die Bar und die Lage und alle sonstigen Faktoren auch ohne alternatives Bierkonzept super. Das Geile ist aber doch: Alle müssen sich mit dem alternativen Bierkonzept befassen und sich im besten Falle mit der Sortenvielfalt beschäftigen! Das kommt bei der Mehrzahl der Gäste prächtig an. Am Wochenende haben wir ein buntes Sprachengewirr im Laden. Spanisch, Französisch, Englisch, Dänisch, Schwedisch….Die Craft Beer Bewegung ist in vielen anderen Ländern viel weiter- diese Gäste suchen noch viel gezielter nach Craft Beer Bars. Bei unseren ständig im Wechsel stattfindenden Braufesten, Bierdegustationen, Bierreleasepartys und „Tap Takeovers“ kommen die Leute natürlich zu 100% wegen des Bieres!
Wenn jetzt am Wochenende dann doch mal einer an die Bar kommt und sagt „Ein Bier, bitte“, was machst du?
Grundsätzlich lebt das Konzept von einer kompetenten Beratung. Das ist superwichtig! Und wir versuchen es vorbildlich zu lösen. In der Woche geht das eigentlich immer. Bei dem extremen Andrang am Wochenende ist es gelegentlich schwierig. In der Woche gibt es Tischservice. Am Wochenende holt man die Getränke am Tresen. Wir weisen dann gelegentlich auf die diversen Tafeln überm Tresen und bitten die Gäste, sich selbst zu informieren über eben diese Tafeln und die Getränkekarten. Wobei die Karte natürlich nie die Vielfalt abbilden kann, die wir zu bieten haben. Wenn jemand „ein Bier“ bestellt, fragen wir erst: Fass oder Flasche? Und: Groß (0,5l ) oder klein ( 0,3l)? Danach, wenn Zeit ist: Pils, Rotbier, IPA, Lager oder Zwickel?
Wie wählst du aus, wer bzw. welche Biere bei Euch an den Hahn kommen?
Herzensangelegenheit. Mittlerweile hat man so viele Kontakte hergestellt zu so vielen Brauern, die ihren Job mit unsagbar viel Herzblut betreiben, Fiete Matthies von Wildwuchs steht bei uns häufig hinterm Tresen. Die Bierdegustationen macht er auch häufig. Genauso aber Olli Wesseloh von Kehrwieder, Jochen Mader von Brewcifer, Simon Siemsglüss von Buddelship, Max Marner vom Bierverlag Brausturm, Ian Pyle von der Ratsherrn Brauerei.
Zu den Braufesten kommt alles was in der Szene Rang und Namen hat. Aus ganz Deutschland. Braukunstkeller aus dem Odenwald, der Onkel aus Düsseldorf und so weiter. Es ist noch eine kleine und überschaubare Szene und das ist auch der ganz große Spaß an der Sache.
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Im Rahmen der Hamburger Bierinseln am 11.7.2015 feiert der Galopper von 12 - 20 Uhr ein Sommerbraufest im Hinterhof und ab 20h die offizielle Abschlußparty!