BRAUKUNSTKELLER / KREATIVBRAUEREI KEHRWIEDER: Sudsbrüder

Nina Anika Klotz

Alexander Himburg von der Brauerei Braukunstkeller und Oliver Wesseloh aus der Kreativbrauerei Kehrwieder zählen ohne Frage zu den ganz Großen der deutschen Craft Beer Szene. Nun haben sich die beiden für einen nicht weniger großen Gemeinschaftssud anlässlich der Braukunst Live zusammengetan: Moll, ein Alt-Berliner Rauchbier. Der Brautag im Odenwald begann früh, endete spät und forderte viel Brauer-Know-How, Hirn, Nerven und Einfallsreichtum. Aber umsonst heißt es eben nicht Craft Beer. Craft wie Blut, Schweiß und Mühe. Eine Reportage.

Gemeinschaftssud Brauerei Braukunstkeller und Kreativbrauerei Kehrwieder

Auf gute Brewsammenarbeit: Oliver Wesseloh (Kreativbrauerei Kehrwieder) und Alexander Himburg (Brauerei Braukunstkeller) trinken (auf) ihr gemeinsames Werk. (Foto: StP)

Michelstadt im Odenwald ist ziemlich genau das, was mit dem abgenutzten Reiseführer-Wort „beschaulich“ gemeint ist: ruhig und klein, viel Fachwerk, enge Gassen, ein Rathaus von 1484. Im ersten Dämmerlicht des Tages regt sich – nicht viel. Keine Autos auf den Straßen, die ganze Stadt döst. Und nichts, aber auch wirklich gar nichts, deutet darauf hin, dass hier heute Geschichte geschrieben wird. Dass sich hier in Michelstadt zwei Titanen treffen um gemeinsam Großes zu schaffen.

Wie es zu einem beschaulichen Ort gehört, sind die Leute in Michelstadt alle sehr freundlich. Kauft man beim Metzger am Samstagmorgen zehn Wurstsemmeln, zwinkert die Metzgersfrau verschwörerisch und sagt: „Gell, Handwerker muss man halt bei Laune halten.“ So nett sind die Leute in Michelstadt.

Was ist nur diese Brauerei Braukunstkeller?

Und so ahnungslos. „Vor ein paar Wochen hat das Fremdenverkehrsamt hier angerufen und gesagt, jetzt müssten sie doch mal nachfragen, was es mit dieser Brauerei Braukunstkeller auf sich hat. Ständig kämen Leute zu ihnen und wollten wissen, wo die ist“, erzählt Alexander Himburg, Michelstädter, Chef und Gründer ebendieses Braukustkellers und zweifelsohne einer der besten Craft Brewer Deutschlands. Keine Craft Beer Bar, die nicht mindestens eines seiner Ales auf der Karte hat. Ständig gewinnen Braukunstkeller-Biere Preise, das „Amarsi“, ein IPA, wurde gerade wieder auf Ratebeer gefeiert. Himburg verkauft nach Schweden, Singapore, Finnland, Großbritannien. Nur in seiner Heimatstadt wissen die Leute offenbar nichts von der Craft Beer Koryphäe in ihren Reihen. Noch halten die Michelstädter die Schauspielerin Jessica Schwarz, die Ex-Freundin von Daniel Brühl, für das berühmteste Kind ihrer Stadt.

Und sie ahnen nicht, dass hier und heute eine Weltpremiere gefeiert wird. Dafür auch die zehn Wurstsemmeln: Alexander Himburg wird heute erstmals gemeinsam mit Oliver Wesseloh brauen. Der Chef der Kreativbrauerei Kehrwieder ist dafür aus Hamburg angereist. Auch er zählt zur unumstrittenen Spitze der deutschen Craft Beer Bewegung: 13 Jahre Berufserfahrung, Weltmeisterbiersommelier, ein Regal voller Auszeichnungen. Vor ziemlich genau einem Jahr saßen die beiden zusammen bei einer Podiumsdiskussion auf der „BrauKunst Live!“, der Craft-Beer-Leitmesse in München, in der der Veranstalter Frank Böer polterte, es sei ja nicht sonderlich kreativ, mit immer denselben obergärigen Bieren daher zu kommen. Wer es im nächsten Jahr zustande brächte, „nicht das X-te IPA anzuschleppen“, sondern einen typisch deutschen Bierstil neu zu interpretieren, der bekäme die Standmiete erlassen. Himburg und Wesseloh fackelten nicht sondern schlugen zu: Das machen sie. Nächstes Jahr. Zusammen. Brauerwort drauf. Und so war „Moll“ geboren, der offizielle Sondersud zur Braukunst Live, die am 6.März startet.

Brauer? Verdammt frühe Vögel.

Seit halb Sieben heizt nun schon der Maischebottich der Michelstädter Brauerei, um Sieben stehen alle Mann, die beiden Brauer plus Jonathan und Merlin, zwei Azubis, mit jeweils einer Tasse Kaffee in der Hand um den Kupferkessel und besprechen den Tag. Der hat draußen vor den zwei Stockwerk hohen Fenstern der rund sechzig Jahre alten „Brauerei Dörr“ noch gar nicht so recht angefangen. Nur langsam verkriecht sich das Morgengrauen. Und das Bestattungsinstitut gegenüber – Achtung Kalauer – ruht noch in Frieden.

Gemeinschaftssud Brauerei Braukunstkeller und Kreativbrauerei Kehrwieder

So soll es werden: Oliver Wesseloh und Alexander Himburg mit dem Moll-Probesud. (Foto: StP)

Nach dem Kaffee schenkt Himburg Bier aus. Super-extra-spezial exquisites Bier: Der Moll Probesud. Von dem gibt es nur ein paar Flaschen. Aber man muss ja wissen, was man braut. Und im Falle von Moll ist das gar nicht so einfach mit Worten zu beschreiben. Ein „Rauchbier im Stile des Köpenicker Molls“ soll es werden. Dezent rauchig, ein bisschen sauer, kompakt, anders, irgendwie. Und veredelt mit getoasteten Maulbeerchips.

Das Moll? Echt oll. Also, das Rezept dazu

Holzchips hat man früher oft zur Klärung des Bieres verwendet. Fischt man sie raus, bleiben Schwebestoffe daran hängen, wird das Bier klarer. Moll ist ein altes, ausgestorbenes Bier. Für das Rezept haben Himburg und Wesseloh in den Archiven der VLB, der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin, gewühlt, endlose Emails zwischen Hamburg und dem Odenwald hin und her geschrieben, telefoniert, diskutiert und ausprobiert. „Alte Rezepte nachzubrauen ist generell schwierig“, sagt Wesseloh, „weil es meist nur vage Überlieferungen gibt. Wenn man die damaligen Produktionsbedingungen bedenkt, waren vermutlich alle Biere früher irgendwie ein bisschen rauchig, alle oft auch etwas sauer.“ Der Gemeinschaftssud aber sollte ja nicht einfach nur wie ein Bier von früher, sondern wie ein gutes Bier von früher schmecken. „In der Regel ist so eine Bierentwicklung ein langer Prozess“, fährt Himburg fort. Da muss man den Speidel Braumeister schon ein paar Mal anschmeißen, rumprobieren, mit der Temperatur spielen, Zutaten variieren, neu kombinieren. Und irgendwann passt es. Oder auch nicht: „Moll war ein Volltreffer. Der erste Versuch war der beste. Die, die wir danach gemacht haben, waren lange nicht so gut.“ Also blieben sie beim ersten Rezept. Oder vielmehr: Wollten sie bleiben.

Um kurz nach Zehn stehen die vier Brauer am Fuß der Brauanlage zusammen. Merlin misst die Stammwürze. Alex schüttelt den Kopf: „Das ist zu wenig.“ „Wir haben ein Problem mit der Verzuckerung.“ „Warum eigentlich?“ „Zu schnell, zu heiß?“ „Kann sein.“ „Was machen wir?“ „Kalter Malzauszug?“ „Gute Idee.“ „Dazu brauchen wir was?“ „Vierzig Kilo Wiener, würde ich sagen.“ „Pilsener.“ „Ne, warte…“ „Weizen! Lass‘ Weizen nehmen. Das haut uns farblich nicht so rein.“ „Und vom Ablauf…“ „Läuterbottich und überschwänzen?“ „OK. Wir könnten dann auch – tadah! – eine Vorderwürzehopfung machen.“

Problem? Behoben!

Immer im Leben,  aber beim Craft Beer Brauen ganz besonders, ist das Wichtigste, Probleme schnell, spontan und kreativ zu lösen. Denn: Probleme gibt es immer, wenn man nicht nach Schema F braut sowieso, und wenn man Rezepte zum ersten Mal „in groß“ macht auch. Zwanzig Liter aus dem Hobbybrauertopf oder 30 Hektoliter – das macht schon einen Unterschied. Ken Grossman, der Gründer von Sierra Nevada, soll zu Beginn seiner Tätigkeit als „richtiger“ Brauer mehr als 10 Tanks seines Pale Ales einfach weggeschüttet haben, weil es aus der großen Brauanlage nicht so schmeckte wie bei seinen vorangegangenen Homebrewing-Versuchen.

Probleme tauchen außerdem auch immer dann auf, wenn man mit Zutaten arbeitet, die wegen ihrer Unpraktikabilität schon längst aus Standardbrauverfahren verbannt wurden. Man könnte lange (und ziemlich langweilige) Bücher darüber füllen, welchem Craft Brewer schon wie viele  Rohre, Siebe oder Filter mit Hopfendolden verstopft sind. Passiert in der Industrie, die mit Flüssigextrakten arbeitet, natürlich nie.

Zum Warten ein bisschen Brauerschauer

Die Extrastunde, die es die Moll-Mannschaft nun kostet, 40 zusätzliche Kilo Weizen zu schroten und zu maischen, vertreiben sich die vier Brauer mit Bier und Brauerschauergeschichten von Steinen in Läuterpumpen und festgeklemmten Hackwerken, überkochenden Suden und Treberschnecken, die nicht greifen. Seemannsgarn für Bierleute, quasi. Jeder Brauer hat eine Lieblingshorrorgeschichte. James Watt von Brewdog erzählt in Interviews zum Beispiel gern, wie ihm einmal ein iPhone in den Läuterbottich gefallen ist. Je später es wird, desto schlimmer die Stories: Irgendwann geht es auch um ausgekugelte Schultern, verbrühte Füße und beinahe-Todesfälle unter der Würzepfanne. Währenddessen beschlagen die Scheiben des Sudhauses, der Mittag vergeht im Sudnebel.

Der Kehrwieder-Chef Oliver - Achtung! - Kesseloh. Im Dampf. (Foto: StP)

Der Kehrwieder Chef Oliver – Achtung! – Kesseloh. Im Dampf. (Foto: StP)

Vor eineinhalb Jahren fing Alexander Himburg an, mit der Michelstädter Brauerei Dörr zusammenzuarbeiten. Zuerst lagerte er nur seine Craft Beer Sude in deren 15 Meter tiefem Kalksteinkeller. Damals braute er noch auf der Hausbrauanlage eines Bekannten sein Pale Ale, das Laguna, Mandarina und Amarsi. Nach einem halben Jahr überzeugte er den Betreiber der Michelstädter Brauerei, näher zusammenzurücken und begann, auf der knapp sechzig  Jahre alten 50-Hektoliter-Anlage Craft Beer zu brauen. Zunächst jede Sorte einmal im Monat als halben Sud. Mittlerweile reicht das hinten und vorne nicht mehr. „Das Amarsi ist fast immer ausverkauft“, sagt Himburg etwas ratlos, so, als wisse er nicht recht, ob er sich über den Erfolg des IPAs freuen oder den Nachfragestress bedauern sollte. Im Sommer expandierte er, mehr oder weniger notgedrungen, und stellte auf einen Schlag einen Braumeister und zwei Azubis ein. Und ohne die – mittlerweile vollzeitige – Hilfe seiner Frau Oksana würde bei der Brauerei Braukunstkeller ohnehin nicht viel laufen. Vom Ein-Mann-Bier-Dings zum kleinen, mittelständischen Unternehmen in etwas mehr als achtzehn Monaten – wenn er so darüber nachdenkt, wird ihm ganz anders.

Gemeinschaftssud Brauerei Braukunstkeller und Kreativbrauerei Kehrwieder

Der Craft Beer Brauer Alexander Himburg in seinem Element. (Foto: Stp)

Aber zum groß darüber nachdenken ist keine Zeit. Am frühen Nachmittag ist plötzlich voller Körpereinsatz für Moll gefragt. Heißt ja auch „craft“ Bier, „craft“ wie Handwerk, wie Muskelkraft und blanker Schweiß. Alle vier Brauer ziehen Mützen und Jacken aus und legen beim Abläutern Hand an. Wieder beschlagen die Scheiben des Brauhauses. Danach gibt es erst einmal für alle – wohlverdient – Döner und Bier.

Gemeinschaftssud Brauerei Braukunstkeller und Kreativbrauerei Kehrwieder

Craft heißt Handwerk. Und so wird auch gebraut, beweisen Alexander Himburg und sein Auszubildener Merlin. Merlin aus Neuseeland! (Foto: StP)

Dann erreicht  der Brautag seinen Höhepunkt: die Hopfengabe. Als typisch deutsches, altes Bier ist Moll nicht besonders hopfenbetont. Wesseloh und Himburg arbeiten nur mit zwei deutschen Hopfensorten, Herkules, der zu Beginn des Kochens in die Würze kommt, und Hallertau Blanc, zum Schluss für das Aroma beigegeben. Beide Male verwenden sie getrocknete Dolden, keine Pellets. Ganz traditionell. Zusammen schütten die beiden Brauer einen ganzen Sack Hallertau Blanc in den Bottich und schauen den Dolden hinterher. „Bei meinem Mandarina IPA haue ich die fünffache Menge davon rein.“ „Beim ersten Feuchten Traum hatten wir so viele frische Dolden drin, dass es aussah als könnte man auf dem Sud gehen.“ „Nä!“ „Doch! Schau her!“ Wesseloh kramt sein Handy aus der Tasche und zeigt Fotos: Sud im Dunkeln, voller Dolden. Die beiden Azubis drängen auch ran, gucken. „Krass.“

Wieder Warten. Wieder Brauerschnack. Diesmal: Die ekeligsten Biere der Welt. Auf Platz Fünf: Das Walpimmelbier aus Island. Das sei ja Kindergarten, sagte Wesseloh. Bei Wynkoop in Colorado brauen sie ein Bier mit Stierhoden, das Rocky Moutain Oyster Stout. Sehr unappetitlich sei aber auch das Chicha-Bier von Dogfishhead, für das das gesamte Team kiloweise Maiskörner ankaut und auspuckt und dann mit diesen braut. Und ganz besonders extra widerlich: Bei Rogue erzählt man die Geschichte, sehr lange nach einem ganz bestimmten Hefestamm gesucht zu haben und ihn schließlich im Bart des alten Braumeisters John Maier gefunden zu haben. Prost, Mahlzeit. (An dieser Stelle ein Hopfenhelden-Qualitätsversprechen: Wir können garantieren, dass bei der Produktion von Moll keiner in den Sud gespuckt hat und alles, was die vier Brauer so in ihren Bärten hatten, dort blieb. Ganz sicher!)

Was lange währt und dann noch gärt…

Das Kochen ist beendet. Langsam aber mit Schwung pumpen die Brauer Moll Richtung Whirlpool. Wieder steigt massenhaft Dampf auf. Die Brauer riechen. Kommt das Röstaroma durch? War’s genug Hopfen? Wird das was? Das ist ja das Schlimme am Brauer-Sein: Man weiß es immer nicht. Man weiß nie unmittelbar, ob das Bier, das man gebraut hat, etwas wird oder nicht. Erst muss es tage- und wochenlang gären. Dann auch noch reifen. Versonnen schaut Wesseloh dem Titanen-Collaborationbrew  im Kessel hinterher. „Ach, die Schaumblasen. Glitzern die nicht wie der Sternenhimmel?“

Schön. Brauerromantik. Und in genau in diesem Moment geht draußen über Michelstadt auch noch der Mond auf.

Gemeinschaftssud Brauerei Braukunstkeller und Kreativbrauerei Kehrwieder

Und es wird Nacht in Michelstadt. Schlaf gut, Sud! (Foto: NAK)