Phillip Roberts ist ein sehr freundlicher, wohlerzogener und entspannter junger Mann – solange man nicht mit ihm über das Reinheitsgebot redet. Das macht den Gründer von „Onkel Bier“ aus Düsseldorf nämlich richtig fuchsig
Fünf Minuten redet der Mann jetzt schon. Mindestens. Ohne einmal Pause zu machen. Dass die Kellnerin gerade da war, um zu fragen ob er noch etwas will, außer dem Kaffee und dem stillen Wasser, hat er gar nicht gemerkt. Sie war auch schnell wieder weg. Hat gesehen, dass er nicht zu stoppen ist. Draußen steigt die Sonne immer höher und dann beginnt es zu dämmern und Phillip Roberts redet immer noch. Nein, das ist natürlich Quatsch. Aber die fünf Minuten waren nicht gelogen, mindestens so lange am Stück kann der Düsseldorfer sich über das Reinheitsgebot aufregen. Das vermeintliche „Reinheits“-Gebot. „Mich nervt der Mythos um dieses Reinheitsgebot – in Wirklichkeit ist es nämlich nichts anderes als ein Marketingslogan der deutschen Bierindustrie. Die Gesetze, die das Brauwesen in Deutschland regeln, sind ein restriktives Korsett, das mit Reinheit aber gar nichts zu tun hat.“ Vermutlich könnte er sich noch viel länger aufregen, aber Phillip Roberts hat gute Manieren und hört deshalb mit einem entschuldigenden „aber ich will hier wirklich niemanden langweilen“ auf sich aufzuregen, nippt an seinem Kaffee, schiebt die orangeumrahmte Brille zurecht und wartet auf die nächste Frage.
Denn eigentlich ist er ja hier, um seine Geschichte von „Onkel Bier“ zu erzählen. Ja, Onkel Bier. Schräger Name. So heißt seine Craft Beer Marke, mit der er, der Ex-Unternehmensberater aus Düsseldorf, im Sommer vergangenen Jahren an den Start gegangen ist. Und: Ja, Unternehmensberater. Doch wer jetzt sagen will „Ach, wieder so ein BWLer, der glaubt, Bier brauen zu können“, der soll doch bitteschön erst einmal probieren, findet Phillip Roberts. „Ich finde solche Kommentare inhaltsfrei und dumm“, sagt er, „weil ich diese Sache aus absoluter Überzeugung mache. Ich kann es nicht nachvollziehen, wenn ich so etwas, wie neulich von einem Händler, höre. Am Ende geht es doch um die Qualität im Glas und die Liebe zur Sache. Den Beraterjob fand ich spannend, aber ich habe immer gesagt, dass ich irgendwann etwas anderes machen möchte. Ich habe eine große Leidenschaft für Lebensmittel, wollte mal ein BBQ-Restaurant aufmachen, mal eine Kaffeerösterei. Und ich braue seit fünfzehn Jahren selbst.“
Die Idee, daraus ein eigenes Unternehmen zu machen, lag also nahe. Sie in die Tat umzusetzen fiel ihm trotzdem nicht leicht. Schließlich trägt der Halb-Amerikaner Verantwortung für eine vierköpfige Familie. Da schmeißt man nicht einfach so einen sicheren, gut bezahlten Job hin, um „mal was auszuprobieren“. „Letzten Endes war es meine Frau, die mir den letzten Kick gegeben und gesagt hat: Mach das. Ich habe nämlich keine Lust, irgendwann neben einem Sechzigjährigen aufzuwachen, der den ganzen Tag jammert: ‚Ach, hätte ich damals nur…‘.“
Nicht mecker, trinken
Bislang sind zwei Onkel Biere auf dem Markt, „Onkel Herbert“, eine mit Rhabarber vergorene Berliner Weiße, und „Onkel Albert“, ein Saison. Und die sollte, wer meckern will, wie gesagt, erst trinken. „Wenn jemand sagt, BWLer sollen kein Bier machen, führt das die eigene Engstirnigkeit vor und die Idee von gutem Bier in eine falsche Richtung.“
Womit wir dann auch ganz schnell schon wieder bei diesem nicht minder engstirnigen Reinheitsgebot wären: Das Reinheitsgebot besagt, dass Bier nur aus Gerstenmalz, Wasser und Hopfen gebraut werden dürfe. Schon von Hefe ist da eigentlich keine Rede, aber die gehört nach der heutigen Interpretation des Gesetzes dazu, ebenso wie Weizenmalz. Aber dann hört es schon auf. Wer ein bisschen Zucker oder Honig zur Gärung beigibt, verstößt gegen dieses Gesetz, wer mit Haferflocken, Zitronenschalen, Chili oder Kakaobohnen braut, sowieso und meilenweit. Egal, könnte man sich locker sagen, dann schreibe ich halt nicht „gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot drauf“. Aber so einfach ist das nicht.
Würde er in Deutschland brauen, dürfte Onkel Bier nur Onkel heißen
Wer sich in Deutschland beim Brauen nicht an die superenge Vorgabe des Reinheitsgebotes hält, darf sein Bier noch nicht einmal Bier nennen. Und mehr noch: In jüngster Vergangenheit gab es sogar Fälle, in denen Craft Beer Brauer Probleme bekamen, obwohl sie ihr Bier nicht Bier genannt haben, es aber eben – so gelb und mit Schaumkrone – aussah wie ein Bier.
Phillip Roberts‘ „Onkel Herbert“ müsste nach der Engstirnigkeit des Reinheitsgebotes „alkoholhaltiges mit Rhabarber vergorenes Getränk“ heißen. „Da muss ich sagen, Entschuldigung, aber das ist Konsumenten Verdummung. Das ist Bier! Nur weil der ihr so eine engstirnige Vorstellung davon hat, was Bier ist und was nicht.“
Onkel Herbert müsste so heißen, wenn er in Deutschland gebraut würde. Phillip Roberts aber braut in Belgien. Die Brauerei DeProef in Gent bietet dem Gypsy Brewer Möglichkeiten, die er in Deutschland kaum und gar nicht bekäme: Erstens darf er bei DeProef frei mit Brettanomyces hantieren, einer besonderen Hefeart, die beim Vergären saurer Biere und klassischerweise der Berliner Weiße eingesetzte wird, die aber recht umtriebig ist und schnell auf Biere überspringt, die eigentlich nicht sauer werden sollten. Deshalb wollen die wenigsten deutschen Brauer das Zeug in ihre Brauerei lassen.
Hefe ist völlig unterschätzt, findet der Bier-Onkel
Für Roberts aber stand außer Frage mit Bret zu arbeiten. Ihr Einfluss auf den Geschmack des Bieres sei entscheidend. So wie überhaupt die Hefe in seinen Augen ganz entscheidend ist – und dennoch völlig unterschätzt. „Ich nehme nie die Hefe, die am einfachsten zu handhaben ist oder am schnellsten arbeitet, sondern die, die am besten schmeckt. Und die sind oft sehr eigenwillig. Ich habe großen Respekt vor der Hefe. Die macht ganz verrückte Sachen und Dinge, die wir gar nicht immer alle nachvollziehen können. Mal macht sie Pause, dann legt sie wieder los. Insbesondere die belgischen Hefen machen funky Sachen. Auf der einen Seite finde ich das frustrierend, eben weil ich das nicht immer verstehen kann aber möchte, auf der anderen Seite finde ich es aber so spannend, weil es ein natürliches Element ist. Die Hefe ist so ein tolles Produkt, aber wir schenken ihr nicht genug Aufmerksamkeit.“
Der zweite Vorteil davon, in Belgien zu brauen, ist, dass Roberts jenseits der Grenze eben nicht diesem Reinheitsgebot unterliegt. Er darf am Ende sogar Bier auf seine Flaschen schreiben: Dasselbe nicht-Reinheitsgebotskonforme Bier, das in Belgien gebraut wurde, muss nach dem Import als Bier deklariert werden, wird es in Deutschland gebraut, darf es nicht Bier heißen. Logisch? Nein. Aber so ist das mit dem Reinheitsgebot: „Ich muss meine Berliner Weiße in Deutschland auch Schankbier nennen. Das liegt an der relativ geringen Stammwürze. Würde ich sie in Deutschland brauen, müsste ich also per Gesetz Schankbier draufschreiben, sie aber nicht Bier nennen.“
Eigentlich ist das ja sehr lustig. „Aber das wirklich komische daran ist, dass die Leute, die dieses Reinheitsgebot so hochleben lassen, eigentlich relativ wenig Humor haben.“
Onkel Bier ist sein Traum, auch wenn er manchmal deswegen schlecht schläft
Dann erzählt der Bier-Onkel noch ein bisschen über sich, davon, dass Gypsie-Brewing gut ist, weil er dabei viel lernen kann, dass er aber natürlich auch ganz heimlich den Traum von der eigenen Brauerei träumt. Er erzählt, von seinem ersten Craft Beer, einem „90 Minutes“ von Dogfish-Head, das ihm nicht geschmeckt hat (zu krass für den Anfang). Und er denkt laut über den deutschen Craft Beer Markt 2015 nach. Darüber, dass die Großen nun mitmischen (Becks, Köstritzer und so weiter – was er gut findet, weil es das Augenmerkt auf Craft Beer lenkt, was er aber auch gar nicht gut findet, weil die Preise anbieten können, die er nie schaffen wird). Und er erzählt ganz ehrlich, dass man als One-Man-Craft-Beer-Macher auch an seine Grenzen kommt. Weil es unglaublich viel Arbeit ist. Und weil er manchmal nachts schlecht schläft: Klappt das alles? Kann man davon leben?
Zum Schluss allerdings muss er doch noch einmal auf diese Sache mit dem Reinheitsgebot zurückkommen. Weil die ihm keine Ruhe lässt: „Ich finde das eine beschämende Augenwischerei, was da stattfindet: PVPP darf ich ins Bier geben, aber Frucht ist böse? Ich finde das so scheinheilig. Und engstirnig! Nur weil ich etwas total natürliches, Rhabarber, Kaffee, Gewürze, Sachen, die ich auch so zu mir nehme, in mein Bier gebe, darf ich das Bier nicht Bier nennen? Ich wollte mal so einen Beutel Polyvinylpyrrolidon bestellen und den Leuten zeigen. Und dann werde ich zum Bayerischen Brauerbund gehen und denen ein Löffel PVPP ins Helle rühren und sagen: Trink!“ Und das alles wird man doch wohl auch mal sagen dürfen.
Auf einen Blick
Onkel Bier
Phillip Roberts, Düsseldorf
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Bekannteste Biere:
- "Onkel Albert" (Saison)
- "Onkel Herbert" (Rhabarber Weisse)
Hopfenhelden's Choice:
- "Onkel Albert"