Wenn der Craft-Kraken zwinkert

Martin Rolshausen

Zwinkert der Kraken? Nein, er trägt eine Augenklappe. Und es wirkt, als würde der Kerl mit seinen Tentakeln das Signal geben: „Klarmachen zum Entern!“  Der sympathische Oktopus mit der Piraten-Augenklappe sollte und soll immer noch Neugier symbolisieren – die von Johannes Grohs und Alexander Beinhauer. Damals, 2015, als die beiden in Wien Next Level Brewing gegründet haben, wurde der Kraken zum Symbol für „einzigartige Biere abseits langweiliger Massenware“. Und für Next Level Brewing gilt auch acht Jahre nach der Gründung: „Wir stehen für individuellen Geschmack und repräsentieren damit die neue, moderne, urbane Generation von unabhängigen Biertrinkerinnen und Biertrinkern.“


Bei Kraken denken die Freundinnen und Freunde der besonderen, der kreativen Biere allerdings in den seltensten Fällen sofort an Next Level Brewing. Als Kraken werden die Braukonzerne und einige andere Industriebrauereien wahrgenommen, die mit ihren Tentakeln den Biermarkt umschlingen. Und die entern stellenweise auch die Craft-Beer-Bewegung, versuchen es zumindest.

Der Oktopus mit der Piraten-Augenklappe ist das „Wappentier“ von Next Level Brewing.


„Craft Beer – auch gerne Craft Bier geschrieben – stand einst für handwerkliche Herstellung, ist mittlerweile aber ein inflationär verwendeter Begriff, gerne auch seitens der Industrie, um schwindenden Bierabsatz abzufedern. Da mittlerweile auch viele der handwerklichen Ursprungsbetriebe recht groß geworden sind, steht Craft Beer für uns heute für ein Mindset“, schreiben die beiden Männer, die in Österreich angetreten sind, um, wie sie sagen „unabhängig von großen Braukonzernen und Gewinnmaximierung, Biere mit Fokus auf Geschmack zu brauen“. Den Begriff Craft sehen sie heute kritischer als damals, als sie, wie Alexander Beinhauer den Namen der Brauerei erklärt, „dem Bier eine neue Richtung geben“, einen neuen Level erreichen wollten. Das Problem mit Craft sei auch, dass  „viele der großen Braukonzerne aktuell reihenweise internationale Craft Breweries aufkaufen“. Der letzte ganz große Coup war die Übernahme von Stone Brewing in Kalifornien durch die US-Tochter des japanischen Braukonzerns Sapporo.


Während viele Brauer besonderer Biere im deutschsprachigen Raum versuchen, den Begriff des Kreativbiers zu etablieren, favorisieren die Männer von Next Level eine andere Bezeichnung: „Wir sehen uns selbst als Independent Brewery und nicht als Craft Brewery, wie die vielfach getarnten Ableger von Industriebrauereien sich selbst in jedem zweiten Satz nennen“, sagen sie. Während Johannes Grohs und Alexander Beinhauer sich treu geblieben sind, was den sehr hopfenbetonten Stil ihrer Biere angeht, gab es es in Sachen Vertrieb einen Strategiewechsel. Zeitweise hat man Bier bis nach Deutschland in den Handel gebracht. Inzwischen konzentriert sich Next Level auf Wien und Umgebung.

Die Amerikaner in Wien mögen die besonderen Biere, heißt es bei Beaver Brewing. Foto: Martin Rolshausen


Unabhängig und sich selbst treu zu bleiben, also nicht an den Trinkgewohnheiten der Masse orientiert zu brauen, können sich die Next-Level-Spieler allerdings nur erlauben, weil sie ein zweites Standbein haben. Alleine von der Brauen können sie nicht leben, erklärt Alexander Beinhauer. Überleben kann Next Level nur, weil das Team auch das Mashcamp betreibt, einen Shop für alles, was Hobbybrauer brauchen: Startersets, Rohstoffe, Brauanlagen, Braurezepte. Darüber hinaus bieten Johannes Grohs und Alexander Beinhauer auch Braukurse an.


Damit lässt sich in einer wachsenden Szene nicht nur Geld verdienen. Hobbybrauer, weiß Alexander Beinhauer, gehen anders mit Bier um als der Durchschnitts-Biertrinker. Sie gehen offen an neue Biere ran, haben ein Bewusstsein dafür, was hinter den Bieren steckt, die Next Level bei der befreundeten Loncium Brewery in Kärnten braut. Wobei der Begriff Hobbybrauer nicht immer das widerspiegelt, was in heimischen Waschküchen und Garagen wirklich passiert – nämlich das Brauen teilweise sehr hochwertiger Biere. Das weiß kaum jemand besser als Mario Pessenlehner. Er ist Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft der Bierkonsumenten in Österreich (IG Bier) und organisiert einen Hobbybrauer-Stammtisch in Wien. Seit 20 Jahren lädt die IG Bier zur Austrian Beer Challenge ein, einer Staatsmeisterschaft für Brauereien und Hobbybrauerinnen und Hobbybrauer in Österreich.

Tina Ganser von von Schnauzer & Beagle Brewery und Sophie Seifert vom Bräuhaus Ten.Fifty. Foto: Martin Rolshausen


Während Next Level Brewing durch das Hobbybrauer-Netzwerk über eine stabile Basis verfügt, hat die vom Amerikaner David Beaver gegründete Beaver Brewing  Company zwei Vorteile, die vielen anderen Craft Breweries in Wien als Paradies erscheinen mögen: Die kleine Brauerei betreibt zwei eigene Lokale – und eins davon liegt neben der amerikanischen Botschaft. „Die Amerikaner mögen unsere Bierstile“, sagt Stephan Börger von Beaver Brewing. Dennoch braue man nicht nur die ganz besonders charakterstarken Biere. „In den Restaurants brauchen wir auch gängigere Biere“, sagt er – und meint damit unter anderem Lager. Dennoch: „Wir haben in unseren Restaurants 9 Taps und damit die Möglichkeit, viel parallel zu zeigen.“


„Die Standardbiere machen das Geschäft, die anderen die Leidenschaft“, erklärt Tina Ganser das Geschäftsmodell von Schnauzer & Beagle Brewery. Die Brauerei ist noch recht jung. Will Melling hat sie Anfang 2020 zusammen mit John Melling und Tina Ganser gegründet, als er von Australien nach Österreich zog und festgestellt hat, dass er, obwohl er das österreichische Märzen liebte, mehr wollte. Das Problem für die „neuen“ Stile sei, „dass ein Bier in Österreich weiter ein klassisches Märzen ist“, sagt Tina Ganser.


Es seien dann auch vor allem Touristen, die in Wien gezielt nach Craft Breweries suchen, sagt Sophie Seifert. Sie ist selbst aus Deutschland nach Österreich gezogen und arbeitet mit dem Bräuhaus Ten.Fifty an der neuen Bierkultur – vorwiegend in englischer Sprache. Zwar zeigen sich auch immer wieder mal gebürtige Wienerinnen und Wiener interessiert daran, wie Bier handwerklich hergestellt wird. Aber die Hauptkundschaft sind die Zugewanderten – vor allem diejenigen, die aus ihren Heimatländern eine offenere Bierkultur kennen. Aber für diejenigen, die sagen „Ich will ein Bier trinken, aber bitte nichts Experimentelles“, hat man auch bei Ten.Fifty ein Lager.

Wolfgang Lenzer, Stephan Börger und Carmine Nicely von der Beaver Brewing Cpmpany. Foto: Martin Rolshausen


Es spreche sich aber immer mehr rum, dass es da noch mehr gebe als das, was man immer schon getrunken hat, sagt Sophie Seifert. Die Mundpropaganda funktioniere. Weder sie noch Tina Ganser wirken unzufrieden. Und auch Stephan Börger von Beaver Brewing sagt: „Wir sind in einer Nische. Aber die Nische wächst.“ Man brauche etwas Geduld. Das ist vermutlich auch gemeint mit dem Satz, der im Bever-Brewing-Gasthaus mit Kreide auf eine Tafel geschrieben wurde: „Life is like a beaver colony – one dam project after another.“ Und hat der Kraken da eben nicht doch gezwinkert?!

Das Aufmacherbild zeigt von links: Alexander Beinhauer von Next Level Brewing, Mario Pessenlehner von der Interessengemeinschaft der Bierkonsumenten in Österreich (IG Bier) und Johannes Grohs von Next Level Brewing. Foto: Martin Rolshausen

(8. Juni 2023)