Nach ganz viel Morgenluft und Aufbruchstimmung wird es ruhiger im Craft Beer Sektor. Beunruhigend? Voll schade? Oder einfach nur: ganz normal? Was bedeutet das für den Biermarkt Deutschland? Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauerbundes, blickt mit uns auf 2018 zurück.
Wer in letzter Zeit mit Craft Bier Brauern der ersten und zweiten Generation sprach und sie fragte, wie es so geht, war die Antwort nicht selten ein entschlossen unentschlossenes „Jooaahh“. So halt. Ganz gut, so. Achselzuck.
Manchmal hörte man auch Sachen wie: „Ist ruhiger geworden“ oder „ein bisschen die Luft raus“, manche sprachen von „einer gewissen Müdigkeit“. Events waren im letzten Jahr selten richtig gut besucht, ein, zwei gerade liebgewonnene Brauereien mussten nicht lange nach Start dicht machen, der ganz große Medienrummel ist weitergezogen.
Völlig normal. Das tollste und bunteste Thema kann nicht für immer in den Publikumsmedien gespielt werden. Die Craft Beer Bewegung deshalb als einen Hype abzustempeln wäre vollkommen am Thema vorbei. Wo aber stehen wir jetzt eigentlich genau? Auch so im größeren Kontext? Holger Eichele ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauerbundes, der sowohl die Interessen der ganz, ganz Großen, aber eben auch der kleinen und mittelständischen Brauereien vertritt. Natürlich gehören auch „klassische“ Craft Bier Brauereien seinem Verband an und natürlich beobachtet auch er sehr genau, was sich im letzten Jahr hier so getan hat.
Traumsommer, Fußball-WM, Biergartensaison bis November – man müsste annehmen, 2018 war für die Brauindustrie ein Bombenjahr, Herr Eichele.
Es war unbestritten ein hervorragender Sommer. Da fällt das bisherige Plus gefühlt eher klein aus. Aktuell sind es aufgelaufen bis Ende Oktober 1,3% mehr Bierabsatz als im Vorjahr. Was weh getan hat, war das frühe Ausscheiden der Nationalmannschaft bei der WM. Ein Viertel- und ein Halbfinalspiel tun der Brauwirtschaft immer gut. Außerdem: Sobald es zu heiß ist, lassen die Leute das Bier stehen und bestellen Wasser. Der Sommer war also fast zu gut. Dazu gab es bei einigen Marken in diesem Jahr Preiserhöhungen, auch das ist ein Faktor, der den Absatz dämpfen kann.
Aber Absatzplus ist Absatzplus. Wenn man mal fünf oder zehn Jahre zurückschaut musste die Bierbranche ja mit einem stetigen Rückgang kämpfen. Also ist das jetzt schon besser – oder nicht?
Wir hatten jahrelang einen Rückgang beim Bierabsatz, das stimmt. Die große Frage ist nun, und darüber streiten sich die Experten schon eine Weile: Bedeutet die Entwicklung der letzten fünf Jahre – Stagnation, leichte Delle, minimaler Anstieg – dass der jahrzehntelange Abschwung gebremst ist oder ist es nur ein kleines Plateau und danach geht es weiter runter? Die überwiegende Meinung tendiert zu Letzterem: Der Bierabsatz wird weiter zurückgehen. Insofern waren das jetzt ein paar glückliche Jahre, mit Abstrichen. Sagen wir besser: zufriedenstellende Jahre. Aber der Biermarkt in Europa und in Deutschland, der größten Biernation, ist klar rückläufig, was an vielen Faktoren liegt: veränderte Demografie, veränderte Konsumgewohnheiten, wachsender Wettbewerb, Preiskampf im Handel, staatliche Regulierung und und und.
Und die neue Bierbegeisterung, die Craft Beer Bewegung, ändert daran nichts?
Machen wir uns nichts vor: Wir haben große Mengen verloren. Wir kommen beim Konsum von 146 Liter Bier pro Kopf im Jahr 1980 und sind jetzt bei gut 100 Litern. Ein Topmanager aus der Branche hat kürzlich vorgerechnet, dass die deutschen Brauereien in zehn Jahren rund 13 Millionen Hektoliter verloren haben – das entspricht annähernd der Jahresproduktion des Marktführers . Das muss man sich mal vor Augen führen! Natürlich kann ein Nischen-Segment wie Craft das niemals auffangen.
Auch, wenn man es so sieht, dass die Craft Bewegung ein neues Bewusstsein und eine neue Begeisterung für das Produkt Bier im Allgemeinen geschaffen hat?
Das hat sie, völlig richtig. Das sind aber zwei unterschiedliche Themen. Wir sehen zum einen die wirtschaftlichen Kennzahlen des Craft-Segments. Craft stand 2017 laut einer Nielsen-Studie mit rund 78.000 Hektoliter Absatz für etwa 0,4% des Umsatzes im deutschen Biermarkt. Auf der anderen Seite muss man feststellen, dass Craft trotz der geringen wirtschaftlichen Bedeutung für 60% der Medienwirkung steht. In mehr als der Hälfte aller Berichte über Bier ging es in den letzten Jahren um Craft, Rohstoffe, Startup und die Renaissance des Brauhandwerks. Das ist natürlich ein Riesengewinn und mit Geld nicht zu bezahlen. Craft Bier ist und bleibt ein Riesengeschenk für die gesamte deutsche Brauwirtschaft. Durch Existenzgründer, Sommeliers und Hobbybrauer, eine neue Bar- und Restaurant-Szene ist ein völlig neuer Blick auf Bier als Genussmittel entstanden. Das ist der eigentliche Ertrag der Craft-Bewegung. Der andere, der umsatzrelevante Ertrag ist hingegen eher bescheiden und wird auch in Zukunft klein bleiben. Ich fürchte sogar, dass viele Betriebe in diesem Bereich noch hart werden kämpfen müssen, um nicht unterzugehen.
Also ist da was dran, wenn manche Craft Brauer ihre Lage aktuell so ein bisschen so-la-la einschätzen und von einer Müdigkeit und Schwunglosigkeit sprechen?
Es war doch jedem klar, dass der Medienhype nicht von Dauer sein würde. Doch darauf will ich es nicht verengen. Tatsächlich ist in Deutschland ein neuer Markt für neue Biere entstanden. Die Craft-Beer-Szene ist nach wie vor ein Motor, der Funken schlägt und wichtige Impulse setzt. Dank einer weiter wachsenden Zahl von Neugründungen haben wir im Sommer die Marke von 1.500 Brauereien in Deutschland überschritten. Das sind alles Betriebe, die meist sehr, sehr unterschiedlich sind. In ihrer Ausrichtung, ihrer Positionierung, ihren Erfolgschancen. Aber natürlich gibt es gewisse Erfolgsfaktoren im Bereich Craft, die sich abzeichnen.
Welche sind das?
Entscheidend ist es, die Verbraucher mit ihren unterschiedlichen Erwartungen abzuholen und mitzunehmen. Aus meiner Sicht ist es sehr mutig, um es mal vorsichtig auszudrücken, als neue Marke mit sechs oder sieben IPAs in den Markt einzusteigen. Man darf die Konsumenten nicht überfordern. Warum nicht neben IPA, Stout und Wit ein Pils, ein Weißbier und ein Helles anbieten, mit einer ganz eigenen Note? Drinkability und Verbraucherkommunikation sind entscheidende Erfolgsfaktoren.
Was noch?
Ich nehme aus vielen Gesprächen mit, dass viele Craft-Brauer sich aktuell überlegen, wie sie vom Begriff „craft“ wegkommen. Manche empfinden ihn sogar schon als etwas geschäftsschädigend. Sie brauen Craft und können sich damit identifizieren, aber bei vielen Konsumenten hat sich leider der Eindruck eingeschlichen, man würde einmal im Leben ein Craft-Bier probieren und hätte damit schon das ganze Spektrum erlebt. Nach dem Motto: „Craft? – Ach, das hatte ich schon mal…“ Viele Menschen erkennen noch nicht, welche große Vielfalt dahinter steht.
Was ist mit dem Faktor Regionalität? Kann das auch zum Erfolg beitragen? Ich habe in der jüngeren Vergangenheit viele Brauer erlebt, die ganz bewusst sehr lokal gestartet sind, mit einer Kiez- oder Dorfbrauerei.
Schon vor zehn Jahren hieß es in der Lebensmittelindustrie: „Regio ist das neue Bio.“ Bei Bier gibt es seit jeher einen gewissen Lokalpatriotismus und das „Schornsteinprinzip“: In zehn, zwanzig Kilometern rund um den Schornstein der Brauerei wird das meiste Bier verkauft. Das gilt selbst bei den ganz Großen. Auch im Craft-Bereich gibt es viele erfolgreiche Beispiele von Brauereien, die es schaffen, nicht nur gutes Bier zu machen, sondern auch ein überzeugendes Storytelling, das auf ihre Marke einzahlt. Marken verbunden mit einer Lokalisierung haben gute Aussichten – sofern sie halten, was sie versprechen.
Wie meinen Sie das?
Wenn zum Beispiel groß „Berlin“ auf dem Vorderetikett steht, erwartet der Verbraucher, dass dieses Bier auch in Berlin gebraut wird. Und wenn dann hinten ganz klein und verschämt ein Produktionsort irgendwo in Deutschland auftaucht, dann steht eine Brauerei mit einem Fuß in der Verbrauchertäuschung, und dass kann richtig teuer werden. Wir sind da als Dachverband nicht die Kontrollinstanz, das ist Sache der Lebensmittelbehörden. Wir und unsere regionalen Verbände bieten den Brauereien aber eine fundierte Beratung an, zu der auch die Prüfung von Etiketten gehört, neben vielen anderen Fragen wie Brautechnik, Rohstoffe, Krisenkommunikation, Umwelt – oder Steuerrecht.
Eben fiel schon der Begriff Storytelling. Ist gutes Marketing ein weiterer Erfolgsfaktor?
Natürlich, insbesondere wenn das Interesse der Medien am Thema Craft-Beer langsam nachlässt. Große Unternehmen können sich PR- und Marketingabteilungen leisten, die sich Strategien ausdenken, wie man Themen setzt und Geschichten erzählt. Existenzgründerinnen und -gründer im Craft-Bereich müssen feststellen, dass man eine Gründungsgeschichte nur begrenzt lange erzählen kann und der Zauber, der allem Anfang inne wohnt, schnell verfliegt. Dann muss man sich weiter überlegen, welche Schwerpunkte man setzen, welche Aspekte man herausstellen möchte. Da ist Kreativität gefragt. Nur Bier machen allein reicht nicht. Am Ball bleiben ist die Devise. Weder junges Craft, noch 300 Jahre alte Traditionshäuser sind Selbstläufer. In diesen Genuss kommen nur ganz wenige Marken.
Wollen Sie noch einen Ausblick auf 2019 wagen – für die ganze Bierbranche?
Das ist die schwierigste Frage. Sicher freuen wir uns, dass wir die Schwelle von 1.500 Brauereien überschritten haben, und rechnen mit weiteren Neugründungen und noch mehr Biervielfalt. Aber das bedeutet auch: noch mehr Wettbewerb, noch mehr Druck. Für uns als Verband ist interessant zu sehen, was 2019 politisch bringt. Es gibt im Mai eine wichtige Europawahl, wichtig, weil auch Alkoholpolitik und Lebensmittelrecht europäisch geprägt sind. Ich vermute, wir steuern auf Bundesebene auf Neuwahlen zu, vielleicht schon im Sommer oder Herbst 2019. Und auch das wird eine wichtige Weichenstellung sein, für große wie kleine Brauereien.