„It’s been said that a vagabond is a wanderer, a nomad with no home.“ So geschrieben steht es auf der Homepage der Vagabund Brauerei. Und doch schreitet jetzt, nach jahrelanger Planung, der Bau der neuen Heimat – das Vagabund Kesselhaus – mit großen Schritten voran. Die Vagabund Brauerei findet endlich ihr neues Zuhause. Und was für eins. In den geschichtsträchtigen Osram-Höfen im Wedding entsteht auf rund 1500 Quadratmetern ein nagelneues 30/45 Hektoliter Sudhaus mit Bar und Biergarten.
Wo früher die Bergmann Electricitäts-Werke AG ihr Zuhause hatte und wo die ersten Glühbirnen in Deutschland produziert wurden, stand schon seit rund zwei Jahrzehnten ein ziemlich schöner, aber auch heruntergekommener Backsteinbau mit alten Leitungen und Asbest-Rohren leer. Genau das Gebäude hat es den Gründern der Vagabund Brauerei – Matt Walthall, Tom Crozier und David Spengler – angetan. Dabei war es ein Glücksgriff im zweiten Versuch.
Wir wollten sehen, wie der Bau der Brauerei in Zeiten von Corona voran geht und haben uns mit Matt darüber unterhalten, wie sie die neue Location gefunden haben, wie der Bau ablief (und noch abläuft) und was dort, in den Osram-Höfen, entstehen soll.
Der große Moment
Das Brauerei-Gebäude, so groß es auch ist, ist erstmal gar nicht so leicht zu finden. Im zweiten Hinterhof, die Polizeiwache und einen Food-Truck links liegen lassend, entdeckt man die zwei markanten Schornsteine und die Brauerei dann aber doch. Ein kleiner, improvisierter Biergarten ist schon aufgebaut, das Lebensmittelamt war gerade da und hat das Okay gegeben. Ein Problem weniger für Matt, der mit der Zeit zum Monster-Problemlöser wurde. Werden musste.
Noch ist das Gebäude fast leer. Eine Handvoll Handwerker gehen ihrer Arbeit nach. Unter anderem zwei Türbauer, die Türrahmen einsetzen und die Türen ausrichten. Wenig später schließt sich die erste Tür im Sudhaus und Matt ist euphorisch: „Das ist das erste Mal, dass ich die Tür geschlossen sehe.“ Schritt für Schritt.
Eine Woche später dann der nächste wirklich große Schritt. Der größte vielleicht. Endlich kommt die neue Anlage aus Bamberg. Der Sattelschlepper, der Kran, das herausgebaute Fenster – all das zeugt davon, dass hier jetzt richtig was passiert. Das Vagabund Kesselhaus hat seinen Namen nun wirklich verdient. Dem leeren Raum wird Leben eingehaucht. Die Installationen werden noch eine Weile brauchen, dafür bleibt das Team von Kaspar Schulz erst einmal zur Unterstützung in Berlin.
8 Meter hohe Decken
Aber beginnen wir etwas früher. Gegründet 2011, gibt’s die Biere der drei Amerikaner schon seit 2013 in ihrem Taproom in Berlin. Im Wedding. Die Gründungsgeschichte findet ihr hier. Schon damals, verrät uns Matt, hatten die drei die Vision von einer größeren Brauerei: „Als wir 2011 die Firma gründeten, haben wir schon darüber nachgedacht, eine größere Brauerei zu bauen, aber wir waren noch nicht so weit. Wir waren Hobbybrauer. Und der Markt war auch noch nicht so weit.“
Ein paar Jahre später sah das dann schon ganz anders aus. Anfang 2016 hat die Vagabund Brauerei ihre zukünftige (Zweit-) Heimat gefunden. Schon Monate vorher hat Matt den Aushang vor den Osram-Höfen gesehen: Gewerbeflächen zu vermieten! Also rief er dort an, mit einer ganz simplen Anforderung: „Hey, habt ihr irgendwas mit mindestens 8 Meter hohen Decken?“ Hatten sie (natürlich) nicht. Nur Büroräume – hieß es.
Aber wie es das Schicksal manchmal so will, hat Matt’s Frau eine Bekannte, deren Ehemann Architekt ist, und der die Höfe etwas besser kennt. Er hatte dieses nicht zu übersehende Gebäude im zweiten Hinterhof im Kopf – und hat Matt dann nochmal ins Spiel gebracht. Die Hausverwaltung hatte das runtergekommene Gebäude ganz einfach vergessen. Wer würde das Risiko schon eingehen? Alte Asbest-Rohre, alte Leitungen, alles musste neu gemacht werden. „Wir waren dumm genug“, sagt Matt heute lachend. Und die Decke, die ist 13 Meter hoch.
„Ich ging ins Bett und bin jeden Tag mit Panik aufgewacht!“
Jetzt könnte man meinen, dass gerade in Berlin die Suche nach einem passenden Ort für die Brauerei schon die größte Herausforderung ist. Naja, war es bei der Vagabund Brauerei nicht ganz. Ein Architekt wurde gewechselt, die Original-Pläne des Gebäudes passten nicht, der Boden musste für viel Geld erneuert werden. Ob der Corona-Ausbruch auch noch eine Rolle gespielt hat, wollten wir wissen, und bekamen eine überraschende Antwort von Matt: „Wir hatten schon mit genügend Desastern zu tun. Als Corona dann begonnen hat, war es mehr ein ‚Here we go again‘.“
Trotzdem musste der Taproom in der Antwerpener Straße erstmal dicht machen und das gesamte Team ging in Kurzarbeit. Aber auch hier kam den Vagabunden das Glück (oder vielleicht auch einfach der Fleiß) zur Hilfe. Die Investoren – „kein Venture Capital“ – von denen rund die Hälfte schon bei der Startnext Kampagne 2013 dabei waren und von denen viele einen Non-Profit Background haben, blieben ruhig und unterstützten weiter.
Außerdem wurde kurz vor Corona ein zusätzlicher Mitarbeiter für den Verkauf und einer für’s Marketing eingestellt – Glück und Unglück in Einem. Denn natürlich ist ein Einstieg mit Kurzarbeit wenig später nicht gut. Aber so konnte die Vagabund Brauerei ihren Vertrieb Corona-gerecht umgestalten. Damit ist neben der Umwandlung des Taprooms in einen Bottle-Shop mit Lieferservice vor allem ein großer Schritt gemeint, der viel Überwindung gekostet hat: Vagabund wurde in ausgewählten Rewe- und Edeka-Märkten gelistet. Und das, obwohl Matt selber vor einiger Zeit noch gesagt hat, dass er das Bier nicht in Supermärkten verkaufen will. Aber Corona änderte auch das: „Wo sonst sollten wir unser Bier noch verkaufen?“
Das Vagabund Kesselhaus
Für das neue Vagabund Kesselhaus gibt es eigentlich nur eine Corona-Anpassung. Die Küche wird erstmal nicht gebaut, erklärt Matt: „Wir bauen die Küche später, weil alleine die kann 100.000 € kosten. Wir würden all das Geld hinein stecken und können sie nachher nicht unter voller Auslastung nutzen. Ich möchte das Geld lieber erstmal beiseite legen, sollte es im Herbst oder Winter nochmal eine Schließung geben.“
Die Bar im Erdgeschoss mit angeschlossenem Biergarten und das bald mit einem Lastenaufzug ausgerüstete Kesselhaus im 1. Obergeschoss (ja, richtig gehört!) bilden erstmal die Herzstücke des historischen Gebäudes. Eine Eventlocation im Sudhaus ist auch schon in Planung. Die Flaschenabfüllung bleibt vorerst im CraftZentrum in Spandau, für die Dosen (vor allem für den Export) setzt die Brauerei auf mobile Abfüllung. Der Platz ist knapp. Gebraut wird aber bald alles im Wedding.
Ende September soll dann voraussichtlich der erste Sud die neue Brauerei verlassen: Ein Old Classic American Pale Ale!
(Titelbild: Vagabund Brauerei)