Dosen wie seltene Jagdtrophäen: Wer die Chance hat, ein Heady Topper zu ergattern, der schlägt zu. Kaum ein Bier hat einen solchen „Muss-man-mal-getrunken-haben“-Nimbus wie das Signature Beer aus der Brauerei The Alchemist in Vermont. Gründer John Kimmich könnte gigantische Mengen davon absetzen – tut er aber nicht. Hier erklärt er uns, warum!
Um als Brauer oder Brauerei auf der ganzen Welt bekannt zu werden, gibt es eigentlich nur einen Weg: Du musst dein Bier auf der ganzen Welt verkaufen.
Doch wie schafft man es, eine echte Koryphäe der Bierwelt zu werden, wenn man sein Bier nur in einem 25-Meilen-Radius rund um eine gar nicht mal große Brauerei in Waterbury, Vermont, vertreibt?
Eigentlich ganz einfach: Man muss ein Bier brauen, das so gut ist, dass Menschen aus der ganzen Welt bereit sind, nach Waterbury zu kommen.
John Kimmich und seine Frau Jen haben mit ihrer Brauerei The Alchemist und dem famosen „Heady Topper“ IPA genau das geschafft.
„Kenn dein Limit“ – anders interpretiert: Jeder nur sechzehn Dosen
Bierliebhaber aus allen Enden des Globus pilgern in die kleine Stadt im Nordosten der USA, um dort ein Bier zu trinken, von dem sie am Ende nicht mal so viel mitnehmen können, wie sie vielleicht wollten – die Produktion von The Alchemist ist überschaubar, der Verkauf ihrer Biere ist streng limitiert – und die Nachfrage riesig!
Der Ökonom würde von „künstlicher Knappheit“ sprechen. Kann super funktionieren, um dein Produkt attraktiver – und damit auch teurer – zu machen. Nur ist John so gar kein Ökonom und hat eigentlich ganz andere Gründe, warum er von seinem Heady Topper, einem der begehrtesten Biere der Craft Beer Szene, nicht einfach viel, viel mehr braut. Während eines Besuches bei Stone Brewing Berlin hat er uns davon und von seiner Dosenphilosophie erzählt.
Viele Brauereien haben sich inzwischen für Dosen statt Flaschen entschieden. Wir kennen die Vorteile – kein Licht, kein Sauerstoff, vielleicht ökologischer. Du aber schreibst dazu noch explizit auf die Heady Topper und Focal Banger Dosen: „DRINK FROM THE CAN!“ Warum willst du, dass dein Bier aus der Dose getrunken wird? Glaubst du nicht, dass die richtigen Gläser Bieren und deren Aromen gut tun?
Also ehrlich gesagt, wenn du das Bier einmal gekauft hast, kannst du es von mir aus aus deinem Schuh trinken – mir ist es ganz egal. Es ist dein Ding. Aber für mich persönlich ist die Dose das perfekte Gefäß. Es ist wie ein eigenes kleines Fass und wir setzen alles daran, dass das Bier perfekt in die Dose kommt. Wenn also unsere Kunden das Bier kalt halten, es frisch trinken und vorsichtig damit umgehen, können sie es genauso perfekt trinken wie wir. Und aus der Dose zu trinken, ergibt wirklich Sinn, wenn du darüber nachdenkst: Kohlensäure steigt auf und legt sich auf das Bier, das hält den Sauerstoff raus. Ich hab das Bier mal zwei Stunden in der geöffneten Dose stehen gelassen, kam zurück und es war immer noch der Hammer. Wenn das selbe Bier für zwei Stunden in einem Glas gestanden hätte, hättest du es weggeschüttet.
Aus welchem Grund schreibst du kein MHD auf deine Dosen?
Für uns kommt das gar nicht in Frage. The Alchemist ist so klein und lokal. Viele Kenner schauen darauf und reagieren nach dem Motto: „Oh das ist neun Tage alt, das ist nicht mehr gut.“ Das ist für mich einfach verrückt. Craft Beer ist heutzutage oftmals zu frisch. Ein Bier braucht Zeit um sich zu ändern und zu dem zu werden, was es sein soll. Lass mich eine kurze Geschichte dazu erzählen: Damals als wir den Pub noch hatten, habe ich das Heady Topper an den Hahn geschlossen. Ich habe es jeden Tag getrunken und immer wieder probiert, bis der Tank leer war. Ich erinnere mich daran, als es 10 Wochen alt war. Das war es ein absoluter WOW-Moment. Angenommen das Bier in der Dose ist 4 Wochen alt und die Leute trinken es. Dann hatte das Bier gar nicht die Chance zu dem zu werden, was es werden kann.
Ein unfiltriertes Bier ist Leben und das ändert sich mit der Zeit. Wenn ich also meinen Job mache und das Bier perfekt in die Dose bringe, kannst du es einfach in deinen Kühlschrank legen und probieren. Nach einem Monat, nach 6 Monaten, nach 12 Monaten. Es wird immer noch gut schmecken, aber anders! Ich sag meinen Kunden häufig: Wenn du dir ein paar Heady Topper kaufst, leg sie in den Kühlschrank und probiere jeden Tag eine Dose. Achte darauf wie es sich mit der Zeit ändert. Wenn du deinen Job als Brauer nicht richtig gemacht hast, ist das Bier nach zwei Wochen nicht mehr genießbar. Aber wenn du deinen Job gut gemacht hast, dann schmeckt es immer noch. Wir haben mal zwei Jahren alten Heady Topper probiert. Komplett anders als frischer, aber immer noch köstlich und hopfig – einfach nur anders.
Hat die Größe deiner Dosen etwas mit der Frische zu tun? Warum benutzt du nur Pint Dosen?
Nein. Es fühlt sich einfach gut an in der Hand. Die 12 oz (ca.0,33l) Dosen sind zu klein! Wenn ich nur eine Dose trinken will, sind 12 oz nicht genug, 32 oz sind zu viel, 16 oz sind genau richtig.
Du braust und vertreibst dein Bier nur in Vermont, was für den europäischen Biertrinker ziemlich schade ist. Hast du nicht eine Art treibende Business-Kraft in dir, die sagt: Produziere mehr Bier und vertreibe das Ganze weltweit?
Klares Nein. Bin ich motiviert durch Stolz und Begierde und Geld? Oder bin ich motiviert durch Zufriedenheit, Genügsamkeit und ein gutes Leben? Als ich angefangen habe mein eigenes Bier zu brauen, wollte ich einfach nur mein eigener Chef sein, für mich selbst arbeiten. Ich hatte keine Lust mehr darauf, dass Menschen mir den ganzen Tag sagen, was ich zu tun habe. Als ich dann mein eigener Chef wurde, war ich glücklich.
Was brauch ich denn mehr? Ich brauche nicht mehr Geld, nicht von allem mehr und mehr. Ich will einfach Zufriedenheit und Erfüllung und am Ende des Tages mein Bier aufmachen und wissen, dass es das Beste ist, was ich leisten konnte. Und es ist köstlich. Und ich will’s trinken. Das motiviert mich. Ich will nicht der Größte sein! Wir könnten 250.000 Barrel (400.000 Hektoliter) im Jahr von unserem Bier verkaufen – aber warum sollten wir? Ich will abends, wenn ich mich schlafen lege, wissen, dass die Leute, die für The Alchemist arbeiten, auch glücklich sind, dass sie gut versorgt sind und dass sie mit mir diesen Weg gehen.
Du hast mal gesagt, dass es schwer ist, Personal zu finden, das in Vermont arbeiten will, Leute die nicht nur möglichst schnell, möglichst viel Wissen aufgabeln wollen, sondern längerfristig bleiben wollen. Wie findest du deine Mitarbeiter?
Ich stelle keine Brauer an. Ich suche Menschen, die hart arbeiten können und einen guten Job brauchen. Das ist alles. Wenn du hart arbeitest, und du einen guten Job brauchst, komm! Ich bring dir alles bei, was du wissen musst. Ich zeige dir, wie man gutes Bier braut, ich zeige dir, wie man es verpackt, ich zeige dir, wie man mit Kunden umgeht. Aber wenn du kommst und sagst: Ich will Bier machen, ich will der Größte sein, dann such dir was anderes.
Ich liebe Vermont wirklich, aber es ist echt schwer, dort einen guten Job zu finden. Einen, bei dem du nicht bis 75 arbeiten musst und dann stirbst. Ich will, dass unsere Angestellten einen guten Job haben und dass sie in ihrer kleinen Welt glücklich sind. Das macht mich auch glücklich. Ich will nicht der König der Welt sein. Ich will, dass alle mit mir mitziehen. Und gerade was Geld angeht, wie viel ist genug? Wenn du ein Dach über dem Kopf hast, jeden Tag satt wirst und Leute um dich rum hast, die du liebst – das ist genug! Es sollte genug sein und es ist genug! Das vergessen die meisten Menschen. Warum brauche ich mehr? Nur weil die Gesellschaft mir sagt, dass ich mehr brauche?
Ich habe gehört, dass du direkt in euren Pub gefahren bist, nachdem du gehört hast, dass Hurrikan Irene 2011 Waterbury getroffen hat und der Fluss über die Ufer getreten ist. Als du die ganze Zerstörung gesehen hast, hast du dir ein letztes Pint gezapft. Ist das eine wahre Geschichte?
Ist es. Das Wasser stand mir zwar noch nicht bis zu den Knien, aber ich kam spät nachts an. Unser Pub war gleich neben einem kleinen Hügel. Also bin ich rauf und hab das Wasser auf den Pub zukommen gesehen. Dann bin ich hinunter in den Pub. Ich habe die Tür geöffnet und hinein geschaut. Ursprünglich ging dort die Treppe runter zu den Büros, zur Brauerei, zum Essen – alles war dort unten. Aber die Treppe war einfach nicht mehr zu erkennen. Da hat es bei mir Klick gemacht und ich habe begriffen, dass das Wasser ist. Unser ganzer Keller stand unter Wasser.
Also habe ich die Tür geschlossen, bin rüber zum Zapfhahn, stand hinter der Bar und habe unter mir gehört, wie die Tanks immer wieder an die Decke gestoßen sind. Da war es einfach mein erster Instinkt mir ein Glas zu schnappen und mir ein Bier – ein IPA, ein Holy Cow IPA – zu zapfen. Dann kam das Wasser langsam hoch und hat sich auf dem Boden ausgebreitet, da bin ich raus, hab die Tür abgeschlossen und mir war klar: Das wars!
Deine Dosen hätten vermutlich gerettet werden können, du hättest nicht alles verloren. Hatte das einen Einfluss auf deine Entscheidung, dein Bier in Dosen abzufüllen?
Nein. Das ist im August passiert, im vorherigen Dezember haben wir unseren Angestellten gesagt, dass wir die neue Brauerei bauen und anfangen, Heady Topper abzufüllen. Ich hab den ganzen Sommer daran gearbeitet. Die Flut kam Sonntag, Dienstag morgen hatten wir das erste Heady Topper abgefüllt. Wie gesagt, wir haben den ganzen Sommer daran gearbeitet, dann kam der Sturm und wir waren wirklich schockiert. Allein dank meiner Frau Jen haben wir die neue Brauerei gebaut. Sie war diejenige, die ein Jahr zuvor gesagt hat, dass wir etwas anderes machen müssen. Wenn wir das nicht getan hätten, gäbe es The Alchemist heute nicht mehr.
Gibt es einen Brauer mit dem du gerne zusammenarbeiten würdest, jemanden mit dem du noch nicht zusammen gearbeitet hast?
Ich mache nicht viele Kollaborationen. Stone zum Beispiel kam zu uns, als Hurrikan Irene gerade vorüber war. Mitch Steele (damals Headbrewer bei Stone Brewing) hat mich gefragt, wie sie helfen können. Und ich habe ihm gesagt, dass wir irgendetwas machen müssen, um Geld für die Menschen in Waterbury zu sammeln.
Zwei Tage später hat er mich nach San Diego eingeladen und mir angeboten, zusammen ein Bier zu brauen. Greg Koch stand ebenfalls hinter uns, also sind meine Frau, mein Sohn und ich nach San Diego geflogen. Ich habe damit gerechnet, dass wir vielleicht 10.000 Dollar für die Stadt sammeln. Ich hatte ja keine Ahnung. Wir brauten also das Bier, verkauften es und am Ende hat Stone den Erlös auf 118.000 Dollar aufgestockt. Nur für unsere kleine Stadt. Das hat mich komplett umgehauen.
Als jetzt in Kalifornien die Waldbrände ausgebrochen sind, hab ich meinen Freund Vinnie Cilurzo von Russian River kontaktiert und wir haben darüber gesprochen ein ähnliches Projekt auf die Beine zu stellen. Ich mach das nicht nur einfach so. Wenn Leute Hilfe brauchen, steige ich ein und wir machen was!
(Aufmacher: John Kimmich. Foto: Moritz Meyer, Stone Brewing Berlin)