Der Chef – immer wieder kommt Frank Lucas auf den Chef zu sprechen. Dass auf seinem Poloshirt nur sein Vorname steht, das habe der Chef so festgelegt. Nachnahmen sind hier Nebensache. Die Lage der Branche sei schwierig, ja. Aber der Chef sage immer: „Es gibt keine Probleme, sondern nur Herausforderungen.“ Auch das, was sie hier machen, „seltene Biere“ nämlich, „ist eine Schöpfung des Chefs“, erklärt Frank. Überhaupt, „die ganze Brauerei wurde um das Konzept des Chefs herum gebaut“.
Frank Lucas ist Braumeister der Inselbrauerei auf Rügen, zuständig für die Qualität der Produkte und die Entwicklung neuer Biere. Außerdem ist er deutscher Meister und Vize-Weltmeister der Biersommeliers. Es ist Mittwochvormittag und er führt eine Besuchergruppe durch die Brauerei im kleinen Ort Rambin. Erstmal gibt es ein Glas Gose. Und Frank macht gleich klar, dass das hier keine normale Brauerei ist. Ihre Baltic Gose brauen sie mit Meersalz, Gewürz und Bière-Brut-Hefe. Ein alter Bierstil, älter als das sogenannte Reinheitsgebot, sagt Frank. In Bayern bekomme man für solche Biere keine Braugenehmigung, aber das Landwirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern sei da lockerer drauf.
„Unsere Idee war es, seltene Biere zu brauen. Das sind wenig bekannte, vergessene oder selbst kreierte oder interpretierte Bierstile“, erklärt der Chef, Markus Berberich, auf der Homepage der Inselbrauerei. „Dabei schauen wir gerne nach Belgien und über den großen Teich“, ergänzt Frank. Das meistverkaufte Bier ist derzeit ein von den Inselbrauern auf besondere Weise interpretiertes East Coast IPA.
So selten die Bierstile, so einzigartig ist die Arbeitsweise der Inselbrauer: Die Biere gären zunächst in flachen, offenen Gärwannen, also ohne den Druck, der normalerweise in Tanks durch das bei der Gärung entstehende Kohlendioxid verursacht wird. „Nur so können unsere Hefen ihr komplexes Duft- und Geschmackspotenzial entfalten“, lautet die Erklärung. In Tanks wird „nachgegärt“. Die dritte Gärung findet in der Flasche statt – mit einer zweiten Hefe für die Perfektionierung des Geschmacks, der Schaumstabilität und der feinperligen Kohlensäure.
Auch wenn das, was da auf Rügen gebraut wird, das Gegenteil von Industriebier ist, verwende man den Begriff „Craft Bier“ ungern. Zum einen treffe es die Wortschöpfung „Seltene Biere“ besser. Zum anderen sagt Frank: „Bier ist Bier.“
Ganz so formuliert es der Chef nicht. Dass die Inselbrauerei gut durch die Pandemie gekommen ist und sich mit ihren Produkten in einem schwieriger gewordenen Markt behauptet, liege daran, dass Bier eben nicht gleich Bier ist. „Was wir brauen, braut sonst niemand in Deutschland“, sagt Markus Berberich. Die Biere werden in rund 2000 Läden in Deutschland verkauft, heben sich dort durch einen überdurchschnittlich hohen Preis und das Papier ab, in das die Flaschen eingewickelt sind. Diese Verpackung erzeugt nicht nur Aufmerksamkeit, sie bietet auch Platz für Informationen zum Bier: bei welchen Temperaturen man es trinkt, wie es riecht und schmeckt, zu welchem Essen es passt.
Die „Kaufzurückhaltung“ der durch Inflation, Ukraine-Krieg und die Nachwehen der Pandemie verunsicherten Kunden, spüre man zwar auch, sagt Markus. Aber nicht so stark wie andere Brauereien. Man habe sich „nicht zu Panikreaktionen hinreißen lassen“, erklärt er. Die Inselbrauerei ist ihrem Konzept treu geblieben, hat keine Mainstream-Biere gebraut, die man vermeintlich günstiger und in größeren Mengen verkaufen kann. „Es gibt verdammt gutes Pils und Weizenbier. In diesen Wettbewerb brauchen wir nicht reinzugehen. In einen Markt zu gehen, der eh schon überbesetzt ist, würden wir nie tun“, versichert er.
Dann lieber einen für die Brauerei ganz neuen Markt erschließen: Cider! Wie bei seinen Bieren, setzt Markus auf ein Produkt, das aus dem Rahmen fällt und damit, wie er sagt „eine Berechtigung“ hat. Auch der Cider von der Insel reift in der Flasche – ohne Zuckerzusatz, ohne Konservierungsstoffe. Das Apfelsaftkonzentrat wird aus Äpfeln, die in Pommern wachsen, hergestellt. Dazu kommen „Meersalz, natürlichen Aromen und ein Hauch von Kräuterextrakt“, wie die Inselbrauer mitteilen. Vergoren wird mit Prosecco-Hefe.
Die Markteinführung sei gut gelaufen, sagt Markus. Es laufe überhaupt gerade ganz gut. 2014 hat er die Brauerei mit Andries und Frans de Groen gegründet, seit 2015 wird auf dort gebraut. Heute sind die Biere mit dem Papier drumherum nicht nur deutschlandweit im Handel, sondern werden in 38 Länder exportiert – vor allem nach Japan, Australien, Korea, Frankreich und in die Schweiz. Die Industrie- und Handelskammer hat die Inselbrauerei vor wenigen Wochen als „Export Newcomer“ ausgezeichnet. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig hat es sich nicht nehmen lassen, Markus die Urkunde persönlich in die Hand zu drücken.
Ein Grund, übermütig zu werden, ist das für den gebürtigen Saarbrücker, der im Saarland in einer kleinen Brauerei angefangen hat und zuletzt Geschäftsführer und Braumeister bei Störtebeker in Stralsund war, aber nicht. Es gebe in der Bierbranche „Wellenbewegungen“. Der Markt bereinige sich gerade. „Viele, die national gestartet sind, ziehen sich in die Regionalität zurück. National wird die Luft dünner. Aber wir sind da gut dabei“, sagt Markus. Gerade in einer Zeit, die schwierig ist für die Branche, müsse man investieren. Ins Marketing zum Beispiel, denn: „Man muss sich jetzt zeigen.“ Außerdem stellt die Inselbrauerei weitere Vertriebsmitarbeiter ein. Und man müsse sich treu bleiben. Wie beim neuen Cider: Flaschengärung im Mehrwegsystem, hochwertige Rohstoffe, Papier um die Flasche rum. „Unsere DNA, unser Preisbild“, sagt der Chef.
(9. Juli 2023)