Neukölln galt wegen seiner vielen Brauereien einst als ein beliebtes Wochenendausflugsziel für Säufer und als der Sündenpfuhl Berlins. Aber dann kamen die Handy- und die Dönerläden. Jetzt schickt sich ein Amerikaner an, hier wieder Bier zu Brauen. Craft Beer namens Berliner Berg.
Inzwischen kann der Richie wieder schlafen. Denn er hat jetzt einen Plan. Einen Putzplan. Quasi. Sonst hätte ihm die Sache mit den vielen kleinen Biestern keine Ruhe gelassen.
„Im Ernst, das ist schon komisch: Als Brauer setzt du dein ganzes Leben alles daran, diese Mikroorganismen von deinem Bier fern zu halten. Und jetzt hole ich sie mir freiwillig in die Brauerei“, sagt er und zeigt auf die hübsche, backsteinerne Remise im Hinterhof eines Wohnhauses im Neuköllner Rollbergkiez. Da nämlich ist seine Brauerei. Nein: Da wird sie sein. Bald. Nicht so bald, wie es der ungeduldige Brauer gerne hätte, aber bald. Ab August 2015 braut Richard Hodges hier Berliner Weisse. Mit Brettanomyzes und Milchsäurebakterien, jenen kleinen Biestern also, die eigentlich kein Brauer in seiner Brauerei haben will, weil sie Bier sauer und mies machen. Richie hat sich deshalb noch bevor hier auch nur ein Tank und ein Schlauch angekommen sind, Gedanken über die nötigen Hygienemaßnahmen gemacht. Für eine echt originale und traditionell gebraute Berliner Weisse sind die Biester nun mal unverzichtlich.
„Berliner Berg“ heißt Berlins jüngste Craft Beer Brauerei, die sich eben vor allem dem Berlinischsten aller Berliner Biere verschrieben hat, der Weissen. Dahinter stecken neben Richard Hodges als Braumeister auch Uli Erxleben, Finn Hänsel und Robin Weber. Diese drei haben sich in ihren Jobs bei dem eCommerce-Inkubator Epic Companies kennengelernt. Männer aus dem Internet. Finn hat auch schon einen Onlineshop in Australien gegründet, Uli im Silicon Valley gearbeitet. Start-Up-Menschen also. Aber mit großer Bierliebe.
Enthusiasmus allein ist nicht alles
Als ProSieben seinen Inkubator im Herbst letzten Jahres dicht machte, schauten sich die drei Männer tief in die Augen und beschlossen, aus dieser Liebe mehr zu machen und ein Bierbusiness zu gründen. Bierbusiness, weil sie damals noch nicht wussten, dass sie im Sommer 2015 eine eigene Brauerei eröffnen würden. „Wir haben alle drei Erfahrung im Bereich Unternehmensaufbau“, sagt Robin, „und statt des nächsten eCommerce-Projektes wollten wir lieber dieses Leidenschaftsthema machen.“ Vielleicht eine Craft Beer Bar? Vielleicht Gypsie-Brewing? So etwas in die Richtung? Dabei waren sie aber auch ganz ehrlich zu sich selbst: „Wir sind drei Enthusiasten, aber das reicht nicht, jetzt brauchen wir auch noch jemanden, der sich mit Bierbrauen auskennt.“
Ungefähr zu selben Zeit wurde Richie Hodges in München klar, dass er seinen Job als Braumeister bei Crew Republic aufgeben wollte. Über die genauen Gründe möchte er nicht sprechen, nur eben so viel: Er hatte seine Gründe. „Ich habe gemacht, was für mich richtig war. Irgendwann war es nicht mehr meins und dann musste ich gehen.“ Trotzdem sei ihm die Entscheidung natürlich schwer gefallen, vor allem, weil er wusste, dass das automatisch seinen Abschied aus München bedeuten würde. Andere Craft Beer Brauereien, die ihn als Braumeister hätten anstellen können, gibt es dort nicht.
München? Deutschland? USA?
„Ich habe also überlegt: Mache ich mich selbstständig? Bleibe ich in Deutschland? Oder gehe ich zurück in die USA?“ Geboren wurde Richard Hodges in Virginia, angefangen zu Brauen hat er in Texas, als Student und Hobbybrauer mit größten Ambitionen und Lust auf mehr. Er begann, in einer Hausbrauerei zu arbeiten und wurde Chefbrauer. Aber irgendwie wollte er mehr lernen. So richtig ordentlich und von Grund auf. Am besten da, wo ordentliche und gründliche Menschen leben, die wissen, wie man Bier braut: in Deutschland. Er schrieb sich für ein paar Semester an der TU in Weihenstephan ein und machte dann seinen Meisterbrief an der Doemens Akademie in München-Gräfelfing.
„Zurück zu gehen war mein Backup-Plan. Es hätte Schlimmeres gegeben. In den USA steht die Craft Beer Szene zur Zeit vor dem Problem, dass es so viele Brauereien gibt und so wenig Leute, die Ahnung haben. Also Ahnung im Sinne von einer soliden Ausbildung. Man spricht von einer Blase und ich glaube, da könnte was dran sein. Klar, die haben alle Leidenschaft fürs Brauen und wissen einiges vom Hobbybrauen, aber es fehlt vielen eine umfassende Ausbildung, wie man sie hier in Deutschland bekommen kann. Deshalb glaube ich, wäre ich mit meinem Know-How schon irgendwo untergekommen“, sagt Richie.
Aber die drei Craft-Beer-Start-Up-Gründer aus Berlin waren schneller. Als sie mitbekamen, dass der Braumeister auf dem Markt ist, sprachen sie ihn direkt an ob er nicht Mitgründer ihrer Craft Beer Marke sein wolle. Und sie hatten einen großen Trumpf im Ärmel: Berlin. „Ist ganz anders als München, hat mir aber gleich gefallen“, sagt Richie. „Und das Beste: Es gibt hier eine richtige Craft Beer Szene. Man hat schon fast das Gefühl Craft Beer ist hier überall.“
Damit hatten die Craft Beer Neulinge also schon mal das Wichtigste beisammen: Idee? Check! Bierliebe? Check! Braumeister mit erstklassigem Ruf und fundiertem Brau-Know-How? Check, Check! Fehlt nur noch ein richtig guter Name. „Der Prozess der Namensgebung war einigermaßen schmerzhaft“, sagt Robin. Es gab eine lange Liste und trölfzigtausend Möglichkeiten – aber die zündende Eingebung hat irgendwie gefehlt.
Berliner Berg war Mamas Idee
Robin hat getan, was man bei allen kniffligen Fragen des Lebens am Besten tut: Er hat seine Mama gefragt. Und natürlich hatte seine Mama auch prompt eine hervorragende Idee: Berliner Berg. Das wäre doch ein schöner Name. Und macht dazu noch Sinn: „Der Berg war ja traditionell der Ort, an dem sich Brauereien angesiedelt haben“, erklärt Robin. „Insbesondere ab der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, als mit der wachsenden Popularität der untergärigen Lagerbiere immer größere, kühle Keller gefragt waren.“
In Berlin siedelten sich geballt viele Brauereien im Prenzlauer Berg an – und eben hier in Neukölln, am Rollberg. Rixdorf hieß die Gegend früher. Und sie hatte einen fürchterlich miserablen Ruf. Eben wegen der Brauereien. Suff und Gomorra soll das hier gewesen sein. Robin weiß das alles, weil er sich in den vergangenen Wochen zusammen mit Richie viel in der Bücherei der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei herumgetrieben hat. Bierrecherche.
Im Zuge einer Art Stadtmarketingkampagne des frühen zwanzigsten Jahrhunderts wurde Rixdorf in Neukölln umbenannt. Man dachte, mit einem neuen Namen könnte der üble Ruf vergehen. Hat natürlich nicht geklappt, eine Aufwertung erfährt der Stadtteil eigentlich erst jetzt, in den letzten paar Jahren, in denen sich immer mehr immer schickere Cafés und Restaurants unter Handyläden und Spielotheken des Bezirks mischen.
Berliner Berg am Rollberg
Und jetzt also auch eine Craft Beer Brauerei mit eigenem Ausschank, einer Art Taproom. Auf die Brauerei hat Richie bestanden: Nicht nur, dass er in den letzten Jahren als Gypsiebrewer unterwegs war und der Wunsch nach „was Eigenem“ dabei ständig gewachsen ist. Sondern er überzeugte die drei anderen, dass es quasi unmöglich ist, eine originale Berliner Weisse, also mit dem Biestern, anderswo zu brauen. „Die lässt kein Brauer gern in seine Brauerei“, sagt er. Aus Angst sein anderes Bier könnte schlecht werden.
Also entschieden sich die vier für eine eigene Anlage. Nur etwas kleines, eine fünf Hektoliteranlage für die Berliner Weisse und den einen oder anderen Versuchs-, Collaboration-, Letsgocrazy-Sud. Darüber hinaus wird der Berliner Berg aber auch Pale Ale und ein Lager machen. Das Pale Ale soll mehr so sein, wie die amerikanischen Pale Ales vor zehn Jahren, vor dem ganze großen Craft Beer Boom waren, sagt Richie. Und das Lager? Das wird einfach gut. Ein straightes Lager mit einem besonderen Twist, oder so: „Ich bin ein großer Fan von Lager Biere. Und keine Frage: Es gibt gute Lager in Deutschland. Jeder, der etwas anderes sagt, lügt. Aber den Geschmack kann man noch besser machen, neu interpretieren, auch mit einem traditionellen Hintergrund“, so der Brauer. Damit die Weisse-Biester diesen Bieren aber nichts anhaben können (und um entsprechendes Volumen produzieren zu können), werden die außerhalb in Lizenz gebraut. Anderenfalls bekäme der arme Brauer Richie ja auch trotz Putzplan bis ans Ende seiner Zeit kein Auge zu.
Auf einen Blick
Berliner Berg
Uli Erxleben, Finn Hänsel, Robin Weber und Michele Hengst, Berlin-Neukölln
in Mikrobrauer-Map anzeigen
Bekannteste Biere:
- Berliner Berg Pale Ale
- Berliner Berg Irish Stout
- Berliner Berg Lager
- Berliner Berg California Wheat
Hopfenhelden's Choice:
- Pale Ale - ganz bewusst keine Hopfenbombe, sondern mit einem satten Malzkörper