Beer handcrafted by Winemakers

Mathias Schön


Der äusserste nördliche Rand der Schweiz ist auch diesmal mein Ziel auf meiner Erkundungsreise zu innovativen Brauereien. Den Rhein immer in der Nähe ist diese Gegend eher für die Erforschung und Nutzung der Kernenergie bekannt. Mit dem weit sichtbaren Kühlturm des Kernkraftwerks Leibstadt im Norden und dem eher unauffälligen Teilchenbeschleunigerring (der kleine Bruder des CERN) im Paul-Scherrer-Institut im Süden, liegt Kleindöttingen malerisch in einer Weinbauregion. Und Wein ist genau der Grund für meine Reise, denn zwei Winzer haben sich vor gut zehn Jahren entschlossen gemeinsam hochwertige und charaktervolle Bier zu brauen. Der Australier Christopher Chen und der Belgier Luc Van Loon stehen hinter der Marke „Chen + Van Loon“ mit ihrer Vision „Beer handcrafted by Winemakers“. Ich treffe mich heute mit den beiden heutigen Betreibern der Brauerei, Vater und Sohn, Luc und Jan Van Loon.


Mathias: Luc, Du bist vor über 30 Jahren ja nicht in die Schweiz gekommen, um Bier zu brauen, oder?


Luc: Ich bin Agraringenieur, der sein Handwerk in Leuven (Hauptsitz von AB InBev) gelernt hat. Vor allem die Gärung hat mich schon von Kindesbeinen her interessiert, sodass ich mit 16 Jahren schon meinen ersten Zwetschgen-Wein ansetzte. 1988 hat mich eine Postdoc-Stelle ans PSI (Paul-Scherrer-Institut) gebracht. Seitdem beschäftige ich mich mit radioaktiven Abfällen und geochemischen Prozessen, alles im Auftrag der Nagra auf der Suche nach einem geologischen Tiefenlager. Das Berufliche war aber immer begleitet von der Leidenschaft für Wein und Bier. Seit 15 Jahren pachte ich zwei Weinberge, von dem ich meinen Wein keltere. Und genau dieses Hobby war der Grundstein für die Idee, ein eigenes Bier zu brauen.

Mit Wein fing es an – und auch beim Bier erinnert einiges an Wein. Fotos: Chen + Van Loon


Mathias: Warst Du mit der Qualität Deines Weins nicht zufrieden, oder warum sollte es auf einmal Bier sein?


Luc: 2011 lernte ich Christopher Chen kennen, der als professioneller Önologe hauptberuflich viel mit Wein in unserer Gegend zu tun hatte. Irgendwie kamen wir schnell auch auf das Thema Bier und mit einiger Verzögerung brauten wir 2013 unser erstes «Australian Pale Ale» unter Anleitung meines Bruders, der in Belgien schon seit langem selbst braut. So starteten wir auf einer 50l Anlage, gefolgt von einem 200l Braumeister, bis wir uns dann mit einer 300l Anlage in unserem heutigen Standort im ehemaligen Weinkeller in Neuenhof einmieteten.


Mathias: Jan, war Dein Vater die treibende Kraft in Richtung Bier? Oder was war Dein Zugang zu Bier?


Jan: Mit belgischen Wurzeln ist Bier irgendwie immer ein Thema und so hatte ich mein erstes Bier mit 14 zu Silvester, bei dem der Bierkühlschrank unbeaufsichtigt in der Scheune stand und wir diese Gelegenheit unter Freunden nutzten. Es war ein Leffe und ab da hat mich Biergenuss immer begleitet und ist nie in Saufgelage ausgeufert. Schon in den ersten Jahren des Brauens von Chen+ Van Loon Bier ist die Frage: „Hast mal Zeit zu Helfen?“ von meinem Vater gekommen. Denn zu jenem Zeitpunkt war Christopher im Waadtland beruflich tätig und somit nicht immer im Aargau, wenn es Arbeit in der Brauerei gab. Aus diesem «mal Zeit um Helfen» wurde dann schnell ein „ich möchte helfen und dabei sein“. Und so sind wir jetzt da, wo wir stehen. Ich habe begonnen, die Brauerei zu übernehmen – also schon fast eine Generationenübergabe, auch wenn unsere Brauerei noch nicht so alt ist.


Mathias: War das in der Vergangenheit dann immer „Trial and Error“?


Luc/Jan: Dann hätten wir viel zu lange üben müssen für ein gutes Bier. Nein, wir haben uns viel Wissen aus der Literatur angelesen und zusammen einen Onlinekurs in unserer Heimat Belgien besucht. In Planung ist ein 3 Semester-Kurs am „Institute of Brewing and Distilling“ in London – auch wieder als Onlineveranstaltung. Damit wollen wir unser Wissen vertiefen, um die Qualität unserer Biere noch stabiler zu bekommen und die Rezepte noch mit der gewissen Prise zu versehen. Besser geht eben immer, wenn man es will.

Bier ist bei Chen + Van Loon kein Massenprodukt.


Mathias: Wenn ihr Trauben für Euer Bier verwendet, in welcher Form setzt ihr diesen ein? Als ganze Traube oder nur als Traubensaft? Ist das vergleichbar mit der Verwendung von Steinobst in belgischen Bieren?


Luc: Wir verwenden zurzeit nur den Saft, denn in der Schale der Beere stecken noch Bitterstoffe und auch die Farbe. Der Saft einer roten Traube ist hell, die rote Farbe kommt erst während der Gärung in den Wein, denn der Farbstoff wird in Kontakt mit Alkohol aus der Schale gelöst. Man kann also auch einen Weisswein aus roten Trauben gewinnen.


Jan: Wir haben jetzt einen dritten Weinberg dazu gepachtet und haben dort neu „Sauvignon Blanc“ gepflanzt, mit dem Ziel unseren eigenen Traubensaft in unserem „SAUVIGNON ALE“ zu verarbeiten. Mit der guten Hoffnung, dass der Berg in gut 4 Jahren die ausreichende Menge abwirft. Also eine echte Investition in die Zukunft. Auch mit dem Hintergedanken, die Traubenqualität selbst im Griff zu haben.


Mathias: Vor kurzem habe ich folgende Aussage in einer Brauerei gehört, welche angeblich noch ihr eigenes Malz anbauen und mälzen: „Würdest Du einem Winzer trauen, der seine Trauben irgendwo einkauft und dann selber keltert, dann aber sagt, es ist mein Wein.“


Luc: (mit einem breiten Grinsen im Gesicht) Ich würde sagen, auch in der Weinbranche ist es gang und gäbe, dass die Winzer Trauben zukaufen. Denn sie haben eher zu wenig, oder die „falschen“ Trauben. Beim Bier ist die Lage etwas schwerer, denn Malzherstellung und auch der ganze Hopfen-Prozess ist extrem aufwendig und empfindlich, dass dies aus meiner Sicht unbedingt Spezialisten machen sollten. Denn sonst sehe ich die Qualität der Rohstoffe in Gefahr.

„Wir nutzen Hefen im gefriergetrockneten und dann rehydrierten Zustand und haben so gleichbleibende Qualität bei wenig Aufwand.“

Luc


Mathias: Hefen sind ein wichtiger Faktor für Eure Biere, erzählt mir doch etwas mehr dazu.


Luc: Das Pale Ale, was wir als erstes Bier gebraut haben, ist immer noch das Pale Ale, was wir heute produzieren. Fast exakt das gleiche Rezept wie zu Beginn im Juni 2014. Nur die Hefe ist eine andere, da die originale australische Hefe hier nicht mehr erhältlich war. Wir nutzen Hefen im gefriergetrockneten und dann rehydrierten Zustand und haben so gleichbleibende Qualität bei wenig Aufwand. Wir sind nicht auf der Suche nach Wildhefen, die unserem Bier ein neues und eben auch leckeres Aroma verleihen sollen. Hefen sind eben keine Feinschmecker, die uns Menschen beglücken wollen. Die wollen sich nur schnell vermehren und sich verbreiten. Um sich zu verbreiten, nutzen sie Insekten, welche die Hefen mit „leckeren Sachen“ anlocken. Damit wir als Biertrinker die Abfallprodukte der Hefen auch als lecker einstufen, bedarf es viel Glück oder langer gekonnter Züchtung. Und das genau hat die Wein- und Bierforschung in den letzten 100 Jahren gemacht.
Bei unseren heutigen Bieren setzen wir entweder Bierhefen oder spezielle Weinhefen ein, beide Saccharomyces cerevisiae oder obergärige Hefen. Die für alle Biere abschliessende Flaschengärung dient nur noch der Aufkarbonisierung und wird von einer speziellen Hefe erledigt, die nur noch den von uns zugesetzten Zucker umsetzt. Und damit wir auch immer wissen, wie viel Druck sich in den Flaschen bildet, wird immer eine Flasche aus jedem Batch mit einem Manometer gelagert. So haben wir eine gute Überwachung des CO₂-Gehalts.


Mathias: Wenn wir von Flaschennachgärung sprechen, kommt mir das Thema Fassreifung, oder eben Fasslagerung in den Sinn. Wie steht ihr dazu?


Luc/Jan: Ich glaube wir sind uns einig, dass Fasslagerung für uns weniger infrage kommt, auch wenn es schon fast naheliegend ist mit unserem Winzer-Hintergrund. Wir stellen uns auf den Standpunkt, mit der Frage: „Was passiert im Fass?“ – Du hast Sauerstoff und deshalb auch Oxidation im Fass. Es ist – überspitz gesagt – schon fast, also ob man Bier UV-Strahlung aussetzt. Mit unserer Einstellung wollen wir das unseren Bieren nicht „antun“. Wir sehen andere Wege, um die Aromen der vorbelegten Fässer ins Bier zu bringen, indem wir z.B. direkt den passenden Whisky in unser „Whisky Infused Ale“ geben. Die Gefahren sich Ungewolltes ins Bier zu holen ist für uns zu gross. Es ist zurzeit ein rechter Hype, Biere im Fass reifen zu lassen. Aber für mich sind diese Biere nicht gereift, denn dazu müsste eine chemische Reaktion im Bier stattfinden, die dieses am Ende besser macht. Das ist bei vielen Weinen so. Die Tannine reagieren mit Sauerstoffkontakt und dadurch polymerisieren sie und der Wein wird dadurch weicher und angenehmer zu trinken. Und das haben wir beim Bier nicht, darum würde ich diese Biere eher „gealtert“ nennen. Und wir sind auch nicht die Freunde von extrem hochprozentigen Bieren jenseits der 10 Vol. %.

Die Schweizer Brauer wollen gut trinkbare Biere anbieten.


Mathias: Und wie bringt ihr dann die Aromen von hellen Trauben in Euren Bier „Vigneron“, ohne dass es je eine Traube gesehen hat oder in einem Weinfass lagerte?


Luc: Wenn man sich ein bisschen mit der Chemie von Aromahopfen auseinandersetzt, erkennt man die Parallelen von chemischen (Aroma-) Verbindungen im Hopfen und einigen Traubensorten – vor allem Weissweinsorten wie Sauvignon Blanc und Riesling. Diese Aromen sind in beiden identisch und können vom Menschen schon in sehr kleinen Konzentrationen wahrgenommen werden. Doch liegen diese Aromen in gebundener Form vor und benötigen ein Enzym aus einer bestimmten Hefe, um dieses Aromaspiel zu entfalten. Darum ist es wichtig diesen Hopfen zum Bier zu geben, wenn die Hefe noch aktiv ist und nicht erst zur Kalthopfung. Viele Hopfensorten, und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen auch Malzsorten, haben solche gebundenen Aromen, welche durch spezielle Enzyme freigesetzt und so wirksam werden. Dieses Wissen über Hopfenchemie ist kein Geheimnis, wird aber noch sehr wenig umgesetzt.


Mathias: Wenn ich Eure Bierflaschen sehe und auch alles andere, was mit der Brauerei zu tun hat, da habt ihr es geschafft eine Marke mit einem grossen Wiedererkennungswert zu schaffen. War das ein kreativer Einfall oder dann doch ein langer Weg?


Luc: Wir sind nicht die Grafiker oder Werbefachleute. Durch Weinbaukollegen haben wir Kontakt zu einem „Hobby“-Grafiker mit italienischen Wurzeln bekommen, der schon andere Wein- und Bieretiketten entworfen hatte. In einem langen Interview hat er am Anfang versucht uns und unser Bier kennenzulernen. Nachdem wir uns dann geeinigt hatten, dass die Brauerei unsere beiden Namen tragen sollte – Chen und Van Loon – (Loon ist eine Gegend in Limburg und wird „Lohn“ ausgesprochen. Anm. d. Red.), folgten viele grafische Umsetzungen und Variante. Dabei war die Erste sehr nah am heutigen Design. Aus dem ersten Etikettendesign entwickelte sich dann unser komplettes Corporate Design. Das alles repräsentiert jetzt wirklich uns und wir fühlen uns damit sehr wohl.

„Mit 2 – 3 Angestellten sind wir noch „klein und fein“ und das darf gern so bleiben.“

Jan


Mathias: Noch die Frage zum Abschluss. Werft doch mal ein Blick in die Zukunft, jetzt nach knapp 10 Jahren Eurer Brauerei.


Jan: Durch unseren berufsbegleitenden Beginn als Brauer konnten wir organisch wachsen und mit unserer heutigen Brau- und Lagerkapazität von 320 hl pro Jahr nutzen wir die vorhandenen Räumlichkeiten optimal. Mit 2 – 3 Angestellten sind wir noch „klein und fein“ und das darf gern so bleiben. Wir haben keine Pläne gross zu wachsen, aber sag niemals nie … Wahrscheinlich werden wir uns mal auf dieses Interview berufen, wenn es anders kommt. Wir bleiben sicher weiter experimentierfreudig, was man mit Bier viel besser kann als mit Wein. Aber wir sind auf harmonische Genussbiere aus, bei denen man nach dem ersten Glas sagt: „Davon nehme ich gern noch ein oder zwei Gläser.“


Mathias: Ich danke Euch ganz herzlich für Eure Zeit und diese für mich sehr lehrreiche Stunde. Ich wünsche Euch viel Glück und immer nur die gewünschten Hefen in Euren Bieren.

(Wir haben die schweizerische Rechtschreibung beibehalten.)


(16. August 2023)