Wie der Wiener Strizzi auf die Rodauner Bierflasche kam

Martin Rolshausen

In manchen Momenten kommt es nicht nur darauf an, was in einer Flasche oder Dose drin ist, sondern auch, was drauf ist. Etiketten entscheiden nicht selten, welches Bier Menschen im Laden oder im Onlineshop kaufen. In einer Serie stellen wir an dieser Stelle Bier-Etiketten und ihre Geschichte vor.

An den Blick des Metzgers kann sich Kurt Tojner noch gut erinnern. „Der Fleischhauer hatte ein Messer in der Hand und geschaut, als wollte er sagen: Du bist der Nächste!“ Astrid Fuchs-Levin hat aus dem Bild des Metzgers, das Kurt im Internet gefunden hat, einen freundlich schauenden Mann gemacht. In der Hand hält er auch kein Messer mehr, da sind jetzt Würste. Der freundliche Fleischhauer steht für das Smoked Ale von Kurts Rodauner Biermanufaktur. Gselchter nennt sich das obergärige unfiltrierte Bier, das unter anderem mit über Buchenholz geräuchertem Gerstenmalz gebraut wird.

Es war 2010, vielleicht auch erst 2011, als der Hobbybrauer Kurt Tojner überlegt hat, „wie das aussehen könnte, wenn ich das kommerziell mache“. Sein Freund Alex Bauer, ein Kommunikations- und Consulting-Profi, hat ihn beim Nachdenken unterstützt. „Man will natürlich herausstechen mit seinem Produkt. Aber die Optik muss auch zum Bier und zum Brauer passen“, erklärt Alex. Ernst wurde es dann aber erst 2015. Und als Kurt sein Hobby zum kleinen Unternehmen machte, war klar: Das erste Bier ist ein Wiener Lager. Schließlich ist der kleine Ort Rodaun Teil der Stadt Wien. Klar war für Kurt auch: „Ein Wiener Bier muss einen Wiener Namen haben.“

Die Wahl fiel auf den Strizzi. Nach einer etwas längeren Diskussion, wie sich Alex erinnert. Denn der Strizzi ist zwar eine alte Wiener Figur, aber auch eine, die nicht nur sympathisch ist. „Der Strizzi war auch der Zuhälter“, erklärt er. Dennoch: Astrid hat sich hingesetzt und den Strizzi gezeichnet. Sie ist Künstlerin und Grafikerin. In ihrer Kunst macht sie zum Beispiel aus Farbklecksen, die sie an einer Wand entdeckt, ein Gesicht. Alex arbeitet schon seit gut 20 Jahren mit Astrid zusammen. Die beiden verstehen sich fast blind, schwärmt Kurt. „Da reicht manchmal schon ein Zucken der Augenbraue und die beiden wissen, was sie meinen“, sagt er.

„Wir reden miteinander. Ich bekomme Informationen zum Bier und der Figur und ein Bild aus dem Internet“, erklärt Astrid die Vorgehensweise. Dann macht sie daraus die Gestalt fürs Etikett. Einen Schornsteinfeger zum Beispiel für Kurts Stout. Klaner Schwoarza nennt er es. Ein kleiner Schwarzer ist in Wien ein Espresso. Der Rauchfangkehrer, wie man in Österreich sagt, hat das Gesicht von Kurts Urgroßvater bekommen. Aus dem Calafati, einer Figur aus dem Wiener Prater, hat Astrid einen Reisbauern mit Riesenrad im Hintergrund gemacht. Er steht für Kurts Helles mit Naturreis.

Solche Kunst erschafft Astrid Fuchs-Levin, wenn sie gerade keine Etiketten für die Rodauner Biermanufaktur gestaltet: Aus einem Klecks an einer Wand wird ein Gesicht.

Astrid, Kurt und Alex haben sich bewusst für ein Design in Schwarz-Weiß entschieden. In Österreich sei die Craft-Beer-Szene vor knapp zehn Jahren, als Kurt sich mit seinen Bieren in einen schwierigen Markt wagte, sehr bunt gewesen – auch auf den Etiketten, erklärt Alex. Das hätte nicht zu Kurt gepasst. „Schwarz-Weiß und Figuren aus der Wiener Geschichte, das war stimmig“, fand Kurt. Und er lag mit dieser Einschätzung richtig. Kundinnen und Kunden, die sich nicht auskennen und von der Vielfalt überfordert sind, greifen im Laden durchaus nach einem Etikett, das auffällt, sagt Alex. Und klar: „Ein Produkt muss gut aussehen.“ Das Aussehen der Verpackung könne aber auch beim Bier nicht die Qualität dessen ersetzen, was drin ist.

Kurt, Astrid und Alex überzeugen offenbar durch Inhalt und das Drumherum: Viele Wienerinnen und Wiener wissen gar nicht mehr, was ein Strizzi ist. Die denken bei dem Begriff an Kurts Wiener Lager. Ein Strizzi, das ist für viele inzwischen ein Bier aus Rodaun.

(8. September 2023)