Mikkel Borg Bjergsø ist ein Mann weniger Worte und großer Biere. Er braut furchtlos mit Basilikum, Feige, Algen und Stachelbeere, aber eigentlich gar nicht so gern. Als der Kopf von Mikkeller sieht der Däne seinen Platz eher am Schreibtisch als im Sudhaus
Es gibt Rampensäue – und es gibt die anderen.
Mikkel Borg Bjergsø ist einer von den anderen. „I’m the guy who thinks“, sagt er bei einer Creative Mornings Session in Kopenhagen Anfang des Jahres vor einem jungen, fröhlichen Publikum aus Start-Up-Menschen, Kreativen, Jungunternehmern, die alle eine Flasche Bier zum Frühstück in den Händen halten.
Er, der Mann, der mit Mikkeller die wahnwitzigsten Bierkreationen der Craft Beer Welt geschaffen hat, der in einer Liga mit den Größten der Szene spielt, mit Brewdog, Brooklyn Brewery, Sierra Nevada und Co., dessen Biere seit Jahren in über 40 Länder verkauft werden und dabei nicht nur Topbewertungen auf Ratebeer absahnen sondern auch in den weltbesten Restaurants wie dem El Celler de Can Roca oder Noma auf der Karte landen, dieser Mann ist nicht the guy who talks. Das überlässt er lieber seinem ersten Offizier, Jacob Gram Alsing. „He’s the guy who works“, stellt Mikkel ihn auf der provisorischen Bühne in seinem Kopenhagener Brewpub Warpigs vor, das er gemeinsam mit der amerikanischen 3Floyds Brewery ersonnen und aufgemacht hat.
„Wenn man Mikkel kennenlernt, kann er sehr abwesend und arrogant wirken. Meine Freunde hielten ihn anfangs alle dafür“, sagt seine Frau Pernille Pang im Gespräch mit einem Autor des New York Times Magazines. Der beschreibt Mikkel Borg Bjergsø so: „Er ist groß und wortkarg und hat so eine ernste Haltung, dass er bisweilen extrem gelangweilt aussieht, auch wenn er eigentlich gut gelaunt ist.”
Das alles sind mittelgute Voraussetzungen für ein Gespräch mit einem, wenn nicht sogar DEM Star der Craft Beer Welt, in dem es um die Grenzen des Craft Beer Hypes, misslungene Biere und den erbitterten Streit mit seinem Zwillingsbruder Jeppe Jarnit-Bjergsø gehen soll, der, so heißt es, die „Evil Twin“-Brauerei nur gegründet hat, um seinen Bruder zu ärgern.
Zum Warmwerden also erst einmal vermeintlich erfreuliches Geplänkel über Foodculture in Dänemark. Ganz allgemein. Speciality Coffee, Head-to-tail, lokal und saisonal – die dänische Küche ist doch da ganz weit vorn. Aber der Mann der wenigen Worte ist schon gleich im Grummel-Modus: „Nein, das stimmt alles so gar nicht. Meint man im Ausland immer. Wegen des Noma. Aber in Wirklichkeit haben die Dänen überhaupt keinen Sinn für gutes Essen. Wir sind ein ganz übles Discounter-Land, das am liebsten gar kein Geld für Lebensmittel ausgeben würde. Gut möglich, dass wir das mit Euch Deutschen gemein haben, hier gibt es ja auch die ganzen deutschen Discounter wie Lidl und Aldi – und die Leute lieben die!“ In Sachen Bier sei es genau so: 99 Prozent trinken Carlsberg, er selbst verkauft hier nur wenig. Der beste Markt liegt nebenan: „In diesem Jahr haben wir erstmals mehr Bier in Schweden als in den USA verkauft.“ Damit ist Schweden Mikkeller-Land Nummer Eins.
Mikeller Going West
Gut, Geplänkel war nicht, den Vorspann-Smalltalk haben wir ohnehin übersprungen, reden wir also gleich tough business: Die USA will Bjergsø sich in der nächsten Zukunft vorknöpfen. Im Frühjar 2015 gaben die Dänen bekannt, eine Brauerei mit einer 25-Hl-Anlage in San Diego zu kaufen. Heißt das, dass Mikkeller, der Gypsy-Brewer sein Gypsytum nun doch aufgibt, sich selbst untreu wird? „Nein, das wird nichts an der Art ändern, wie wir arbeiten“, behauptet der Chef. Aber so ganz geheuer scheint ihm das Ganze auch nicht zu sein: „Wenn ich ehrlich bin: Hätte es nicht sein müssen, hätte ich auf diese Brauerei liebe verzichtet. Die eigene Brauerei ist irgendwie nicht mein Ding. Der einzige Grund, warum wir die gekauft haben, ist, dass wir mehr Bier in den Staaten verkaufen wollen. Und nachdem es dort ziemlich schwer ist, gute Brauereien zu finden, in denen wir brauen können, war das die einzige Chance, mehr dort zu produzieren.“
Ist es nicht paradox, als europäischer Brauer dieser Tage in die USA zu expandieren, während die US-Brauer doch einer nach dem anderen auf den Europa-Markt drängen? „Schon. Und ich kann auch jeden US-Brauer verstehen, der kommt. Hier ist noch Potential, während es in den USA mittlerweile so viele Brauereien gibt… Irgendwann ist dort eine Obergrenze erreicht. Das kann nicht ewig so weiterwachsen.“ Mikkeller aber sei als Marke dermaßen gut etabliert, dass sich der Move für ihn dennoch lohnen wird, so Bjergso.
Die größte Gefahr? Scheißbier.
„Die größte Gefahr für mich sind Leute, die shitty Bier machen“, sagt der 39-Jährige. Und davon gebe es einige. In den USA und in Europa sowieso. Unter den aktuell 140 dänischen Brauereien etwa seien viele, deren Biere schlicht schlecht sind. „Stell dir vor, jemand, der sein Leben lang Carlsberg getrunken hat, kauft sein erstes Craft Beer und das ist Scheiße. Der trinkt doch nie wieder ein Craft Beer und geht zurück zu Carlsberg.“ Damit die Qualität der europäischen Craft Beers steigt, brauche es noch eine Menge mehr Craft Breweries hier, meint Bjergso. Erst dann würden sich die Guten durchsetzen und die Mittelmäßigen verschwänden von selbst.
Mikkel Borg Bjergsø ist nicht the business-guy. Er kann rechnen, ja. Als ehemaliger Mathe-, Physik- und Chemielehrer. Aber er ist kein Betriebswirts, das Unternehmersein und das Business-Leiten hat er nie studiert, sondern er ist im Laufe der Jahre gelernt, der anstrengenden ersten Jahre („Ich habe so viel gearbeitet. Und jedes Mal, wenn um Drei Uhr morgens der Wecker geklingelt hat und ich aufgestanden bin um zu arbeiten, habe ich gedacht: Wäre ich bloß Lehrer geblieben.“). Er mag es, Quereinsteiger um sich herum zu versammeln. Vor Kurzem hat er den amerikanischen Künstler Keith Shore, der seit jeher seine Etiketten designt und die ganze, schräge, aber einprägsame Mikkeller-Optik verantwortet, fest angestellt. Jacob Gram Alsing war, bevor er Operations Manager bei Mikkeller wurde, Major der dänischen Armee und ein halbes Jahr in Faizabad, Afghanistan, stationiert. Rechnet man alle Angestellten seiner Bars und Lagerhäuser zusammen, kommt man auf etwa 250 Mikkeller-Mitarbeiter. Darunter ist Sage und Schreibe ein einziger ausgebildeter Braumeister. Eine Braumeisterin, um genau zu sein. Aus Singapur.
Eine Großteil seiner Biere braut Bjergso bei de Proef Brouwerij in Belgien, die so etwas wie ein fester Mikkeller-Partner geworden ist. Darüber hinaus tourt er als Gypsy quer durch die Welt – Island, Vermont, Alaska. Überall gewesen, überall gebraut. Wie diese Kollaborationen zustande kommen, kann er so genau nicht sagen. „Ich lerne Leute kennen, man redet so…“ Und meistens trinkt er einfach ein Bier anderer Craft Breweries und überlegt dann, wie man das noch besser machen kann. The guy who thinks. „Im Frühling habe ich zum Beispiel ein Bier mit Jolly Pumpking in Michigan gebraut. Ich bin ein großer Fan von deren Bieren. Bei einem davon musste ich sofort an Sanddorn denken. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser Geschmack sehr gut zu der Art passen würde, wie sie bei Jolly Pumpkin Biere vergären und welche Hefe sie verwenden.“ Und dann fuhr er hin um ein Sanddornbier zu brauen (Spontan Seabuckthorn, ein Lambic).
Das letzte Bier, dass Mikkel gebraut hat war „Fruit Salad“, ein spontan vergorenes Bier mit zehn verschiedenen Früchten darin. „Ein sehr undeutsches Bier“, sagt er. Ja, das Deutschen Reinheitsgebot, was soll er sagen: „It’s a pity.“
Bier ist Kopfsache bei Mikkeller
Mikkel Borg Bjergsø ist auch nicht the guy who brews. Seit Mikkeller im Jahr 30.000 Hektoliter Bier braut, ist es für den Chef rein physikalisch unmöglich, bei jedem Sud selbst anwesend zu sein. „ Wir brauen jeden Tag irgendwo auf der Welt, allein in Belgien fünf bis zehn Sude die Woche. Wenn ich immer da sein sollte, wo Mikkeller-Bier gebraut wird, müsste ich in fünf Ländern gleichzeitig sein.“ Abgesehen davon steht der Ex-Lehrer auch gar nicht so gerne im Sudhaus. Wie gesagt, er ist der Denker: „Ich mache Bierrezepte in meinem Kopf und schreibe sie dann in meinen Computer.“ Das reiche, damit wüsste er dann schon genau, was für ein Bier da rauskommt.
Wir plaudern also über Bier, Mikkel redet ganz entspannt über die Verwendung von Seealgen und wie sich das Wasser des Lake Michigan als Brauwasser eignet. Vielleicht ist das nun die Gelegenheit, das Thema Evil Twin anzuschneiden. Sowohl die dänischen als auch die US-amerikanischen Medien haben die Geschichte ja auch längst durchgeholt. Weil sie sich auch so wundervoll erzählen lässt. Das uralte, biblische Motiv des Bruderzwistes auf der so modernen wie populären Craft-Beer-Bühne neu in Szene gesetzt. Komplett mit echten Gefühlen und allem.
Kain und Abel und der ganze Hopfen
Vor rund zehn Jahren haben die eineiigen Zwillinge gemeinsam Craft Beer zu ihrem Leben gemacht, Mikkel als (Hobby-)Brauer und Jeppe als Händler. Mit seiner Kopenhagener „Ølbutikken“ brachte Jeppe das Bier seines Bruders unter die Leute und an die Zapfhähne der Stadt. Doch als Mikkel einen eigenen Bottleshop eröffnete, ging die Beziehung der beiden in die Brüche. Als Jeppe schließlich seine Gypsy-Brewery mit dem höchst provokanten Namen Evil Twin gründete war das Verhältnis bereits gänzlich zerrüttet. Inzwischen sprechen die beiden Brüder gar nicht mehr miteinander, und dass Jeppe vor einiger Zeit nach Brooklyn, New York, ausgewandert ist, sei eine große Erleichterung für Mikkel gewesen, heißt es aus dem Kreis seiner Vertrauten.
Jeppe, so liest man, sei das extrovertierte Gegenstück zum verkopften Mikkel. Wie gesagt: Es gibt Rampensäue und die anderen. Jeppe spricht offen über den Streit der Zwillinge, erzählt den Medien gern, dass er und Mikkel schon in ihrer Kindheit immer irgendwie konkurriert haben – wer räumt die Spülmaschine schneller aus, wer macht die besseren Zeiten beim 100-Meter-Lauf – und wie er sich mit seinen Bieren (Hipster Ale, Katz Pis, Even more Denmark -nur um mal ein paar nicht-dein-Ernst-Namen zu nennen) eigentlich über die Biere seines Bruder lustig macht. Die halte er nämlich für übertrieben, zu abgefahren, untrinkbar.
Für beide Brüder ist die Kain-und-Abel-und-der-Hopfen-Geschichte natürlich eine so gute PR-Story, wie sie sich wohl kaum eine Agentur der Welt aus den sorgsam manikürten Fingern hätte saugen können. „Das stimmt, ja, ich bin mir der Tatsache völlig bewusst, dass eine derartige Aufmerksamkeit für ein Geschäft von Vorteil sein kann“, sagt Mikkel, nachdem er, als die Rede auf Evil Twin kam zunächst gewarnt habe, man könne zwar gerne Fragen dazu stellen, „but I might not answer it.“
„Aber ich will ganz ehrlich mit dir sein: Ich würde auf diese Publicity gerne verzichten, wenn ich dafür nur endlich wieder ein normales Verhältnis zu meinem Bruder haben könnte.“ Er schweigt kurz. „Aber das scheint absolut unmöglich. Und ich kann nichts deswegen tun.“
Bevor er nun gar nichts weiter sagen will, sprechen wir schnell noch mal ein bisschen über Bier. Zehn Biere, die ihn nachhaltig beeindruckt haben, die er gerne trinkt, empfehlen würde – go! Es kommen nur langsam Namen aus ihm heraus. Und schließlich sagt er: „Mein Bruder macht auch ein paar sehr gute Biere. Even More Jesus, ein im Burbon Fass gereiftes Bier, das hatte ich neulich. Und das war wirklich gut.“ Keine Frage: Der Mann hat Größe.