„Kreativbier! Craft ist verbrannt.“

Martin Rolshausen

Abgesänge auf Craft Beer gab es einige. Aber ist der Kampf um besondere Biere in Deutschland wirklich verloren beziehungsweise Kreativbier in einer Nische verschwunden, aus der es nicht mehr rauskommt und weiter an Bedeutung verliert? Eine Spurensuche in München.


Werner Schuegraf, könnte man sagen, ist ein Amerikaner im Körper eines Bayern. In den 80er Jahren hat er das Brauen gelernt und in Weihenstephan studiert. In den 90ern hat er Brauanlagen in den USA gebaut und miterlebt, wie die Craft-Beer-Bewegung gewachsen ist. 2014 wurde er dann selbst zum Craft-Brauer – in München, in einer Garage, zusammen mit Matt, einem Amerikaner. 2016 hat er eine, wie er es nennt, Pop-up-Brauerei im Stadtteil Haidhausen gegründet – „in einem zukünftigen Abbruchhaus mit jeder Menge Charme“, wie Werner sagt. Als das Haus 2021 abgerissen wird, zieht er mit seiner Brauerei, die er Hopfenhäcker genannt hat, in die Forschungsbrauerei im Stadtteil Neu-Perlach um. Werner Schuegraf hat eine bewegte Geschichte, aber er lebt nicht in einer vermeintlich guten alten Zeit. Eine Feststellung aus der Garagenzeit, als er und sein Freund zufrieden waren mit dem, was sie da gebraut haben, ist bis heute aktuell: „So schee war’s überhaupt no nia.“

Werner Schuegraf in seiner Münchner Hopfenhäcker-Brauerei. Foto: Martin Rolshausen


Werner Werner Schuegrafs Brauer-Geschichte könnte eine amerikanische sein. Dabei, erinnert er sich, dass damals, als das mit Craft in den USA losging, „viele Fachleute gesagt haben: Das kanns’t nicht saufen“. Ihn habe aber „die Art fasziniert, wie die Amis damit umgehen“. In den USA war Bewegung in der Bierbranche. Da haben Menschen experimentiert, auch etwas riskiert, Spaß gehabt. Werner erinnert sich zum Beispiel an einen Banker, der eine Brauerei gegründet hat. Der Mann hatte zwar kein Brauwesen-Ingenieurstudium, „aber der konnte mir als Weihenstephaner noch etwas erzählen“.


Hopfenhäcker will deutsche Braukunst und Tradition mit den Ideen der amerikanischen Craft-Beer-Bewegung zusammenbringen. Das gelingt Werner gut. Er braut unter anderem IPA, Barley Wine, Witbier klassisch mit Orange und Koriander, Hanfbier, rotes Export und Helles. Anders als in den Vereinigten Staaten, ist Craft-Beer hierzulande aber kein Verkaufsschlager. In den USA ist Bier generell teurer als in Deutschland, es ist mehr wert. „Wir tun uns schwer, weil wir Geld für unser Bier verlangen“, sagt Werner.  Das sei aber „bei Lebensmittel generell schwierig in Deutschland“. „Ich sehe es als Nische: Kreativbiere, die anders schmecken, aber doch gut trinkbar sind. Im Vergleich zu anderen sind wir sehr gemäßigt, das ist kein Zufall, weil ich einfach ich bin“, sagt der 60-Jährige.


Das sei vielleicht der Fehler vieler Craft-Brauer in Deutschland gewesen: „Es wurden zu heftige Dinge gemacht. Daran knabbern wir.“ Viele, die mit den extremeren Bieren zu hatten, würden nur abwinken: „Ah, ein Craftbrauer…“ Dazu komme vor allem in Bayern, dass Bier nicht als etwas Besonderes wahrgenommen wird.  Werner erklärt das so: „Bier ist Bier. Und wenn Augustiner draufsteht, ist es eh gut.“ „Augustiner ist Marketing. Das Reinheitsgebot ist eine Marketinglüge – es ging immer um Kontrolle und Macht“, sagt Werner. Eine Macht, die es den kleinen Kreativbrauern schwer macht.


„Ein Thema, das uns zu schaffen macht: Wir müssen uns in einem Preissegment bewegen, mit dem wir in der Nische bleiben werden, denn nur wenige zahlen 50 Euro für einen Kasten Bier“, sagt Werner. Aber er glaubt daran, dass Brauer wie er eine Zukunft haben. „Wir müssen schauen, dass wir rausgehen“, sagt er. Auf Festivals zum Beispiel. Und, das macht den Erfolg der Craft-Brauer in den USA aus: Das Bier muss in die Gastronomie.


Das mit der Gastronomie sei aber eben schwierig. Vor allem in München ist das ein Problem für die Kreativbrauer, weil fast alle Gastronomien an eine Brauerei gebunden sind. Und das Image von sogenanntem Craft Beer sei bei den Wirten auch nicht das beste. „Craft war von vorneherein der falsche Ausdruck“, glaubt Werner. Er sagt: „Kreativbier! Craft ist verbrannt.“

Niklas Zerhoch, der Vertriebsleiter der Munich Brew Mafia. Foto: Martin Rolshausen


Der Begriff Craft sei „zu aufgeladen“, findet Niklas Zerhoch. Er kümmert sich um den Vertrieb der Munich Brew Mafia. Craft – das klinge „teilweise elitär“.  Man müsse generell offen für Neues sein, was eine Eigenschaft ist, die unter deutschen Biertrinkern nicht ganz so verbreitet ist wie unter denen in den USA. „Hier ist alles sehr eingefahren, in Bayern besonders extrem , in München bewegt sich aber schon was“, sagt Niklas. Er „glaube nicht, das Craft hier so erfolgreich wird wie in den USA, auch weil unsere Braugeschichte älter ist – Augustiner ist doppelt so alt wie die USA“. Die Bindung an bestimmte Biermarken sei in Bayern besonders groß. Und dann sei da natürlich die Frage: „Warum soll ich mehr zahlen?“ Wenn es dann auch noch eine schlechte oder gar keine Beratung gibt und das Bier zu ungewöhnlich schmeckt, sei selbst bei Neugierigen das Thema Craft durch.


Deshalb sei die Munich Brew Mafia „breit aufgestellt“. Man braut Kreativbiere „sowohl für Einsteiger, als auch für Kenner“, erklärt Niklas. „Traditionelle Biere neu interpretiert – trinkbar“, lautet das Angebot an die Einsteiger. Die Brew Mafia hat aber auch hochgehopfte Biere am Start. Weil es schwierig ist, in die Gastronomie reinzukommen, müsse man „eine eigene Wirtschaft aufmachen“. Oder eine übernehmen. Die Brew Mafia, die auch die Bierothek in München betreibt, hat die Gasthausbrauerei Holzhauser vor den Toren der Stadt übernommen. Da laufe nun viel über den eigenen Biergarten. Niklas sieht zumindest die Munich Brew Mafia nicht in der Defensive. Im Gegenteil: „Wir sind auf Vollgas.“

Benjamin Staller braut die Marke BrewsLi. Foto: Martin Rolshausen


Ein Wort wie „Vollgas“ würde sich aus dem Mund von Benjamin Saller albern anhören. Er braut unter dem Namen BrewsLi. Seine Brauanlage steht in der eigenen Kneipe. Dort, in der Münchner Taubenstraße, wird auch das meiste Bier, das Benjamin Staller braut, getrunken. Er füllt nur in Fässer ab. Für ihn ist Bier „ein Produkt, das nicht weit reist“. Das  Leute Bier aus aller Welt kaufen, hält der Müncher für verrückt.  „Man würde sich ja auch keine Flasche Milch aus Hawaii in den Kühlschrank stellen“, sagt er. Und Bier sei eben auch ein lokales, frisches Produkt. „Der Kunde, der sich als Craft-Beer-Trinker identifiziert, ist ein Jäger und Sammler, der alles mal probieren will“, erklärt Benjamin. Für ihn sei das „der falsche Kunde“. Es sei „schön, wenn jemand eine Flasche aus dem Urlaub mitbringt, aber ich würde hier nie ein IPA  aus den USA verkaufen“.

In der BrewsLi-Kneipe in der Münchner Taubenstraße ist das Angebot breit gefächert. Foto: Martin Rolshausen


Er hat Industriekaufmann gelernt. Dass er dann Brauer wurde, habe nichts mit dem „Craft Beer Hype aus den USA“ zu tun.  Auch nichts mit „einem mitgebrachtes Pale Ale aus dem Urlaub oder einem Fass gereiften Bock aus Belgien“. „Es war einfach ein hausgebrautes Bier bei einem Firmenausflug in eine Amberger Gasthausbrauerei. Bier hat mir bis dahin eigentlich gar nicht so besonders gut geschmeckt. Kurzfristig habe ich dann beschlossen, meinen Bürostuhl gegen Gummistiefel zu tauschen. Nach einem Praktikum in der Brauerei im Eiswerk habe ich anschließend mein Studium an der TU München zum Diplom Braumeister begonnen“, beschreibt Benjamin seinen Weg.


Er braut klassisches Helles ebenso wie Black IPA und andere hochgehopfte Biere. Seine Bierstile sind international. Als Brauer sieht er sich aber in einer ähnlichen Rolle „wie der Pizzabäcker um die Ecke“ – er ist ein Nahversorger. „Wenn ich hätte Vertrieb machen wollen, dann hätte ich nicht Brauer werden müssen“, sagt er. Aber: „Jeder geht seinen Weg. Wenn jemand gut im Vertrieb ist, ist das auch gut.“


Im Gegensatz zu anderen Kreativbrauern hat er durch seine Strategie weniger Probleme. Er hat seine Biere am Hahn. Und: „In der Kneipe ist der Preis vermittelbar.“ Die Diskussionen in der Branche scheinen Benjamin Saller nicht wirklich zu interessieren. Er sagt: „Ich weiß nicht, ob Craft tot ist. Bier lebt weiter.“