Oliver Wesseloh

Kehrwieder nimmt Kurs auf den Hamburger Hafen

Martin Rolshausen

Oliver Wesseloh wirkt ganz entspannt. Dazu hat er auch allen Grund. Über 100 verschiedene Biere hat er im vergangenen Jahrzehnt gebraut, über 40 internationale Auszeichnungen hat er bekommen. Olli Wesseloh ist Weltmeister der Biersommeliers und hat ein Buch geschrieben. Er sei dankbar für das, was seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter und er geschafft haben, versichert Olli. Aber da hat sich offenbar doch etwas verknotet. „Was wehtut“, sagt der Mann, der einer der ersten war, die in Deutschland Biere mit besonderem Charakter gebraut haben, und der den Verein der deutschen Kreativbrauer mitgegründet hat, „ist, dass wir immer noch keinen eigenen Taproom haben.“ Es sei an der Zeit: „Der Knoten muss endlich platzen.“  

Das bedeutet: Die Kehrwieder-Brauerei wird umziehen. Am aktuellen Standort im Hamburger Süden, nicht weit von der Grenze zu Niedersachsen entfernt, wäre ein Taproom nicht sinnvoll. Er läge zu weit draußen. Klar, man könne hier mal Leute für eine Veranstaltung herlocken, erklärt Olli. Das gelinge auch immer wieder mal. Aber ein Taproom, der funktionieren soll, dürfe eben nicht zu weit weg sein vom Herz der Stadt. Einen traumhaften Ort hat Olli bereits im Blick: eine alte Feuerwache im Hafen. Auf etwa 1000 Quadratmetern könnte die Brauerei dort nicht nur endlich den eigenen Taproom in attraktiver Lage einrichten. Olli könnte die Brauerei auch erweitern. Das ist am jetzigen Standort nicht möglich. Kehrwieder ist an der Sache dran, der Standort wird gerade geprüft und mit der Stadt Hamburg besprochen.  

Der Prototyp war das erste Bier, das Kehrwieder gebraut hat. Fotos: Martin Rolshausen

Kehrwieder heißt die Brauerei, weil die Hamburgerinnen und Hamburger, die zur See fahrenden Familienmitglieder mit dem Gruß „Kehr wieder!“ auf die Reise haben gehen lassen. „Auch wir sind raus in die Welt gegangen, haben in der Karibik, in Süd- und schließlich in Nordamerika gebraut und kehrten schließlich zurück in unseren Heimathafen, um mitzuhelfen, die Biervielfalt zurück nach Hamburg zu bringen. 2011 haben wir die Gründungserklärung unterschrieben, im darauffolgenden Jahr sind wir mit Sack und Pack von Miami zurück nach Hamburg gezogen und ein halbes Jahr später haben wir das erste Prototyp gebraut“, heißt es in der Gründungsgeschichte der Brauerei.

Das Prototyp braut Kehrwieder immer noch. Er würde ihn heute etwas anders gestalten, denkt Olli laut nach. Das hat er neulich auch getan, als die Wochenzeitung „Die Zeit“ gefragt hat, ob er exklusiv für sie zwei Biere braut. Aber das Prototyp, wie Olli sein erstes Kehrwieder-Bier nannte, bleibe, wie er ist. „Das ist ein Klassiker. Den werde ich nicht anfassen“, sagt er. Das Prototyp ist ein Lager, das im Geschmack an ein Pale Ale rankommt, gebraut mit Northern-Brewer- und Perle-Hopfen, gestopft mit Saazer und Simcoe. 

Das meistverkaufte Bier der Brauerei ist das Prototyp allerdings nicht. Das ist „üNN“, also das Übernormalnull, ein alkoholfreies IPA. „Eins der ersten überhaupt und das erste in Deutschland“, wie Olli erklärt. Wobei es vor einem Jahrzehnt nicht die allerschwierigste Übung war, mit fast allem der Erste zu sein in der deutschen Bierwelt. Aber auch heute noch gibt es hierzulande viel Potenzial. „Wenn ich es mir in Sachen Biervielfalt anschaue, ist Deutschland immer noch ein Entwicklungsland“, sagt Olli. Es gebe zwar in Hamburg den ein oder anderen gut sortierten Bierladen, einige spannende Kneipen. Und in Berlin sei die Vielfalt sogar noch etwas größer, das müsse er als Hamburger neidlos anerkennen, aber insgesamt sei da noch viel Luft nach oben. 

Dieses Statement verkauft die Brauer auf T-Shirts.

Man kann über schlechte Rahmenbedingungen und eine besondere deutsche Biertrinker-Mentalität diskutieren, die es Kreativbrauern hier schwerer machen als etwa in den USA und einigen europäischen Ländern. Aber es sei auch Sache der Brauer selbst, „die Leute für unser Bier zu erreichen“, sagt Olli. Man dürfe „nicht zu nerdig sein, nicht zu elitär und auch Biere haben, die eine gewisse Trinkbarkeit haben“. „Früher war das für mich ein Schimpfwort: Drinkability. Aber man lernt. Und Drinkability muss ja nicht langweilig sein“, sagt er und schiebt schnell hinterher: „Das ist aber jetzt kein Plädoyer dafür, dass wir jetzt alle Pils machen müssen.“ Im Gegenteil.  

Um mehr von ihrem Bier unter die Leute zu bringen, haben auch einige Kreativbrauer Pils, Helles und Weizen gebraut. Als dann der Ukrainekrieg und die Inflation die Konsumenten verunsicherten, sei „den Kollegen das Pils um die Ohren geflogen“. „Meine Theorie ist: Wenn es mit dem Geld eng wird, ist Jever eben auch ein gutes Pils. Und das kostet weniger. Wenn du aber Prototyp-Trinker bist, was machst du dann? Es gibt kein alternatives industrielles Produkt“, erläutert Olli seine Strategie. Er bleibt bei dem, was schon bei der Gründung schon klar war: „Bei uns kein Pils, kein Weizen.“ 

Der Eingang zur Brauerei ist längst nicht so spektakulär wie ihre Biere.

Aber ein eigener Taproom! Keine Location zu haben, wo man auch mit Biertrinkerinnen und Biertrinkern ins Gespräch kommen kann und sie selbst sehen, wie klein und handwerklich die Brauerei ist, habe nämlich auch den Nachteil, dass man nicht präsent ist. Die meisten Konsumenten kennen nur die Flaschen. „Es gibt Leute, die denken, wir wären viel größer, so wie Ratsherrn“, weiß Olli. Dabei sei diese andere Hamburger Brauerei etwa 30-mal so groß wie Kehrwieder. 

Im Hafen präsent sein, dort mit besserer Technik und einer etwas größeren Anlage brauen, das ist eine extrem spannende Sache. Dennoch wirkt Olli auch beim Erzählen über diesen großen Schritt ganz entspannt. Denn: „Wenn das mit dem Hafen klappt, dauert das zweieinhalb Jahre, bis wir umziehen können.“ 

(30. Juni 2023)