Die vielleicht verrücktesten Biere Deutschlands – saure Adambiere, Biere mit Eukalyptus und Minze, ursalzige Himbeergosen und so weiter – kommen aus einer kleinen Traditionsbrauerei im Sauerland. Deren Chef Christian Vormann erzählt, wie es kam, dass die Topriege der deutschen (und internationalen!) Craft Brauer regelmäßig bei ihm am Kessel steht.
Wäre die Vormann Brauerei in Hagen-Dahl eine ganz normale, kleine Privatbrauerei, niemand außerhalb von Hagen oder Dahl würde die Vormann Brauerei kennen. Niemand. Allerdings ist die Vormann Brauerei in Hagen-Dahl nicht irgendwie so ganz normal.
Tatsächlich ist die Vormann Brauerei so ziemlich jedem deutschen Craft Beer Brauer, manchem Trinker und sogar einigen Beer-Geeks aus dem Ausland ein Begriff, denn von hier kommen mit die verrücktesten und bewährtesten Sude, die die deutsche Craft Beer Szene zu bieten hat. Denn mit Sebastian Sauer (Freigeist Bierkultur) und Fritz Wülfing (Ale-Mania) haben hier zwei Pioniere ihre ersten Craft Biere gebraut und mit Yankee & Kraut und Pirate Brew stehen heute auch die jüngsten Bierquerdenker hier am Braukessel. Und zuletzt macht die Nachricht die Runde, dass die US-Brauerei Against The Grain hier bei Vormann ihre außergewöhnlichen Biere für den europäischen Markt brauen will. Nur: Warum eigentlich gerade hier, bei der Vormann Brauerei in Hagen-Dahl? Grob zwischen Dortmund, Wuppertal und Lüdenscheid. Nordrheinwestfalen. Südöstliches Ruhrgebiet. Sauerland.
Wir sind einfach einmal hingefahren und haben uns die Brauerei selbst angeschaut, den hohen Malzspeicher und die alte Malzmühle, das moderne Sudhaus und den alten Gärkeller. Und wir haben uns mit Christian Vormann, dem Chef der Brauerei, auf ein Bier in ein halboffenes Gartenhaus gesetzt und ihn einfach mal erzählen lassen. Von sich, seiner Brauerei, den Bieren und den teils weitgereisten und manchmal auch ein bisschen verrückten Gästen, die er hier so am Kessel begrüßt.
Der Braumeister über sich und seine Brauerei
„Also ich? Ich bin ein ganz klassischer Brauer. Hatte früher zu nichts Lust, wie 16-Jährige halt so sind. Aber irgendwie hat meine Mutter mich doch dazu gekriegt, kein Maurer sondern Bierbrauer zu werden. Als Brauersohn machte das Sinn. So konnten meine Eltern auch mal Urlaub machen. Ich durfte bei Fiege in Bochum meine Lehre machen, bin noch mal zwei Jahre auf Schule gegangen, habe in verschiedenen Betrieben in Deutschland gearbeitet und nach ein paar Jahren dann meinen Meister in München gemacht. Ende der 1980er bin ich nach Hause zurückgekehrt. Und da habe ich dann die Brauerei, die zu der Zeit fast zwischen den Großen zerrieben worden war, gemeinsam mit meinem Vater wieder auf einen Stand gebracht, der eigentlich für die Größe des Betriebes außergewöhnlich ist.
Die Vormann Brauerei ist eine der ganz wenigen Kleinstbrauereien, die es in diesem komischen westfälischen Dreieck noch gibt. Im Ruhrgebiet und in Nordrhein-Westfalen konzentrierte sich zuletzt die Großbrauelite, mit Kronen und DAB, Stern und König und so weiter. Die Dortmunder Brauereien waren mal die größten von Deutschland bzw. gar der Welt. Die ersten Hektolitermillionäre kamen aus Dortmund, Essen, Duisburg, aus Düsseldorf auch noch und aus Issum. Davon ist allerdings in den letzten dreißig Jahren nichts übergeblieben.
Jetzt erzählte mir der Hugo Fiege irgendwann mal: „Hömma, wir drei, Stauder, Fiege und ihr von Vormann, sind die einzigen Privatbrauereien die es im ganzen Ruhrgebiet noch gibt, wo über fünf Millionen Leute wohnen.“ Da is‘ mir die Ladeklappe runtergefallen. Stimmt aber. So wie er das sagt. Wir stellen mit fünf Personen, knappe 5.000hl Bier im Jahr her. Wir sind eine Komplettbrauerei, das heißt, wir haben von der Malzannahme bis zum Vertrieb alles unter einem Dach. Wir verkaufen Fassbier und Flaschenbier im Handel, Großhandel und in der Gastronomie der Umgebung, 30 bis 40 Kilometer Umkreis.
Leute, die nichts von Bier verstehen?
Ach ja, und wir arbeiten halt mit so ein paar Gypsybrewern zusammen, unter anderem dem Sebastian Sauer, der die Szene mal ziemlich rockt und aufrollt. Das ist immer ganz witzig und die Ideen sind sehr befruchtend. Aber dazu gleich noch mal. Zuerst Geschichte: Das genaue Gründungdatum der Vormann Brauerei kennen wir eigentlich nicht. Die alte Funkesche Brauerei wurde erstmals 1719 erwähnt, aber Dahl, der Ort, in dem wir uns befinden, ist eines der ältesten Rittergüter in Westfalen. Erstmals 1180 – 1188 erwähnt. Wenn man sich die Geschichte von Rittergütern anguckt, wird da immer zuerst eine Küche gebaut und eine Brauerei war immer Bestandteil der Küche – also gab es den Vorläufer dieser Brauerei vermutlich schon viel, viel länger. 1877 ist mein Urgroßvater hier hergekommen und hat den Betrieb übernommen. Er hat aus einem obergärigen Betrieb einen untergärigen Betrieb gemacht. Davon ausgehend gerechnet, bin ich die vierte Generation, die hier braut. Naja, und irgendwann sind dann der Fritz und der Sebastian zu zweit hier aufgelaufen. Und so habe ich angefangen, diese ganze Craft Beer Szene und die Leute, die eigentlich nichts von Bier verstehen, kennenzulernen.
Wobei, nein: „nichts von Bier verstehen“ ist falsch. Besser: Leute, die nicht ausgebildet sind. „Learning by doing“ ist eine Nicht-Ausbildung. Aber tolle Ideen hatten und haben die bis heute und das begeisterte mich. Auch, dass die Herangehensweise so anders war. Wenn man mal ganz ehrlich ist, dann ist es doch so, dass viele deutsche Brauer meinen, sie seien die großen Helden, weil eine geile Ausbildung haben. Stimmt ja auch, muss man ehrlich sagen. Aber sie sind dann halt auch nicht offen für anderen Geschmäcker und Ideen. Und das ist Dummheit. Das ist keine Arroganz, das ist einfach nur Dummheit.
Wenn man dann diese Biere probiert, also Craft Beer jetzt, Bier, wie es der Sebastian und der Fritz und so machen, wenn man versteht was hinter diesen Bieren steckt und was für geile Geschmäcker da rauszuholen sind, und das dann aber dennoch ignoriert und sagt: „Das ist alles Mist!“, dann muss ich ganz ehrlich sagen, dann soll man ruhig das machen was man zwanzig Jahre vorher gemacht hat. Dann überholt einen nur irgendwann mal die Zeit.
Von der Vorreiterrolle, neuen Erfahrungen und neudeutschen Begriffen
Wir von der Vormann Brauerei als Kleinstbetrieb, sind in der Lage hier Vorreiter zu sein. Das hat damit zu tun, dass wir hier Einzelsude machen können. Ich kann also mit jedem Sud etwas Neues entwickeln. Das erzähl mal einem Brauer, der pro Sud 1.000hl ausstößt. Als Fritz und Sebastian hier ankamen, hatte ich noch ein altes Sudwerk mit 60hl-Ausschlagmenge. Das haben wir, wie heißt das so schön auf Neudeutsch, „downgesized“ auf ein 30hl-Sudhaus, damit wir häufiger brauen können. Über den Fritz und den Sebastian habe ich dann so reingeschnuppert in diese neue Szene. Ich selbst habe ja die ganzen Verbindungen nicht und bin nur so ein Kellerkind, aber mit dem Sebastian durfte ich dann auch immer wieder durch Amerika tingeln und freue mich jetzt schon drauf, dass wir nächstes Jahr mal wieder hinfahren. Es ist einfach geil, dort so offen aufgenommen zu werden und bei Collaboration-Suden mit Leute zu arbeiten, die vom Ausbildungsstand ganz anders sind, die von der ganzen Arbeitsphilosophie so anders sind.
„Als Chef würd‘ ich bei denen in der Brauerei einen Schreikrampf kriegen, dat is einfach so.“
Ich sag immer: Amerika, das es ein Land ist für junge Kerle, die einfach was anfangen wollen ohne nachzudenken. Entweder es klappt oder nicht. Das ist, wie wenn du einen neue Freundin haben möchtest. Dann denkste auch nicht drüber nach. Entweder es klappt oder es klappt nicht. Dann klappt vielleicht nur jeder zehnte Versuch, aber deswegen hörste ja trotzdem nicht auf.
Ach, und die Mentallität der Amerikaner… Ich muss ganz ehrlich sagen, das hat mich zu Beginn doch sehr beschämt. Wir sind hier ja Sauerland. Ich will das Sauerland nicht unterqualifizeren, aber der Kohlenpott ist offener, freundlicher. Wer diesen Kohlenpott-Spirit einmal kennengelernt hat, und den habe ich ja in Bochum kennengelernt, wo ich meine Lehre gemacht habe, der weiß was ich meine. Aber hier im Sauerland, das ist man nicht so freundlich, das ist einfach nicht so. Und dann kommt man nach Amiland und wird dort mit offenen Armen aufgenommen und es wird alles für einen gemacht, egal zu welcher Uhrzeit. Ich hab‘ ja erst mal gesagt, ach komm, ich habe jetzt zehn bis zwölf Stunden gearbeitet, jetzt habe ich die Schnauze voll, will jetzt nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Dabei ist es in Amerika selbstverständlich, dass man noch „hospitality“ hier und tralala da macht. Musste ich alles erst lernen. Ist aber toll. Und ich bin froh und dankbar, dass ich das erleben darf. Das hätte ich als Maurer nicht mitgekriegt.
Und darum ist dieser Beruf auch so geil, weil man eben super Kontakte pflegen kann und super Kontakte haben kann. Und da ist der Sebastian natürlich ganz weit vorne. Ich glaube einen besseren Kameraden kann man nicht bekommen.
Durch ihn ist Craft Beer irgendwie auch mein tägliches Brot geworden. Aber hier auf dem lokalen Markt ist das Thema noch nicht angekommen. Man muss hier sehen: Die Leute sind hier BVB oder Schalke, die Emporkömmlinge sind Bayern und die aus dem Rheinland ausgewanderten sind Köln. Mehr gibt es nicht. Und genauso gilt’s auch beim Bier: Entweder sind das Veltins-Trinker oder Krombacher-Trinker, jeder hat da so seine Marke. Das ist eben so.
Interessant finde ich ja, dass „normale“ Brauereien – und ich zähle die Vormann Brauerei jetzt nicht unter normal – heutzutage oft eigentlich Marketingunternehmen sind, Dieses Marketingunternehmen versuchen, möglichst wenige verschiedene Biere möglichst gut zu vermarkten. Über die Marke. Das ist deren Erfolg. Das klappt aber halt nur eine gewisse Zeit. Wenn dann irgendwann das Image dieser Marke einen Knacks bekommt, hat man ein Riesenproblem. Das alles läuft bei Craft Beer ganz anders. Und das finde ich halt auch so gut.“