Die Schneeeule will weiterfliegen

Martin Rolshausen

Saint Anthony wacht über den Plattenspieler. Eine Gabel in der linken, einen Joint in der rechten Hand schaut der tote Kultkoch  Anthony Bourdain mit Heiligenschein in den Salon für Berliner Bierkultur. Ulrike Genz legt das „Frizzle Fry“-Album von Primus auf. Sie zapft sich noch ein Bier und spricht von dem Plan, der es ihr ermöglichen würde, „dann richtig zu brauen“.

Kultkoch  Anthony Bourdain wacht über dem Plattenspieler im Salon für Berliner Bierkultur der Schneeeule. Foto: Martin Rolshausen

Das klingt schräg aus dem Mund einer Frau, die vor knapp zehn Jahren damit begonnen hat, den damals fast vergessenen Bierstil Berliner Weiße wiederzubeleben und 2016 die Brauerei Schneeeule gegründet hat. Einer Frau, die weltweit für ihre Sauerbiere gefeiert wird – eine der profiliertesten Brauerinnen Deutschlands, vermutlich sogar der Welt.

Mit der Anlage von Flügge brauen

Auch wenn die Ergebnisse ihrer Braukunst faszinierend sind, wie sie zurzeit brauen muss, ist nicht ganz so, wie sich Ulrike das vorstellt. Die Schneeeule hat die Anlage von Flügge gekauft, als die hessische Brauerei Anfang vergangenen Jahres den Betrieb eingestellt hat. Am aktuellen Schneeeule-Standort im Wedding macht es keinen Sinn, diese Anlage mit offener Fermentation aufzubauen. Die Räumlichkeiten sind suboptimal und Ulrike ist mit ihrem Vermieter wegen willkürlicher und nicht transparenter Nebenkostenabrechnungen im Clinch. 

Kosten für Transport und Herstellung sind explodiert

Eine alte Werbung im Salon für Berliner Bierkultur. Foto Martin Rolshausen

„Das letzte Jahr war für uns wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine schwer. Die Kosten für Transport und Herstellung sind explodiert, wir konnten deutlich weniger Bier absetzen und mussten Personal entlassen“, hat Ulrike vor wenigen Tagen mitgeteilt. Dann noch der Rechtsstreit mit dem Vermieter der Produktionsräume und auch noch Probleme mit der Lagerfläche. Deshalb haben sich Ulrike und ihr Mann im November die Frage gestellt: Kann es überhaupt weitergehen mit der Schneeeule?

„Wir sind müde. Wir sind erschöpft.“

Die Frage haben die beiden nun beantwortet: „Wir sind müde. Wir sind erschöpft. Aber wir geben noch nicht auf!“ Womit sich eine neue Frage stellt: Wie kann es weitergehen? Ulrike skizziert drei Varianten:

Drei Varianten fürs Weitermachen

Wenn sich der aktuelle Vermieter querstellt und die Brauerei nicht aus dem Vertrag rauskommt, werde man wohl noch zwei Jahre lang irgendwie weitermachen am jetzigen Standort – allerdings auf Sparflamme, um die Kosten möglichst niedrig zu halten. Das ist aus Ulrikes Sicht die schlechteste Lösung.

Im Schneeeule-Kühlschrank stehen einige Raritäten. Foto: Martin Rolshausen

Variante zwei: „Wir brauen hinten in der Küche, dann können wir aber nicht mehr international verkaufen.“ Die Küche gehört zum Salon für Berliner Bierkultur, den die Schneeeule ebenfalls im Wedding betreibt. Dort könne zwar Bier gebraut werden, aber nur in kleinen Mengen.

Es gibt einen Wunschort.

Die optimale Lösung wäre ein neuer Standort in Berlin, an dem auch die Flügge-Anlage endlich aufgebaut werden kann. Einen solchen Standort hat Ulrike auch schon gefunden. „Es gibt einen Wunschort. Der ist nicht ganz weit weg. Da freut sich auch die Vermieterin auf mich“, sagt Ulrike. Dort gibt es im Gegenteil zum jetzigen Standort auch ordentliche Stromzähler und eine Bushaltestelle vor der Tür.

Die Schneeeule braucht rund 100.000 Euro

Dieser Neuanfang kostet allerdings Geld. Ulrike geht davon aus, dass sie dafür rund 100.000 Euro braucht. Die hat sie nicht. Deshalb soll demnächst eine Crowdfunding-Kampagne gestartet werden. Die ersten Reaktionen auf diese Idee, machen Ulrike Mut. Man könne schon etwas depressiv werden, wenn man in der Brauerei vor sich hinarbeitet und nicht weiß, wie es weitergeht. Da sei es unheimlich gut, wenn sich plötzlich Menschen aus der ganzen Welt melden, die sagen: „Du musst weitermachen.“ Zumal viele von ihnen Unterstützung signalisieren.

Schneeeule Salon für Berliner Bierkultur Foto: Martin Rolshausen
Der Schneeeule Salon für Berliner Bierkultur. Foto: Martin Rolshausen

Ulrike muss sich unterbrechen. Ein junger Mann hat den Salon für Berliner Bierkultur betreten. Wer hier reinkommt, das ist ihre Devise, soll nicht nur etwas Gutes zum Trinken bekommen, sondern etwas Neues über Bier erfahren. Ulrike erklärt dem jungen Mann, dass es ihre Berliner Weiße nicht mit Himbeer- oder Waldmeistersirup gibt. Sie hat „mit Strippe“ (also mit Berliner Kümmelschnaps) oder mit Pomeranzenlikör im Angebot. 

Die Schneeeule setzt zu einem neuen Flug an.   

Ihr Ziel sei es nach wie vor, die Berliner Weiße „so zurückzubringen, wie sie mal war – nicht wie vor 100 Jahren, sondern eher vor 200 Jahren“, sagt Ulrike, nachdem der Gast sich mit einem Buch in eine Ecke gesetzt hat. „Damals war Zucker teuer“, erklärt sie. 

Die Beer Community kann helfen

Die originale Berliner Weiße wieder ins Bewusstsein der Berliner zu bekommen und gleichzeitig außergewöhnliche Biere für die weltweite Sauerbier-Fangemeinde zu brauen – die Schneeeule setzt gerade zu einem neuen Flug an.  Es sieht es so aus, als könnte Ulrike Genz die Verwirklichung ihres Traums weiterhin gelingen. Dazu braucht sie allerdings Hilfe. Dass die Beer Community es schafft, Brauereien zu retten, hat sie bei bei Schoppe Bräu gezeigt. Um die Crowdfunding-Kampagne zu starten, braucht die Schneeeule zwar noch ein paar Tage, aber wer jetzt schon Hilfe anbieten will, kann das bei Ulrike gerne jetzt schon tun.

(Das Bild oben zeigt Ulrike Genz am 4. Februar in ihrem Salon für Berliner Bierkultur. Foto: Martin Rolshausen)

(7. Februar 2024)