COLLAB-SELLING: Zusammentun und zusammen tun

Nina Anika Klotz

Collab-Brewing ist ja ein alter Hut. Neu ist jetzt: Collab-Selling. Freigeist Bierkultur und Pirate Brew machen den Anfang und schließen sich ganz unkonventionelle zum Quasi-Mini-Vertriebsverbund zusammen. Weitere Partner gesucht? Immer nur her! Ein Gespräch über Brauervertrauen und das Klein-Sein in einem wachsenden Markt

Sebastian Sauer ist nicht nur einer der dienstältesten Craft Beer Brauer Deutschlands, er ist auch einer der international gefragtesten. In der US-Craft Szene ist „Freigeist from Germany“ eine bekannte Größe und das schon seit Jahren. Er war auch der erste und bisher einzige Brauer, der die Ehre hatte, beim exklusiven Mikkeller Event, der Copenhagen Beer Celebration, auszuschenken.

Trotzdem ist Sauer, sagt er selbst auch so, einer von „den Kleinen“. Gypsie-Brauer aus Überzeugung, Produzent kleiner Chargen, kein Team, keine Außendienstler. Stattdessen setzt er auf Brauer-Bande. Als großer Anhänger des Prinzips Collaboration-Brew startet er nun mit Pirate Brew in Berlin einen Collaboration-Vertrieb: Wenn einer ohnehin unterwegs ist, gutes Bier zu verkaufen, dann nimmt er das gute Bier vom anderen eben einfach mit. Umgekehrt ebenso. Unkompliziert, ohne große Verträge, Klims und Bims, auf Brauer-Loyalität bauend. Das Netzwerk kann, soll und wird ausgebaut werden.

Wir haben uns mit Sebastian Sauer, Freigeist Bierkultur, und Christina Saez und Andreas Håkansson von Pirate Brew darüber unterhalten.

Craft Beer Vertrieb

Machen gern gemeinsame Sachen: Sebastian Sauer (3.v.l.), Christina Saez und Andreas Hakansson (3. und 2. v.r.) mit Yankee & Kraut und Christian Vormann (Vormann Brauerei) beim Brauen von „Room101- You probably know why we are here“ – einem extra extravaganten Collaboration-Sud. (Foto: privat)

Eigentlich fallen mir relativ viele Distributoren und Bierverleger ein, die in den letzten Jahren aktiv wurden. Trotzdem, sagt ihr, seien die nichts für Craft Beer Brauer…

Sebastian Sauer: Nein, ich sage nicht, dass die nichts für Craft Brauer sind. Für mich persönlich treffen die derzeit aktiven Distributoren halt nicht meine speziellen Anforderungen. Ich meine: Deutschland ist ein großes Land, und da ist es völlig nachvollziehbar, dass ein Distributor aus Hamburg nicht die besten Kontakte zu den Bars und Shops in München hat oder einer aus dem Westen in Meck-Pomm nicht optimal aufgestellt ist. Dabei ist der enge, persönliche Draht zu Händlern und Gastronomen gerade in unserer Branche unglaublich wichtig. Größere, One Pint zum Beispiel, fokussiert sich mittlerweile sehr auf Supermärkte.

Und das ist nicht gut?

Sebastian Sauer: Ich mache keine Biere für den Supermarkt, die da unkommentiert im Regal stehen können und der Kunde einfach so im Vorbeigehen mitnimmt. Wir reden hier über ein verdammtes Eukalyptus-Pfefferminz-Bier. Zum Beispiel. Das muss man natürlich erklären. Dafür brauche ich die Bierspezialitätenläden und die guten Pubs. Und die brauchen auch genau solche Biere wie die meinen.

Warum?

Sebastian Sauer: Weil das der Punkt ist, an dem der Spezialitätenhändler mit seinem Wissen punkten und letztlich auch Geld verdienen kann. Deshalb kommen die Kunden zu ihm. Shopbetreiber sollten sich nicht darauf ausruhen, dass sie Brewdog im Sortiment haben und das zur Zeit gut verkaufen. Das ist Supermarktbier. Was nichts Schlechtes ist, so meine ich das nicht, absolut nicht. Aber es ist eben ein ganz anderes Produkt und keine Besonderheit, für die die Leute morgen noch in dieses Spezialitätengeschäft oder diese Bar kommen. Die stehen ja jetzt schon vor dem Regal und zücken ihr Handy, um zu sehen, ach, das kriege ich anderswo billiger. Solche Biere wird es bald überall geben.

Euer Weg ist also nun, dass ihr als Brauer den Vertrieb Eurer besonderen Biere in die Spezialitätenläden und Bars selbst macht. Ist das nicht eine mächtige, zusätzliche Aufgabe – und irgendwann zu viel?

Pirate Brew: Ja, natürlich ist es viel Extra-Arbeit, das Bier auch selber zu verkaufen. Aber für uns als kleine Brauerei ist es total wichtig, alles selbst zu machen. Gutes Bier zu brauen ist nur ein kleiner Teil unserer Aufgaben als Craft Brauer.

Sebastian Sauer: Genau so ist es, man schmeißt halt die ganze Firma. Gutes Bier ist nichts, wenn’s nicht verkauft wird. Und dafür muss man raus und mit den Leuten sprechen. Der Teil der Arbeit, der vielen Brauerkollegen nicht liegt, die würden sich lieber im Gärkeller verstecken. Geht aber nicht.

Und weil man nicht überall sein kann, tut ihr Euch zusammen. Wenn ihr, Christina und Andreas, eh in Berlin unterwegs seid und mit den Leuten sprecht, dann sprecht ihr jetzt auch über Freigeist.

Pirate Brew: Genau. Wir haben Sebastian auf der Beer Geek Madness in Polen kennengelernt und standen im Sommer dann mit unserem Stand neben ihm auf dem Craft Beer Festival in Regensburg. Wir haben in diesen Tagen gemerkt, dass wir viel gemeinsam haben, insbesondere unsere Haltung zum Thema Craft Beer. Und als wir ihn neulich auf der Suche nach Brauereien angesprochen haben, bei denen wir brauen könnten, schlug er vor, dass wir doch wie er in der Vormann Brauerei brauen sollten und wir uns da dann auch gleich in Sachen Vertrieb zusammentun.

Wie läuft denn der Vertrieb von besonderen Craft Bieren aktuell so? Speziell in Berlin? Gibt ja immer wieder das Gemurmel über eine „Craft Beer Blase“ hier…

Pirate Brew: Nur weil hier eine Bar und ein Shop dicht gemacht haben? Nein, ich sehe hier keine Blase. Sicherlich, das Wachstum in den letzten zwei Jahren war exponentiell, so rasch wird es wohl nicht weitergehen. Geht ja gar nicht…

Sebastian Sauer (lacht): Das ist so ziemlich genau die Definition einer Blase.

Pirates: Nein, ich sage ja nur, dass es ungewöhnlich war, dass hier in eineinhalb Jahren fünfzehn Craft Beer Bars oder so aufgemacht haben… –

Sebastian Sauer: Ja, genau! Es ist als hättest du diese riesengroße, pinke Kaugummiblase vor der Nase und sagst: Blase? Ich sehe keine Blase. Also für mich ist es eine ziemlich offensichtliche Blase. Nicht nur in Berlin, überall in Deutschland. Und auch in den USA.

Pirates: Aber die kann man ja mit Deutschland in Sachen Craft Beer nicht vergleichen.

Sebastian Sauer: Wieso? Die Situation ist dieselbe: Es gibt mehr Angebot als Nachfrage. Es werden dauern neue Craft Breweries gegründet, aber der Konsumentenmarkt wächst nicht im gleichen Tempo mit. Blase.

Also ich höre oft von deutschen Craft Brauer, die klagen, sie könnten mehr Bier verkaufen, als sie aktuelle produzieren können.

Sebastian Sauer: Wer behauptet das? Oft sind die Leute ja auch etwas überoptimistisch. Beispiel: Stone Brewing Berlin. Ein überoptimistisches Projekt, wenn man mich fragt.

Pirate Brew: Ok, also ein Problem, das ich generell sehe, ist, dass viele Leute schnell in Sachen Craft Beer mitspielen wollten und in Eile diese neuen Biere gebraut haben, ohne wirklich zu wissen, wie das geht. Dabei ist auch ziemlich viel schlechtes Bier auf den Markt gekommen. Das hat der Craft Beer Bewegung nicht gut getan.

Sebastian Sauer: Das Problem ist einfach das Fehlen von Wissen auf allen Seiten. Der Verbraucher kann den Unterschied zwischen dem Becks Pale Ale und dem frischen, ehrlichen Craft Beer zwar irgendwie schmecken, sich aber nicht erklären. Das aus dem Supermarkt hat ihn nicht überzeugt, also kauft er Pale Ale oder Craft Beer nie wieder. Der Barmann nimmt irgendein mittelmäßiges Bier an den Hahn, weil er keine Ahnung hat und verprellt damit weitere potentielle Craft Beer Trinker. Vom Servicepersonal in der Gastronomie will ich gar nicht erst anfangen. Und die Händler, auch die Spezialitätenhändler, müssen sich ebenfalls an die Nase fassen, weil sie nicht genug wissen, um die Geschichten zu den guten Bieren verkaufen zu können. Und die Brauer betrifft es auch: New England IPA, nur als Beispiel. Hinz und Kunz brauen jetzt NEIPAs. Und dann fragst du mal: Hast du denn schon einmal ein NEIPA frisch getrunken, in New England? Nein. Alles was die kennen ist altes, hergeschippertes Bier oder eine deutsche Version davon. Und dann wollen die das selber brauen? Da benutzt man tolle Namen und Beschreibungen für neue Biere, die die alle aber nicht wert sind und verbrennt dabei einen ganzen Haufen Erde. Ein ziemliches Riesenproblem.

Craft Beer Vertrieb

(Foto: NAK)