Wilde Hefen, Haushefen, Weinhefen – Carsten Jepsen braut in seiner Branta Brauerei abgefahrene Biere, nach denen Bierdeutschland ganz verrückt ist. Weil sie so ganz anders sind. Wir haben mit dem Mann von der Nordsee über sein ungewöhnliches Biersortiment gesprochen.
Carsten Jepsens Bier kommt vonner Warft, sagt er. Vonner was? Vonner Warft, also Warft wie Hallig, nur anders. Vereinfacht: Halligen sind ganz kleine Inseln, die bei Sturmfluten überschwemmt werden können, Warften hingegen aufgeschüttete Hügel, auf denen Häuser stehen – zum Schutz vor Hochwasser. Und auf eben so einer Warft in Niebüll („Die vorletzte Station vor Sylt!“) hat Carsten Jepsen seine Branta Brauerei eröffnet.
Jetzt ist die Lage der Branta Brauerei aber nicht die einzige Besonderheit und auch nicht der Grund, warum wir den Brauautodidakten unbedingt einmal selbst sprechen wollten. Denn Carsten Jepsen ist nicht nur Brauer, sondern gleichzeitig Kulturwissenschaftler, Pädagoge und „kleiner Hobby-Ornithologe“. Daher der Name seiner Brauerei. Jedes Jahr ziehen die Meergänse über Nordfriesland. Und die gehören zur Gattung Branta. Als Symbol für Freiheit und die Natur passen die Gänse zur Branta Brauerei. Findet Jepsen.
Carsten, du hast als klassischer Heimbrauer angefangen. Was hat dich dazu gebracht, eigenes Bier zu brauen und schließlich die Branta Brauerei zu eröffnen?
Der Urknall kam, als die allerallererste Mikkeller Bar in Kopenhagen aufgemacht hat. Ich bin eine Woche später mit einem Freund hin. Wir haben’s im Internet gelesen, uns die Biere angeschaut und fanden das Ganze sofort spannend. Also sind wir nach Kopenhagen, haben die Mikkeller Bar besucht und uns durchs Sortiment getrunken. Wir waren total begeistert. Danach habe ich angefangen zuhause zu brauen, das muss im Winter 2011 gewesen sein.
Anschließend habe ich Kulturwissenschaften und Pädagogik in Jena studiert, also was ganz anderes. Aber in Jena gibt’s einen Braugasthof, die Papiermühle. Da hab ich anderthalb Jahre gearbeitet – zuerst als Aushilfe, also Flaschen waschen und abfüllen. Später ist dann einer der Braumeister krank geworden und ich habe alle Aufgaben übernommen. Die Papiermühle hatte ein 15 Hektoliter Sudhaus, also habe ich mir dort sozusagen meine Sporen im kommerziellen Brauen verdient.
Das Studium habe ich schließlich beendet und mich tatsächlich doch auch da noch auf‘s Bier fokussiert. Die Kulturwissenschaften sind so weit gefächert, dass man mehr oder weniger machen kann, was man will. Also habe ich meine Bachelorarbeit darüber geschrieben, welchen Einfluss das bayerische Reinheitsgebot auf die norddeutsche Bierkultur hat.
Nach dem Studium habe ich ziemlich schnell in Hamburg bei Brausturm angefangen. Neben dem Craft Beer Großhandel hat damals Beyond Beer als Ableger aufgemacht. Das Team hat sich vergrößert und ich bin dazu gekommen. Bei Brausturm war ich 2 Jahre. Durch Einkauf und Vertrieb lernt man den Biermarkt nochmal ganz neu kennen. Gerade als kleine Firma im Großhandel muss man sich dort täglich neu behaupten, man lernt eine ganze Menge. Letztes Jahr im Juli habe ich mir schließlich überlegt, dass ich mir nochmal was neues vorstellen kann.
Und hast die Branta Brauerei gegründet…
Also ich komme gebürtig aus Niebüll in Nordfriesland, die vorletzte Bahnstation vor Sylt. Ganz hier in der Nähe haben Freunde von mir eine kleine Brauerei eröffnet – das Ebbüller Brauhaus. Die Brauerei war kurz vor der Fertigstellung, als ich angefragt habe, ob ich mich einmieten kann. So sind wir zusammen gekommen.
Der Umbau ging dann noch bis Dezember letzten Jahres. Bis schließlich alles durch war, war es schon Ende März. Seit dem können wir brauen. Aktuell haben wir nur eine 1 Hektoliter Anlage. Das heißt wir können maximal 200 Liter am Tag brauen, also extrem klein. Es ist aber alles darauf ausgelegt, dass wir ganz entspannt auch eine 500 Liter Anlage reinbauen können – je nachdem wie sich das Ganze hier weiter entwickelt. Wobei man sagen muss, dass auch die 500 Liter Anlage für zwei Brauereien nicht viel ist. Wenn‘s wirklich gut laufen sollte, dann wäre die Überlegung, ob ich noch woanders hingehe, in eine andere Brauerei.
Oder um eine eigene, größere Brauerei aufzumachen?
Da fehlt‘s mir an Kapital. Wenn die Nachfrage wirklich groß wäre, könnte ich mir das vorstellen. Ich kann mir auch vorstellen, mich in eine größere Brauerei einzumieten, würde aber auf jeden Fall selbst brauen wollen. Es müsste so sein, dass ich hier in der Nähe bin und in der Brauerei arbeite, nicht nur ab und zu mal reinschaue. Ich bin hier in Schleswig Holstein verankert, hier soll‘s dann auch bleiben. Ich würde nicht in irgendeine Brauerei nach Bayern ziehen. Es gibt hier was auf der anderen Seite der dänischen Grenze, das könnte ich mir vorstellen. Das ist nur ein Katzensprung und noch am Meer. Aber das ist alles Zukunftsmusik.
Jetzt machst du aber die meisten deiner Biere mit wilden Hefen, was ja nicht so einfach ist in vielen Brauereien. Die meisten Brauerinnen und Brauer sind mit wilder Hefe eher zurückhaltend. Woher kommt deine Zuneigung?
Ich bin ein Riesenfreund belgischer Biere. Sowohl die klassischen Sachen, als auch die ganze Sauerbier-Geschichte finde ich super – saure Biere sind mein Ding. Was ich nicht mag ist das stark phenolische und hochprozentige, was man oft in belgischem Bier findet. Deshalb kommen mir so ein paar Sachen, die eher moderat sind, sehr zugegen, ein Orval zum Beispiel.
Und die Brett-Nachgärung mag ich sehr gerne. Da ist eine Komplexität und Tiefe drin, die findet man sonst nur in ganz, ganz wenigen anderen Bieren. Diese Biere entwickeln sich und brauchen viel mehr Zeit. Blenden spielt dabei eine große Rolle. Man kann viel mit interessanten Getreidesorten machen. Das Brauen ist auch anders, als bei einem Pilsener oder auch bei NEIPAs. Die sind sehr genau getimed, man braucht eine andere Herangehensweise und oft sehr gut ausgerüstete Brauereien: Sauerstoffgehalt niedrig halten, exakte Temperaturkontrolle, eine Gegendruckabfüllanlage. Das ist in einer kleinen Brauerei, wie wir sie haben, in der Form nicht möglich. Was wir allerdings haben, ist Zeit! Zeit, um lange zu gären, zu reifen und schließlich in der Flasche nachzugären. Wir sind eine kleine Brauerei auf dem Lande, am Meer, umgeben von frischer Luft und spannenden Mikroorganismen.
Du nutzt unter anderem deine hauseigene Hefen. Was genau kann man sich darunter vorstellen? Und inwiefern sind sie hauseigen?
Da ist zum einen eine belgische Hefe, die ursprünglich von White Labs kommt. Damit mache ich die offene Hauptgärung. Dabei wird die Hefe oben abgefischt. Und wenn man die Hefe ein paar Generationen führt – meine ist jetzt ungefähr 60 Generationen alt – dann passt sie sich dem Hauscharakter an. Das heißt, die Hefen verändern sich deutlich, sowohl im Gärverhalten, als auch im Geschmack. Das klappt durch das Top Cropping, also von oben während der aktiven Gärung abschöpfen, ganz gut. So schöpfe ich die noch vitale Hefe ab und nicht die, die schon geschwächt ist. Das gilt für die Saccharomyces.
Bei der Brettanomyces und anderen wilden Hefen ist es so, dass ich einen Teil ebenfalls gekauft, aber auch mal selber Hefe gefangen habe. Hier bei uns, ganz easy peasy ein bisschen Würze gemacht und einen Topf mit einem kleinen Schutz rausgestellt. Das mache ich seit sechs, sieben Jahren jeden Winter. Wenn die Sude gut sind, verwende ich sie weiter, wenn nicht, dann nicht. Die meisten meiner Biere haben eine Mischung aus Hefen. Selbst das Bier „wilde hefen„ hat aktuell zwei: Eine gekaufte Brettanomyces bruxellensis und die wilde, selbst isolierte Haushefe.
Welche deiner Biere braust du mit wilden Hefen?
Das Pale Ale ist zum Beispiel ein ganz klassisches, ein bisschen New England angehaucht – nicht so bitter, etwas vollmundiger und nur im Fass. Auch das normale Saison ist nicht mit einer Bretthefe. Das wilde hefen ist 100 % wild, die saure weisse bekommt eine Nachgärung mit Brett. Und dann gibt’s noch das wilde saison, ebenfalls mit Brett in der Nachgärung. Das ist also ein Schwerpunkt, aber wilde Hefen sind nicht in allen Bieren. Ich hab auch ewig mit norwegischer Kveik gebraut, war aber nie zufrieden.
Es kommen immer mal neue Sachen dazu, andere fallen weg. Bei den ganzen Verkostungen, die ich gemacht habe, kamen die sauren und wilden Sachen immer am besten an. Da liegt aber auch mein Fokus. Vor allem finde ich die wilden Biere im Niedrigalkoholgebiet echt spannend – eine Berliner Weisse mit 4 Prozent kann wirklich potent sein.
Wobei ich sagen muss, dass unsere wilden Hefen nicht dies erdige, würzige und funkyge haben – auch nicht nach Misthaufen und Pferdeschweiß riechen. Unsere Biere sind eher fruchtig und zugänglicher. Die wilden Hefen, die ich in der Branta Brauerei nutze, haben immer eine fruchtige Komponente und produzieren eine leichte Säure. Die saure weisse ist vom Geschmack grob mit einer Berliner Weissen vergleichbar, hat aber einen eigenen Brauprozess – nie eine pH-Wert unter 3,5. Es gibt auch keine Vorsäuerung und kein Kesselsäuern.
Du hast unter anderem ein Bier mit Rieslinghefe gebraut. Was hat dich dazu gebracht, mit Weinhefen zu arbeiten?
Ich war im letzten September bei Matthias Meierer vom Weingut Meierer an der Mosel. Matthias bewirtschaftet dort unter anderem den Weinberg von Mikkeller und stellt den Mikkeller Wein her. Wir haben uns in Kopenhagen auf einem Festival kennengelernt. Ich bin sowieso ein großer Riesling-Fan und habe die Möglichkeit bekommen für zwei Monate sein Praktikant zu sein. Das war super spannend, Techniken der Weinherstellung im Vergleich zum Bier zu lernen. Da habe ich eine Menge mitgenommen. Matthias fermentiert all seine Weine komplett spontan. Also habe ich mir aus einem Fass einfach Hefe abgezwackt und damit ein Bier gebraut – also im Prinzip mit einer spontanen Rieslinghefe. Sowas mache ich total gerne: Schauen, was man mit wilden Hefen eigentlich alles machen kann, aus welcher Quelle sie kommen, schauen wie ich die Hefe passend im Bier einsetzen kann.
Und das kam bestimmt gut an…
Die Leute fanden das Ganze total cool. Das Bier ist ein bisschen säuerlich, hat ein paar herbe Noten. Und das Experiment ist einfach spannend. Auf der einen Seite hast du eine spontane Weinhefe, auf der anderen Seite ein relativ entspanntes Bier, ganz ohne Säure und Brett. Solche Biere kommen aber immer nur als Sondereditionen auf den Markt. Das ist eher ein Probierbier. Gerade die Kollaborationen mit der Schnaps-, der Wein- und der Ciderwelt gefallen mir einfach. Es dreht sich viel bei mir um Hefe! Ich achte penibel darauf, dass süß, sauer und bitter in jedem Bier greifen.
Du musst bei deinen Suden, die du offen vergärst auf die Temperaturen achten und sagst, dass du mit den Jahreszeiten braust. Was bedeutet das für deine offen vergorenen Biere?
Also offen heißt bei mir, dass es keine Überdruckgärung ist. Die Tanks sind schon geschlossen, der Deckel liegt locker drauf und wird zwei Mal am Tag an den ersten beiden Tagen der Hauptgärung abgenommen und die Hefe abgeschöpft.
Ansonsten haben wir natürlich eine Temperaturkontrolle, hier in der Branta Brauerei. Die Biere stehen alle gekühlt und können entsprechend runtergekühlt werden, oder mit einer Heizspirale aufgewärmt werden. Gebraut werden kann also das ganze Jahr. Die Spontansachen kommen bei mir nie als direktes Bier auf den Markt, sondern sind immer Teil von Blends oder als Bier, das ich als Wild Ale definiere. Die Spontangärungen mache ich zwischen November und März. Im Moment reifen alle Biere noch in Edelstahl, die wilden Sachen so zwischen zwei und drei Monate. Wir haben aber noch kein Holz für die Lagerung in der Brauerei. Das ist eine Sache, die ich in Zukunft anstrebe, da fehlt uns aber momentan noch der Platz.
Titelbild: Carsten Jepsen