Die Bitterkeit eines Bieres ist ein ganz zentrales Qualitätsmerkmal. Darum ist es kaum verwunderlich, dass die Bitterstoffe zu den wichtigsten Komponenten des Bierbrauens zählen. Jetzt haben die meisten von euch wahrscheinlich schonmal festgestellt, dass Bitterkeit ganz unterschiedlich wahrgenommen wird. Das kann entweder genetisch bedingt sein, oder aber einfach Gewohnheit. 2005 hat Vinnie Cilurzo von Russian River dem Phänomen einen Namen gegeben: Lupulin Threshold Shift! Wir haben zunächst ein paar Fakten zusammen gesucht und uns dann mit Dr. Christina Schönberger, Head of Innovation and Education bei BarthHaas, unter anderem darüber unterhalten, ob die Bitterkeitsrezeptoren tatsächlich abstumpfen können, was Bitterkeit beeinflussen und wie weit man Bitterkeit überhaupt schmecken kann.
Was sich hinter dem Lupulin Threshold Shift verbirgt, ist eigentlich ganz leicht erklärt. Es beschreibt die steigende Toleranz gegenüber Bitterkeit bei steigendem Konsum von hopfigen Bieren. Ein bisschen also wie bei Chili. Oft nicht so recht erklärt ist aber, ob das wirklich stimmt, oder warum das so ist. Darum haben wir uns mal an die Fakten gewagt.
Noch heute wird oft davon ausgegangen, dass Alpha-Säure – auch Humulon genannt – den Bärenanteil an Bitterkeit ins Bier bringt. Anders als oft angenommen, ist die Alpha-Säure an sich aber kaum bitter. Erst durch thermisches Isomerisieren – oder etwas einfacher durch Erhitzen der Würze – wird aus der Alpha-Säure Iso-Alpha-Säure. Inzwischen weiß man aber, dass besonders die durch Kalthopfung entstehenden oxidierten Isohumulone – Humulinone – und Polyphenole in stark gestopften Bieren ebenfalls ein signifikanter Bitterkeitslieferant sein können.
Wodurch wird die Bitterkeit beeinflusst?
Es gibt, etwas vereinfacht gesagt, drei verschiedene Arten von Interaktionen bei Lebensmitteln: Einseitige Verbesserung, Synergien und Unterdrückung. Eine einseitige Verbesserung ist beispielsweise das Zusammenspiel von Alkohol und Bitterkeit. Der Alkohol erhöht die Löslichkeit der Bittersubstanzen und man kann die Bitterkeit stärker wahrnehmen. Synergien bezüglich der Bitterkeit im Bier sind nicht bekannt. Zu einer Abschwächung der Wahrnehmung von Bitterkeit kommt zum Beispiel durch Zugabe von Zucker, Salz oder durch Erhöhung der Viskosität.
Typische Werte für Iso-Alpha-Säuren sind 12 bis 17 mg/l in amerikanischen Lagerbieren, 20 bis 32 mg/l in europäischen und asiatischen Lagerbieren und 55 bis 62 mg/l in Stouts. In Ales können sie deutlich höher bei bis zu 100 mg/l liegen. Wie sinnvoll so hohe Werte sind, klären wir später.
Schwellenwert – Threshold
Wie genau ist der Schwellenwert denn definiert? Ganz allgemein gibt es vier Arten von Schwellenwerten: „Terminal Threshold“ (End-Schwellenwert), „Difference Threshold“ (Schwellenwert-Änderung), „Recognition Threshold“ (Wiedererkennungs-Schwellenwert) und „Detection Threshold“ (Entdeckungs-Schwellenwert).
Der End-Schwellenwert ist so definiert, dass die Konzentration einer Substanz bereits so hoch ist, dass eine noch höhere Konzentration in der persönlichen Wahrnehmung keinen Unterschied mehr bringt. Die Schwellenwert-Änderung beschreibt die Konzentrations-Änderung, die nötig ist, um die nächst höhere Konzentrationsstufe zu erkennen. Der Wiedererkennung-Schwellenwert beschreibt, wie viel einer Substanz zugegeben werden muss, damit diese identifiziert werden kann. Der Entdeckungs-Schwellenwert beschreibt die Konzentration, die mindestens nötig ist, damit eine Änderung bemerkt wird. Üblicherweise ist der Entdeckungs-Schwellenwert von größtem Interesse. Daher wird im Folgenden in erster Linie dieser Schwellenwert betrachtet.
Für Iso-Alpha-Säure in Bier wird der Schwellenwert mit 5 bis 15 mg/l angegeben, abhängig von den restlichen Zutaten des Bieres. Allerdings wichen individuelle Werte auch deutlich ab und rangierten zwischen 4,4 und 24,5 mg/l. Die Indikatoren Alter, Geschlecht, Raucher/Nichtraucher oder Erfahrung mit Panels scheinen keine signifikante Rolle zu spielen. Bezüglich des Einflusses des Alters und des Geschlechts gibt es aber widersprechende Studien, die davon ausgehen, dass die Sensitivität von Bitterkeit mit steigendem Alter abnimmt. Zudem wurde festgestellt, dass Frauen generell sensitiver gegenüber Geschmäckern sind. In Wasser liegt der Schwellenwert bei 6 mg/l. Aber wie wirkt sich der Schwellenwert bei Menschen aus, die es gewohnt sind, besonders hopfenbetonte Biere zu trinken?
Es fehlen Studien
Eine Studie hat festgestellt, dass Menschen, die mehr als 3,6 l Alkohol (nicht nur Bier) pro Woche trinken, eine geringere Sensitivität gegenüber Bitterkeit im Bier haben, als Menschen, die weniger als 0,72 l pro Woche trinken. Gibt man Iso-Alpha-Säure in Wasser, ist kein signifikanter Unterschied erkennbar. Überraschend ist, dass die Gruppe der Vieltrinker und Vieltrinkerinnen die Bitterkeit zwar weniger stark wahrnimmt, aber länger.
Die Ergebnisse haben aber mehr als nur einen Haken. Zum einen sind Vieltrinker und Vieltrinkerinnen wesentlich vertrauter mit Bitterkeit im Bier und es liegt nahe, dass sie Bitterkeit bei gleicher Wahrnehmung als weniger intensiv beschreiben. Anders als für hohe Mengen von Alkohol, Phenolen oder CO2 gibt es keinerlei Beleg dafür, dass Bittersubstanzen die Geschamcksrezeptoren für Bitterkeit zerstören.
Frau Dr. Schönberger, schmeckt man Bitterkeit bei erhöhtem Konsum von bitteren Bieren tatsächlich nicht mehr so sehr, oder wird die Wahrnehmung einfach anders beschrieben? Kann man sogar sagen, dass die Geschmacksrezeptoren abstumpfen?
Die Geschmacksrezeptoren stumpfen nicht ab. Der Bittergeschmack – oder die Wahrnehmung des Bittergeschmacks – hat evolutionär den Sinn, dass man sich vor giftigen Stoffen schützen kann. Das Spannende am Bittergeschmack ist, dass die Geschmacksrezeptoren auf völlig unterschiedliche Moleküle reagieren, weil Bitterstoffe an sich überhaupt nicht viel gemein haben. Iso-Alpha-Säuren und Chinin beispielsweise, sind von der Struktur ganz weit entfernt.
Man muss seinen Geschmacksrezeptoren erstmal beibringen, dass manche Bitterstoffe positiv sind. Und das am besten durch regelmäßigen Verzehr. Man lernt Bittergeschmack zu genießen.
Ich kann mir aber schon vorstellen, dass die Intensität, die im Gehirn ankommt über die Dauer abnimmt, weil sich eine Adaption des Geschmackssystems einstellt. Wer jeden Morgen Kaffee trinkt und jeden Tag ein, zwei Bier, hat bei Bitterkeit keinen Überraschungseffekt mehr. Das ist für andere Geschmacksqualitäten ähnlich. Aber beim Bittergeschmack ist es speziell, weil alle anderen Geschmacksqualitäten, wie beispielsweise sauer und süß dazu da sind, uns zu zeigen, wo Ernährungsquellen sind. Der elektrische Signalweg ist hier ein anderer als beim Bittergeschmack.
Außerdem wurde bezüglich des Bittergeschmacks festgestellt, dass man die gesamte Menschheit in Super-Tasters und Non-Tasters unterteilen kann. Da gibt es keine Geschmacksempfindsamkeit wie bei Süße, sondern einen bestimmten Prozentsatz, der extrem sensibel auf Bitterkeit reagiert und einen Prozentsatz, der nahezu gar nicht auf Bittere anspricht.
Kann man sagen: Je mehr bitteres Bier man trinkt, je höher der Geschmacksschwellenwert, oder einfach je mehr Bier, je höher der Schwellenwert?
Bei den persönlichen Schwellenwerten gibt es eine relativ weite Schwankungsbreite. Dauerhaft verändern kann man den persönlichen Schwellenwert bei Geschmacksstoffen aber nicht.
Die Bitterkeit im Bier wird vor allem durch Iso-Alpha-Säuren beeinflusst. Muss man noch weitere Stoffe untersuchen, um die Frage der Wahrnehmungsänderung zu beantworten?
Je nachdem, wie tief man einsteigen will. Bei den Iso-Alpha-Säuren alleine hat man ja schon sechs Homologe beziehungsweise Isomere. In normalen Lagerbieren sind aber mit Sicherheit die Iso-Alpha-Säuren besonders wichtig. Bei den kaltgehopften Bieren kommen die Humulinone, also die oxidierten Alpha-Säuren hinzu. Die können nochmal bis zu 60 bis 70 % der Bitterintensität ausmachen. Dann gibt’s noch die Hulupone, also die oxidierten Beta-Säuren. Die haben relativ niedrige Geschmacksschwellenwerte, kommen aber auch nur in niedrigen Konzentrationen im Bier vor. Einen Bittergeschmack haben noch viele weitere Substanzen des Hopfens, sie gelangen aber nur in minimalen Konzentrationen ins Bier.
Warum ist der Geschmacksschwellenwert für Iso-Alpha-Säuren in Wasser sowohl bei Personen, die viel bitteres Bier trinken, als auch bei denen, die wenig Bier trinken, gleich?
Die Inhaltsstoffe im Bier sind ganz maßgeblich mit daran beteiligt, wie stark die Bittere durchkommt. Wenn im Wasser die Geschmacksschwelle bei 3 oder 4 mg/L liegt, kann sie je nach Biertyp komplett unterschiedlich sein. Bei einem malzigen Bier kann sie bis zu 12 mg/L im Mittel hochgehen. In Wasser ist nichts, was maskiert. In Bier hat man tausende andere Komponenten, die das Geschmacksempfinden individuell beeinflussen. Der Alkoholgehalt beeinflusst die Geschmacksschwellen von Bitterstoffen auch sehr stark – je mehr Alkohol, desto mehr kommen die Bitterstoffe durch. Eine einfache Antwort gibt es auf die Frage nicht.
Welche Faktoren, neben erhöhtem Konsum von bitteren Bieren, können die Sensitivität für Bitterkeit denn beeinflussen?
Andere bittere Lebensmittel beeinflussen die Sensitivität nicht so sehr, dadurch, dass sie strukturell unterschiedlich aufgebaut sind. Man kann schon sagen, man mag Bittergeschmack im Allgemeinen und dann empfindet man in anderen Lebensmitteln Bitterkeit eher als angenehm. Ansonsten korrespondiert die Bittergeschmacksempfindung gut mit dem Süßgeschmack. Bitter und süß können sich gut kompensieren. In süßen Bieren kann ich also Bitterkeit ganz gut unterbringen, ohne, dass es nachher besonders bitter empfunden wird. Auf Bier bezogen sind da außerdem die Parameter Alkohol, Restextrakt und Karbonisierung.
Warum schmecken Vieltrinker und Vieltrinkerinnen die Bitterkeit länger, als diejenigen, die wenig bitteres Bier trinken?
Das ist meiner Meinung nach eher eine individuelle Sache. Das würde ich nicht auf Menge an Bitterstoffen zurückführen. Überhaupt, die gesamte Beschreibung von Geschmackserlebnissen, von Bitterkeit und Aroma ist wahnsinnig schwierig, weil wir nicht dazu angelegt sind, das mit Worten zu beschreiben oder zu bewerten. Bei Aromen können wir es zuordnen, unser Gehirn untersucht, ob das Aroma bekannt ist – und wenn es erkannt wird, können wir es benennen. Bittergeschmack ist erstmal nur schädlich oder nicht schädlich. Insofern ist es beim Bittergeschmack nochmal schwieriger eine Beschreibung zu finden. Wie soll man einen Geschmack beschreiben, den man eigentlich automatisch vermeidet? Da gibt es wenig Vokabular, um Bittergeschmackseindrücke sinnvoll niederzulegen.
Wenn die Empfindlichkeit gegenüber Bitterkeit bei erhöhtem Konsum abnimmt, bedeutet das doch im Umkehrschluss, dass Menschen, die wenig Bier trinken, die besseren Verkoster sind, oder? Sollten Panels dann öfter mit unerfahrenen Biertrinkern und Biertrinkerinnen besetzt werden?
Das kommt auf die Zielsetzung an. Wenn ich gezielt nach Deskriptoren für Bittergeschmack suche, ist es bestimmt gut, wenn es Verkoster sind, die wenig Adaption haben und vielleicht mehr Begriffe zusammen bekommen. Bei unseren Verkostungen lassen wir die Bitterqualität und die Bitterintensität bewerten. Bei Laienverkostungen haben wir gesehen, dass bezüglich der Beschreibung der Bitterintensität gar nicht so große Unterschiede vorliegen. Was bei Laien oft der Fall ist, ist, dass sie die Bitterqualität niedriger bewerten, sobald es bitterer ist, weil es eben ungewohnt ist.
Wie weit kann Bittergeschmack im Bier denn maximal ansteigen?
Die Löslichkeit von Iso-α-Säuren oder Humulinonen in Bier ist begrenzt und bei circa 100 mg/L erreicht. Es ergibt auch keinen Sinn die Bittere über 100 mg/L Iso-α-Säuren zu bewerten, weil wir bei circa 55 mg/L keinen größeren Intensitätszuwachs mehr wahrnehmen, die Bitterwahrnehmung ist eine Sättigungskurve. Das gilt für alle flüchtigen sowie nicht flüchtigen Substanzen. Oft werden für Biere Bittereinheiten angegeben, die sind aber entweder nur berechnet oder analysiert. Analysiert man aber in kaltgehopften Bieren Bittereinheiten ist der gemessene Wert zu hoch, da Substanzen mit gemessen werden, die nicht bitter schmecken. Weder berechnete noch analysierte Bittereinheiten haben eine Aussagekraft für Verbraucher. Daher bin ich eher ein Freund von sensorischen Bitterangaben, also beispielsweise „moderate Bittere“ oder „starke Bittere“.