Alkoholfreie Erweiterung der Genusszone

Martin Rolshausen

Alkoholfreies Bier? Es gibt Menschen, für die spielt diese Variante der Braukunst höchstens  in Witzen eine Rolle. Das läuft dann etwa so: „Ein Bier bitte.“ „Alkoholfrei?“ „Nein, laktosefrei.“ „Wollen Sie mich verarschen?“ „Wer hat denn damit angefangen!“ Oder so: „Ein Bier, bitte!“ „Alkoholfreies?“ „Geht auch Spielgeld?“


Oberhalb dieser Humorschwelle halten die Profis alkoholfreies Bier schon lange nicht mehr für einen Witz. Auch einer der profiliertesten deutschen Brauer, Oli Lemke, nicht. Seine Berliner Brauerei hat vor wenigen Tagen angekündigt, zwei neue alkoholfreie Biere auf den Markt zu. Um, wie Lemke mitteilt, „erstmals eine alkoholfreie Linie im Portfolio“ anbieten zu können, hat man zwei der erfolgreichsten Sorten nun auch ohne Alkohol abgefüllt: Die „Berliner Perle“, also ein Helles, und das „030 Pale Ale“ Alkoholfrei“ sind ab sofort im Berliner Lebensmitteleinzelhandel, in ausgewählter Berliner Gastronomie und im Online-Shop der Brauerei erhältlich.

Alkoholfreies Bier liegt im Trend


„Dass Alkoholfreie im Trend liegen, zeigt sich seit Jahren in den Marktzahlen. Auch unsere Kunden haben uns immer wieder nach alkoholfreien Varianten gefragt. Das war der Antrieb, uns in die Entwicklungsarbeit zu stürzen“, begründet Brauerei-Inhaber Oli Lemke die Portfolio-Erweiterung.
Dass alkoholfreies Bier in Deutschland „zunehmend beliebter“ wird, hat auch das statistische Bundesamt festgestellt. 2021 wurden nach dessen Informationen rund 411 Millionen Liter alkoholfreies Bier im Wert von rund 358 Millionen Euro produziert. Im Vergleich zu den 2021 in Deutschland abgesetzten 8,5 Milliarden Hektolitern klingt das wenig. Die Bundes-Statistiker haben allerdings ausgerechnet, dass die Produktionsmenge von alkoholfreiem Bier in den vergangenen zehn Jahren um 74,1 % gestiegen ist. 2011 habe sie noch bei gut 236 Millionen Litern gelegen. Holger Eichele, der Hauptgeschäftsführer des deutschen Brauerbunds, geht jedenfalls davon aus, dass „in Zukunft jedes zehnte in Deutschland gebraute Bier alkoholfrei sein wird“.


Das privatwirtschaftliche Unternehmen Statista ist etwas defensiver, geht aber davon aus, dass 2022 in Deutschland rund 393 Millionen Liter alkoholfreies Bier abgesetzt, also nicht nur produziert, sondern auch verkauft wurden. Mit rund 331 Millionen Litern sei das meiste alkoholfreie Bier zu Hause konsumiert worden. In Österreich seien im vergangenen Jahr rund 287,5 Hektoliter alkoholfreies Bier abgesetzt worden, ein Plus von 160.000 Hektolitern.

In der Schweiz steigt das Interesse

Auch in der Schweiz wird alkoholfreies Bier zunehmend beliebt. Das habe mit einem Wandel des Lebensstils zu tun, zitiert das Online-Magazin Nau.ch Adrien Weber von der Zürcher Brauerei Turbinenbräu. Der Trend gehe allgemein zu leichter Ernährung mit weniger Zucker, weniger Fett und auch weniger Alkohol. Aber auch das größere Angebot an alkoholfreiem Bier erhöhe die Nachfrage. „Die alkoholfreien Biere sind besser geworden. Sie hatten früher ein schlechtes Image, weil sie ziemlich plump hergestellt wurden“, sagte Adrien Weber.

Der Hopfen bringt Noten von Pfirsich, Mirabelle und Mango: das Alkoholfreie von Maisel & Friends


Auch die Bierothek, der führende Bierfachhändler im deutschsprachigen Raum, bestätigt den Trend: „Wir können ganz klar eine steigende Nachfrage von alkoholfreien Bieren beobachten. 2022 hatten wir sogar ein alkoholfreies Bier (Maisel & Friends alkoholfrei) unter unseren Top 3 Topsellern, was uns zunächst auch überrascht hat. Wir sind uns aber sicher, dass der Bedarf an alkoholfreien Bieren in den nächsten Jahren sogar noch weiter ansteigen wird. Wir haben viele Kunden und Kundinnen, die bei uns explizit auf der Suche nach alkoholfreien Bieren sind, weshalb wir versuchen, unser Sortiment dahingehend immer weiter auszubauen, denn es gibt genügend hervorragende Biere, die auch ohne Alkohol schmecken.“

Alkoholfreie Biere werden mehr gefragt und spielen auch in Verkostungen eine größere Rolle.

Michael Busemann, Pressesprecher Verband der Diplom-Biersommeliers


Und Michael Busemann, der Pressesprecher des Verbands der Diplom-Biersommeliers, sagt: „Die Bandbreite an alkoholfreien Bierstilen ist enorm gewachsen. Die Aromenvielfalt, die durch die Kreativität der Brauerinnen und Brauer entsteht, wird reichhaltiger und breiter. Alkoholfreie Biere werden mehr gefragt und spielen auch in Verkostungen eine größere Rolle. Biersommelièren und Biersommeliers können durch das große Angebot an verschiedenen alkoholfreien Bieren abwechslungsreichere und außergewöhnliche Tastings, Foodpairings und Bierempfehlungen anbieten und ein breites Genussspektrum vermitteln.“


Ums Genusspektrum geht es auch Oli Lemke. „Berliner Perle Hell Alkoholfrei ist das erste alkoholfreie helle Lager aus Berlin. Wir wollten nicht das x-te alkoholfreie Pils machen. Ein helles Lager ohne Alkohol und regional gebraut – das gab es aus Berlin bisher nicht. Diese Lücke schließen wir“, erklärt der Mann, der seit fast einem Vierteljahrhundert in der Nähe des Alexanderplatzes braut. „030 Pale Ale Style Alkoholfreies ist das hopfig-aromatische Gegenstück für Freunde des herberen Genusses“, sagt Oli Lemke. Es ist im Stile eines American Pale Ale gebraut. Drei Aromahopfen sorgen für tropische Noten, die an Grapefruit und Zitrus erinnern und etwas herber ausklingen. „Zweifach bester Geschmack, aber eben ohne Promille“, findet Oli Lemke. Also alles andere als ein Witz.

(Titelfoto: Oliver Eberhardt/Brauerei Lemke Berlin)

(23. Mai 2023)