Auf ein Stralsunder Pils in der ältesten Hafenkneipe Europas

Martin Rolshausen

Das Zeug im Regal wirkt gefährlich. „Goldbrand“, „Noisette – Kakao mit Nuss“ und „Duett – Kirsch-Kakao Likör“ steht auf Flaschen mit finsteren Flüssigkeiten. „Banane Grün“ steht auf einer der anderen Flaschen. Der Inhalt ist sowas von grün – „Fruchtlikör – gefärbt“, verrät das etwas vergilbte Etikett. Wie ich später herausfinden sollte, stammt die „Banane Grün“ aus dem Volkseigenen Betrieb (VEB) Likörfabrik Zahna. Auch die anderen Flaschen sind noch aus DDR-Beständen. An diesem Ort könnte man sagen: Sie wurden gerade eben erst abgefüllt. Denn das Regal, in dem sie stehen, ist Teil der Kneipe „Zur Fähre“ in Stralsund. Und die gibt es seit fast 700 Jahren.

Spirituosen aus DDR-Beständen. Foto: Martin Rolshausen

„Zur Fähre“ ist die „älteste Hafenkneipe Europas“. Das steht zumindest über dem Eingang. Und auf einer Urkunde, die an der Wand hängt. Der „Europa-Rekord für die älteste Hafenkneipe“ wird dort bescheinigt. Wie seriös das „Rekord-Institut für Deutschland“ (RID) auch immer sein mag, die Geschichte klingt plausibel. Die Schank- und Braugerechtigkeit, das was man heute Schankgenehmigung nennt, sei schon im Mittelalter nur auf Antrag gewährt und wegen der Besteuerung genau dokumentiert worden. In eben jenem Verzeichnis der Stadt Stralsund finde die heutige Hafenkneipe „Zur Fähre“ im Jahre 1332 erstmals Erwähnung, heißt es in der Chronik der Gastwirtschaft. Als das Schankrecht erteilt wurde, hieß der Laden allerdings noch „taberne apud passagium“.

Ganz so alt sind die leeren Bierflaschen, die auf einem anderen Brett stehen, nicht. Sie erzählen etwas Stralsunder Biergeschichte. „Stralsunder Pils“ steht in verschiedenen Schrifttypen drauf und „Stralsunder Bock“. Zum Glück hat die Brauerei im Gegensatz zum VEB Likörfabrik Zahna überlebt. Die Stralsunder Brauerei ist zwar heute für ihre Hauptmarke Störtebeker bekannt und heißt auch seit 2012 Störtebeker Braumanufaktur, aber für die Kneipen an der Ostsee und anderswo in Mecklenburg-Vorpommern braut sie weiterhin die traditionelle Marke. Und die hat Wirtin Franzi Höpner am Hahn.

Stralsunder Bier wird seit 1827 gebraut. Foto: Martin Rolshausen

Dass ich der aufs Glas gedruckten Aufforderung „Trinkt Stralsunder Bier.“ an diesem Ort Folge leisten kann, liegt an einer – aus Sicht der Kneipengeschichte – neueren Entscheidung. Die Mutter von Franzi Höpner, Hanni Höpner, die zuvor Wirtin war, hat, als sie das Lokal vor gut zwei Jahrzehnten übernommen hat, mit einer Tradition ihrer Vorgänger gebrochen. Bis dahin war das Gasthaus „Zur Fähre“ nämlich fast ausschließlich Stammgästen vorbehalten gewesen. Für Touristen und Menschen, die zufällig vorbeikamen (also Menschen wie mich), war das, wie es in der Kneipen-Chronik heißt, „familiäre, gediegene Klima“ zu schade. denn: „Nach Pommerschen Brauch blieb man unter sich.“ Es gab also an der Tür eine Kordel, „Urlaubertampen“ genannt.

Ein Stralsunder an einem Sommerabend ist jedenfalls nicht verkehrt. Mit der Geschichte „der Fähre“, wie man hier sagt, kann die Brauerei zwar nicht mithalten, bewegt ist sie dennoch. Im Volkseigenen Betrieb, der die Brauerei war, „häuften sich die Probleme“, berichtet die Unternehmensgeschichte. Und: „Mit der veralteten Technik ließen sich die hohen Qualitätsansprüche und Mengenanforderungen kaum noch gewährleisten. Das Blatt wendete sich erst, als die Stralsunder Brauerei nach der Wiedervereinigung in den 90er Jahren vom Haus Nordmann übernommen wurde. Der renommierte Getränkefachgroßhändler investierte erhebliche Summen und positionierte am gleichen Standort einen Getränkefachgroßhandel. Die Traditions-Brauerei gewann ihre alte Stärke schnell wieder zurück.“

Die Kneipe „Zur Fähre“ wurde 1332 erstmals urkundlich erwähnt als „Taberna opud passagium“. Foto: Martin Rolshausen

Als die Stralsunder Brauerei 1827 gegründet wurde, war die Hafenkneipe schon fast 500 Jahre alt. 1332 wurde sie erstmals erwähnt. In der Kneipen-Chronik wird erklärt: „Sauberes Wasser war besonders in Stralsund eine Rarität. Das Getränk der Wahl war das wohl preiswerte Bier. Es kam aus Häusern mit Braugerechtigkeit und eigenem Brunnen. Das Bier wurde andernorts lange Zeit mit verstärkenden Zutaten versehen. Zu den gefährlichen gehörte wohl das Bilsenkraut. In Stralsund wurde schon im Mittelalter Hopfen zur Würze verwendet. Zum Sortiment der Tavernen der Hafengegend gehörten auch hochprozentiger Selbstgebrannter und verschiedene Biersorten – zugeschnitten auf Bedürfnis und Geldbeutel der Handwerker, Händler und Schiffer vor den Toren der Hansestadt.“

Die Kneipe liegt dort, wo einst die Grenze zwischen Hafen und Stadt war. Wer im Hafen anlandete und nach Stralsund rein wollte, musste an der Kneipe direkt neben dem Stadttor vorbei. Auch der Schwedenkönig Gustaf Adolf. Und der spätere Apotheker, Chemiker und Sauerstoffentdecker Carl Wilhelm Scheele. Womöglich der legendäre Freibeuter Claus Störtebeker und der Maler Caspar David Friedrich. Aber da kann man in der Fähre nur spekulieren und einräumen: Diese Männer „haben keine Spuren in den Archiven hinterlassen“.

Ein Blick aus der Kneipe in Richtung Hafen. Foto: Martin Rolshausen

Was aber wichtiger ist als legendärer Besuch ist der Schutzengel, der offenbar im Haus wohnt. Keiner der großen Stadtbrände, keines der über 80 Hochwasser und auch keine Beschießung und Belagerung haben es dem Erdboden gleichgemacht. Dass sie die Kneipe vor eineinhalb Jahren an Ihre Tochter weitergeben konnte und damit ihr Fortbestand gesichert ist, freut sie, sagt Hanni Höpner. Klar, die Kneipe zu betreiben, sei Alltag. „Aber ich bin mir bewusst, was ich da in der Hand habe – und meine Tochter ist es auch immer mehr.“ Und was Bier angeht, sei Stralsund ja immer schon weit voraus gewesen. „Wir hatten hier sehr früh Hopfen in Stralsund.“

(Die Frau auf dem Foto oben ist die Wirtin Franzi Höpner. Foto: Martin Rolshausen)

(18. Juli 2023)

Auf einen Blick

Zur Fähre

Fährstraße 17, 18439 Stralsund

www.zurfaehre-kneipe.de