Glas an sich ist ja eher so pfffff. Durchsichtig, farblos, fast wie nicht da und irgendwie austauschbar. Es sei denn natürlich, das Glas ist erstens besonders geformt und zweitens hübsch dekoriert. Und da kommt die Firma Sahm ins Spiel. Die machen Gläser schöner. Biergläser, vor allem. Mit Marken und Logos, Dekor und Goldrändern, mal längeren Stielen und mal weicheren Rundungen. Ein Besuch im Westerwald
Wer in diesen Tagen in Japan „ビールください“ („Bīru kudasai“, also „Ein Bier, bitte“) bestellt, der bekommt möglicherweise ein Kirin Herbstbier, serviert in einem schlanken Glasbecher, der ringsum mit entzückenden, feinen, kleinen, orange- und rotleuchtenden Blättern des Momiji geschmückt ist, des asiatischen Ahornbaumes, von dem es in Japan ganz Wälder voll gibt und die das Ende des Sommers knallfarben verkünden.
Dieses schöne Glas stammt aus dem Westerwald. Es wurde vor einigen Wochen erst, mitten im Hochsommer, im rheinland-pfälzischen Höhr-Grenzhausen schön gemacht. Genau hier nämlich sitzt seit 120 Jahren der Glasveredeler Sahm.
80 Millionen Gläser pro Jahr
Bei Sahm werden Gläser „gebrandet“, wenn man so neudeutsch dazu sagen will. Dekoriert, wäre vielleicht schöner ausgedrückt. Biergläser. Zu 80 Prozent. Aber auch Wein-, Sekt-, Softdrink- und Schnapsgläser. Teebecher aus Glas und Gläser für Kaffeespezialitäten. Gläser, in so ziemlich allen erdenklichen Formen, Becher, Pokale, Seidel, Krüge. Tulpen, Flöten. Groß, klein, glatt, geriffelt. Sie werden bedruckt, bemalt, mit Goldrand verziert – alles genau so, wie die Getränkehersteller, die Kunden von Sahm, sich das wünschen. Pro Jahr veredelt Sahm etwa 80 Millionen Gläser und schickt sie zu Kunden in Europa, den USA, nach Südamerika Asien und damit eben auch an die Herbstbiertrinker in Japan.
Aus dem Kannenbäckerland raus in die ganze Welt. Mit den Kannenbäckern sind die vielen Keramikunternehmen gemeint, sie es einst hier in Höhr-Grenzhausen und der Umgebung ansässig waren. Hier gab es das größte Tonvorkommen Europas und seit dem 16.Jahundert stellte man hier das graue, blaubemalte Westerwälder Steinzeug her. Teller und Schüsseln, aber eben vor allem auch Kannen, Becher und Bierkrüge.
1900 gründete Emil Sahm eine kleine Zinngießerei um Deckel für genau diese Bierkrüge zu machen. Wenig später begannen er und seine Mitarbeiter, diese auch zu bemalen. Und bald malten sie nicht mehr nur auf Steinzeug, sondern auch auf Glas. Weil das Geschäft von Emil Sahm ganz prima lief, selbst durch die Wirren des Ersten Weltkrieges hindurch, beschloss sein Bruder Eugen Sahm 1919 sich als Händler von Steinzeug selbstständig zu machen und später ebenso Krüge und Gläser zu verzieren. Und so kam es, dass in dem eher kleinen Ort Höhr-Grenzhausen mit seinen knapp 10.000 Einwohnern heute gleich zwei weltweit führende Glasveredeler ihren Hauptsitz haben, die Firma Sahm, deren heutiger Geschäftsführer, der 48-jährige Michael Sahm der Urenkel von Emil Sahm ist, und die Firma Rastal.
In der strahlend weißen, hundert Jahre alten Jugendstilvilla der Familie Sahm, hier am Hauptsitz in Höhr-Grenzhausen (das Unternehmen hat darüber hinaus zwei Standorte in Tschechien und einen in den USA), ist heute die Verwaltung des Unternehmens untergebracht ist. Direkt gegenüber ragt ein hochmodernes, 5.000m² Zentrallager in die Höhe mit Platz für 15.000 Europaletten, 20 Meter hoch gestapelt, ausgestattet mit superschlauer Logistik-IT, gebaut im Jahr 2000.
Im Sommer laufen hier 4 Millionen Gläser pro Monat durch. Erst als neutrale, schmucklose Blankogläser, später als schick verzierte Markengläser die das Lager in Richtung Biergärten, Restaurant oder geradewegs zum Münchner Oktoberfest verlassen. Und dazwischen laufen diese Gläser durch eine der unterschiedlichen Druckmaschinen im Gebäudekomplex auf der anderen Seite des Hofes.
Pinseln war früher
Auf langen Förderbändern zuckelt Pilsglas um Pilsglas durch die Siebdruckanlage. Erste Station: Rot. Das Band stoppt kurz, die Druckschablone klappt auf das Glas, der Gummirakel wischt Farbe hin und her, Schablone hoch – fertig. Nächste Farbe. Selbst Goldränder (echtes Gold, im Übrigen, das geschmolzen schwarz aussieht und übel riecht) und selbstverständlich auch das Fassungsvermögen des Glases und der Eichstrich werden so aufgetragen. Die Farben werden danach im Ofen getrocknet und am Ende der Maschine packen Mitarbeiter die Gläser in Kartons. „Mit neuester Siebdrucktechnik ist es für uns möglich, alle Facetten von raffinierten Dekoren in höchster Qualität auf das Glas zu drucken. Wir entwickeln unsere Techniken kontinuierlich weiter- auch unter dem Einfluss der zunehmenden Digitalisierung“, sagt Michael Sahm.
Wobei Siebdruck am sich ja eher die ollere Variante ist. Das geht noch moderner: Schneller und leistungsstärker sind die großen UV-Druckmaschinen. 3000 Gläser pro Stunde werden hier dekoriert und verziert. Dieses Druckverfahren hat einen großen Vorteil, so kann nämlich auch auf die Rundungen der Gläser gedruckt werden. Die Schablonen brauchen immer eine glatte Fläche zum Aufliegen. Ein Nachteil des Neuen allerdings: Die Farbe Gold wird hier nur imitiert, Echtgold gibt es nur im Traditionsverfahren.
Heiß ist es in den Hallen mit riesigen Druckmaschinen. Ein bisschen laut. Vor allem im Vergleich zu der kleinen Werkstatt im Stockwerk darüber, wo für ganz spezielle Sondereditionen Gläser auch noch von Hand bemalt werden. So wie bei Emil Sahm vor 120 Jahren.
Unser Bier, unsere Gläser
So wie damals sind es auch heute vor allem Brauereien, die finden, dass sie eigene Gläser brauchen. Heute machen Brauereien, von der global bekannten AB-Inbev-Marke bis hin zur vor vier Monaten gegründeten Craft Brewery, rund 80 Prozent der Kundschaft aus, kann sich Sahm mit Recht als ein Spezialist in Sachen Bierglas bezeichnen. Allein im Besprechungszimmer der Firma stehen über 300 Biergläser in Regalen an allen Wänden des Raumes – und nicht eines sieht aus wie das andere.
Im 03.Stock sitzen die Designer. Hier ist es ganz leise, keine Druckmaschinen brummen, keine Gläser klirren. Hin und wieder klickert einer mit der Maus. Klickklick. Sonst kreative Stille. Tobias Schroeder hat gerade den Aufrage einer Brauerei auf dem Tisch, die als Werbemaßnahme für ein neu eingeführtes Bier spezielle, hübsche und am allerliebsten auch bei Nacht und Nebel und widrigsten Sichtverhältnissen auf zwanzig Meter wiedererkennbare Gläser haben. So muss das. Mit der Werbung.
Gläser können was fürs Auge…
Es gibt ein kleines Briefing der Brauerei, ein paar Seiten PDF in denen das Bier knapp beschrieben wird. Hier, schau, so sieht das Bier aus, so das Etikett und das sind Werbefotos, die wir schon gemacht haben. Und jetzt: Los, mach uns daraus mal ein schönes Glas! „Ja, so läuft das“, sagt Tobias Schroeder, lacht. Und: Läuft. Der Designer zeigt einige Entwürfe auf seinem Bildschirm: Hier als eine Variante, ein elegant geschwungene Pokale. Mal breiter, mal schmaler. Oder da, Variante Zwei: ein Becher. Könnte man zum Teil satinieren, also quasi so milchglasmäßig machen. Auch sehr hübsch. Er zuppelt mit der Maus noch ein bisschen an der Positionierung des Brauerei-Logos. Das könnte man hier so… Oder da…
Die eigenen Gläser sind, wie gesagt, in erster Linie ein Marketingtool der Brauereien: So hat der Biertrinker die Marke seines Bieres vor Augen, auch wenn er es nicht eben selbst aus der Flasche eingegossen hat, so zeigen Brauereien Präsenz, im Innenstadtcafé, der Flughafenbar, dem Luxushotel genauso wie im Landgasthof. Die eigenen Gläser können auch Verbindung schaffende Geschenke sein – an Gastronomen, aber auch an Endverbraucher. Der Kasten Oktoberfestbier mit dem Gratis-Maßkrug? Nehm‘ ich! Was in digitalen Zeit ein bisschen analog anmuten mag, zeigt schlicht und einfach bis heute Wirkung. Bei Sahm machen sie „Gläser für Marken“, wie es der Claim des Unternehmens beschreibt. „Sahm ist DER Full-Service Dienstleister für Markenkommunikation mit dem Glas,“ betont Eric Eiser, Leiter Vertrieb & Marketing bei Sahm. „Kreativität, die Qualität unserer Gläser und Drucke sowie der Service sind unsere USPs.“
… und für den Geschmack bieten
Manchmal geht es aber auch noch um mehr. Um den Geschmack des guten Bieres nämlich.
Der leidet oder gewinnt je nach Glasform. Und auch dafür zeichnen die Glasveredler verantwortlich: Dekor ist ja nur das eine, die Gestaltung, das Design des Glases an sich ist das andere. Und da gilt dann wirklich (selten genug der Fall): form follows function.
Die Beschaffenheit und Form eines Glases haben in unterschiedlicher Weise großen Einfluss auf den Geschmack des daraus Getrunkenen. Schon beim Einschenken kommt je nach Wölbung der Glaswand mehr oder weniger Sauerstoff in das Bier, steigt mehr oder weniger CO2 nach oben und werden entsprechend mehr oder weniger Aromen freigesetzt. Diese Aromen sammeln sich in einem großen, nach oben wieder etwas schmaler werdenden Glasraum oder sie verflüchtigen sich schnell aus einer weiten Glasöffnung. Je nach Form des Glases und des Glasrandes verändert sich auch der Anstellwinkel, in dem das Bier aus dem Glas in den Mund fließt. In der Folge trifft es an unterschiedlichen Stellen zuerst auf die Zunge: Aus einer breiten Öffnung fließt das Bier schnell in den hinteren Mundbereich, gibt es eine Verjüngung am Glasrand, trifft es zunächst auf die Zungenspitze. Und nachdem wir an verschiedenen Stellen unserer Zunge Geschmäcker unterschiedlich wahrnehmen (vorne die Süße, hinten die Bittere und an den Seiten das Saure und Salzige), schmecken wir dasselbe Bier aus unterschiedlichen Gläsern getrunken auch anders. Die Glasform bedingt auch die Fließgeschwindigkeit des Bieres. Und je langsamer es fließt, desto mehr können Mund und Nase erleben. Die Beschaffenheit des Glasrandes und auch die Form des ganzen Glases hat einen gewissen Einfluss auf den Schaum des Bieres. In schmal zulaufenden Gläsern hält sich der Schaum stabiler als in solchen mit besonders weiten Öffnungen. Und: Die Farbtiefe, die Dunkelheit des Bieres nimmt mit dem Durchmesser des Bieres zu, je breiter das Glas, desto dunkler wirkt das Bier.
IPAs brauchen andere Gläser als ein Pils
„Das nimmt zu“, sagt Designerin Annette Neunzig, „endlich!“, und meint damit, dass es inzwischen bei Anfragen und Aufträgen von Brauereien öfter tatsächlich auch um den Geschmack eines ganz bestimmten Bieres geht. Ist es eher hopfenbetont oder eher malzig? Ein sprudeliges, leichtes Bier oder ein strammer Bock? Bei Sahm sprechen sie seit 2001 bereits von „TasteDesign“, wenn es darum geht für genau diese Biere genau die richtigen Gläser zu finden. Bauchige Gläser mit schmaleren Rändern, die das fruchtige Aroma eines West Coast IPAs besonders gut transportieren. Geradlinige, hohe Gläser, in denen ein frisches Pils genauso, eben frisch und süffig die Kehle hinunter rinnt.
Bereits vor Jahren begannen Michael Sahm und sein Team auf diesem Gebiet mit Sommeliers zusammenzuarbeiten, regelmäßig sponsort das Unternehmen die Sommeliersmeisterschaften. Zusammen mit Sensorik-Spezialisten wurden bestimmte Bierglasformen entwickelt, die bestimmte Bierstile ideal zur Geltung bringen – und Universaltalente wie etwa den Hamburger Pokal, an dessen Entstehung auch Oliver Wesseloh von der Kreativbrauerei Kehrwieder beteiligt waren, die aromaintensiven und charakterstarken Bieren generell gut passen. Die Verjüngung oben wirkt wie ein Kamin in dem sich Duft und Aroma sammeln. Der leicht ausgestellte Mundrand hilft, dass sich der Geschmack im Mund besser ausbreiten und entfalten kann. „Ein Bier schmeckt nur aus der jeweils richtigen Glasform auch so, wie es der Brauer geplant hat und entfaltet nur dort seine ganzen Aromen. Für unser TasteDesign arbeiten mit Sommeliers und Brauern eng zusammen um für jeden Kunden das optimal passende Bierglas auszuwählen“, erklärt Tobias Klein, Marketing Manager bei Sahm.
Und so kann prostet man sich im fernen Osten also nicht nur mir einem hübsch bunten, sondern zum Kirin Aki Aji auch ganz gut passenden Herbestbierglas zu. 乾杯 !