Mit Jan Heerlein hat sich ein Künstler und Designer seine Gedanken über ein leidiges Thema der deutschen Bierbranche gemacht – das Reinheitsgebot von 1516. Und wie das immer ist: Die frische Sicht von außen ist spannend
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Jan Heerlein, Dipl.-Ing. (FH) Architektur, arbeitet seit einem guten Jahrzehnt als freischaffender Künstler und Designer, hauptsächlich in Berlin. 2004 gründete er das Kulturlabel „megaron-studio“ in dem er alle kreativen Schaffensgebiete (Kunst, Design, Architektur, Literatur, Musik und Kulinarik) fusioniert, mit dem Ziel, die etablierten Spartengrenzen aufzubrechen. Neben der klassischen Agenturtätigkeit als freier Mitarbeiter, Projektkooperationen und eigenen Aufträgen gilt sein Hauptaugenmerk unabhängigen und freien Projekten. (Foto: Annika Dorstewitz)
Die Sache mit dem Reinheitsgebot ist eigentlich ein großes Missverständnis. Oft wird das ominöse Reinheitsgebot für ein Gütesiegel gehalten: „Reinheitsgebot! Muss automatisch schmecken.“ Dabei besagt es ja nur, was drin ist im Bier, bzw. was nicht. Und dabei verschweigt es auch noch einiges.
Die Sache mit dem Reinheitsgebot ist irgendwie ein großes Augen-nach-oben-roll-Thema. Craft Beer Brauer sind es leid, sich groß dazu zu äußern. Ja, und warum auch. Eh egal, irgendwie. Wobei – dann wieder auch nicht.
Vor ein paar Wochen erregte die Causa Camba Aufsehen. Das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hatte entschieden, dass das Milk Stout der Craft Beer Brauerei Camba Bavaria kein Bier im Sinne des Vorläufigen Biergesetzes (VorlBierG) sei und folglich nicht mehr verkauft werden dürfe. Schlimmer noch: Sämtliche Lagerbestände müssten vernichtet werden. Das hat die Diskussion dann doch einmal wieder angefacht unter Brauern und Trinkern und Crafties sowie selbst Leuten, die eigentlich gar nicht direkt mit Bier zu tun haben.
Jan Heerlein hat sein „neues Reinheitsgebot“ nicht nur im Netz veröffentlicht, sondern auch auf Postkarten gedruckt, die er gerne an Interessenten verschickt. (Foto: Jan Heerlein)
So wie Jan Heerlein. Der hat sich als freischaffender Künstler und Designer seine Gedanken zu diesem leidigen Thema gemacht und seine ganz eigene Vorlage für ein „neues“ Reinheitsgebot veröffentlicht. Dabei geht es um Tradition, um Transparenz und bewussten Umgang mit Rohstoffen, Mitarbeitern und Kunden.
Klingt irgendwie alles ganz rund. Fragt sich nur, wie ein Künstler auf eine solche Idee kommt.
Sag, Jan, was ist denn der Hintergrund deines „neuen Reinheitsgebotes“, das du unter dem Namen „Schaum & Gold“ verbreitest?
Für die meisten meiner künstlerischen Projekte – wie auch Schaum & Gold – gibt es keinen Auftrag und keine Auftraggeber. Es ist also kein virales Marketing für eine Brauerei oder sonst irgend jemanden (außer für mich selbst vielleicht). Es ist hauptsächlich die eigene Motivation, Dinge die mir auffallen und Dinge die mich anstoßen, aus einer anderen Perspektive zu betrachten und diese mit diversen künstlerischen Mitteln zu verarbeiten, auszudrücken und ggf. sogar einen Lösungsvorschlag für ein Problem anzubieten. Dahinter steht also wenn man so will allenfalls ein erweiterter Kunstbegriff.
Na, aber irgendwie musst du doch mit dem Thema Bier bzw. Craft Beer in Kontakt gekommen sein.
Ich habe mich vor einigen Jahren bei der Planung und Konzeption eines Biermuseums (für ein Unternehmen für das ich seiner Zeit arbeitete) in die Materie Bier eingearbeitet und bin nun noch immer begeisterter Hobbybrauer und Bier-Interessierter. Dass das Reinheitsgebot von 1516 sich zum 500sten mal jährt, ist mit der Anlass, dieses Thema nun aufzugreifen und eine etwas träge gewordene „Biernation“ aufzufordern, mal ein paar Dinge zu hinterfragen. Kaum jemand hat das „alte“ Reinheitsgebot je gelesen, pocht aber dennoch immer beständig auf die Zahl 1516! Auch wenn längst andere Regelwerke das Brauwesen bestimmen. Ein alter „Mythos“ soll quasi durch einen neuen, aktualisierten „Mythos“ ersetzt werden.
1515, 1516, 2016 – Bier ist und bleibt eine feine, reine Sache. (Foto: NAK)
Du gehst mit dem „neuen Reinheitsgebot“ weit über Bestimmungen zu Bierzutaten hinaus.
Wenn ich an die Craft Beer Bewegung denke, an die aktuelle Herrschaft der Industrie sowie Wirtschaft und an die Notwendigkeit eines Lebenswandels im Sinne von Nachhaltigkeit und fairem und sozialem Verhalten in Gang zu setzten, so komme ich beim Thema „Reinheit“sgebot und seiner heutigen Interpretation doch sehr ins Grübeln.
Und jetzt möchtest du, dass auch andere Grübeln.
Genau. Das Ziel des neuen Reinheitsgebotes ist es, die StandarddurchschnittsbiertrinkerIn (und natürlich auch den Fachmann und die Fachfrau) zu inspirieren, zum Schmunzeln zu bringen und dazu zu animieren sich dem Thema Bier als Lebensmittel, Genuss und Kulturgut zu öffnen. Einmal ein anderes, „handgemachtes“ Bier zu trinken. Vielleicht selbst einen Braukurs zu machen und sein eigenes Bier zu brauen. Und, darüber hinaus soll das Projekt Schaum & Gold und das neue Reinheitsgebot von 2016 dazu verleiten, das Bewusstsein bezüglich anderer Lebensbereiche (primär im kulinarischen Sinne) im Idealfall zu sensibilisieren.
Saubere Sache: Bier nach Reinheitsgebot (Foto: NAK @ Pilsner Urquell Werkstatt)