wilde Hefe

STEVE WAGNER: Yeastie Boy

Claudia Doyle

Froschforscher, Bierliebhaber und Hefesammler – ganz geiler Typ, der Steve Wagner. Während seines Sabbaticals in Weihenstephan hat der amerikanische Wissenschaftler sich in Deutschland verliebt. Aber daheim wartet eigentlich sein neuer Studiengang, der Bachelor in Craft Brewing, darauf, von ihm betreut zu werden

Der Mann ist mutig, aber er traut sich nicht an alles ran.

Er schwenkt ein Glas, in dem eine dunkelbraune, sirupartige Flüssigkeit daran arbeitet, möglichst bald zu Stein zu erstarren. „Anybody?“ Seine stahlblauen Augen wandern durch die kleine Runde. Die Studenten schütteln den Kopf und rücken vorsichtshalber ihre Stühle ein wenig ab vom Tisch. Weit weg können sie nicht, das Büro ist klein. „Oh, come on“, lacht Steve Wagner. Aber er selbst will auch nicht, schnuppert nur kurz ins Glas und stellt es dann angewidert wieder weg. Vor rund 60 Jahren war der braune Sirup mal ein Bier. Ein Hobbysammler aus Luxemburg hat Wagner die verstaubte Flasche geschenkt, als er von dessen Forschung gehört hat.

Amphibien sind ein trauriges Business

Steven Wagner ist Genetiker und erforscht eigentlich Primaten und Amphibien. Auf dem Profilfoto seiner Universitäts-Webseite posiert er mit einem niedlichen Frosch. Er hat sich auf Umweltschutz spezialisiert, auf den Erhalt bedrohter Arten. Aber diese Aufgabe wird immer deprimierender. „Wohin man auch schaut, überall sterben Frösche und Salamander an Krankheiten“, sagt er. Und den Primaten nehmen die Menschen den Lebensraum weg.

Also hat Wagner sich zuletzt einem erfreulicheren Thema zugewandt: der Bierhefe. Die ist nicht bedroht, sondern überaus robust. Sie kann in Form von Sporen jahrelang (oder Jahrhunderte oder Jahrtausende, ganz klar ist das noch nicht), überdauern. Vielleicht lebt sie auch in der 60 Jahre alten Bierflasche noch.

Aussterben wird Bierhefe also so schnell nicht. Aber trotzdem lohnt es sich, für den Erhalt der Vielfalt zu kämpfen. Denn die war in den Braukesseln früher viel größer. Heute benutzen viele Brauereien einen der wenigen „Superstämme“. Die gären schnell und effizient, stechen aber nicht durch besondere Aromavielfalt hervor.

wilde Hefe

Schau genau: Hefe, in diesem Fall eine nicht so wildem, unter dem Mikroskop. (Foto: Dr. Fritz Briem)

Was ist der Vorteil von Hefeforschung im Vergleich zu Salamandern?
Hefe läuft nicht weg.
Sie ist einfacher zu fangen.
Und man kann Bier damit machen!

Lautes Lachen, ist doch logisch, was für eine Frage. „Man kann Bier damit machen“ ist allerdings irgendwie eine Untertreibung. Immerhin ist der Hefepilz der Star der ganzen Sache. Ohne Hefe kein Alkohol und ohne Hefe auch viel weniger Aromen. Nur würdigen das die Brauer bisher nicht so richtig, findet der Forscher.

„Amerikanische Craft Beer Brauer denken doch beim Thema Aroma als allerletztes an die Hefe“, schnaubt Wagner. Das versteht er nicht und wenn es nach ihm ginge, dann wird sich das demnächst ändern.

Munich, my love

Normalerweise würde Wagner den Sommer zwischen zwei Semestern wieder in China verbringen, da war er bestimmt schon sieben Mal. Vielleicht wäre er auch nach Japan gereist, nach Thailand oder nach Borneo. Immer im Dienste der Wissenschaft. Aber dieses Jahr war anders. Dieses Jahr stieg er in ein Flugzeug nach Deutschland für ein dreimonatiges Sabbatical am Forschungszentrum Weihenstephan in Freising nördlich von München.

Er hat sich ein Zimmer im Studentenwohnheim gemietet, keine zwei Kilometer von seinem Arbeitsplatz entfernt. Und er würde hier am liebsten nie wieder weg.

wilde Hefe

Der Hefeforscher bei der Arbeit. Denn Hefen sind überall! (Foto: CSt)

Ende April stand er bei der Feier des Reinheitsgebots mit einem Maßkrug und Lederhosen zwischen jubelnden Menschen, die einfach so am helllichten Tag einen Liter Bier trinken und sich nichts dabei denken. (Wagner hat sich auch noch nie was dabei gedacht. Aber seine Landsleute schon.) Sein Arbeitsalltag beinhaltet tägliche Bierverkostungen. Und am Männer- bzw. Vatertag hat sein guter Freund und Forscher-in-Crime, Mathias Hutzler vom Hefezentrum in Weihenstephan, ihn zu sich nach Hause zum Brauen eingeladen. „What’s not to love about all this?“ fragt der Amerikaner selig grinsend.

Mathias und Steve sind sich 2012 beim World Brewing Congress in Portland über den Weg gelaufen. Seitdem verbindet die beiden die schönste Männerfreundschaft. Wenige Worte, viele Tagen.

Wilde Hefe in der Forschung

Gemeinsam haben die beiden drei Projekte geplant. Sie wollen lang-vergessene Hefestämme in lang-vergessenen deutschen Bierkellern aufspüren. Hefen mit anderen Aromaprofilen, die die heutigen Stämme nicht mehr bieten können. Sie wollen wilde Hefen aus dem Wilden Westen, Steves Heimat, analysieren. Und sie wollen neue Methoden entwickeln um das Erbgut von Hefen zu analysieren. Denn darin ist schließlich verschlüsselt, wie viel Alkohol ein Hefestamm produzieren kann und welche Aromen er herstellt.

Vor ein paar Tagen ist Steves Visum abgelaufen und er wieder nach Hause geflogen. An der Central Washington University hat er auch noch ein paar Dinge zu regeln. Steve hat dort im Jahr 2009 ein einjähriges Weiterbildungsprogramm für angehende Craft Brewer aus dem Boden gestampft. Die Nachfrage war riesig. Seit letztem Jahr können Studenten jetzt sogar in acht Semestern einen Bachelor in Craft Brewing erwerben.

Sie müssen Naturwissenschaften pauken, sollen Brautechnologie lernen, Rohstoffe verstehen und, ganz wichtig, sich auch mit der wirtschaftlichen Seite beschäftigen. Das beste Bier muss ja erstmal Käufer finden.

Erstmal ist Wagner also wieder weg. Aber wenn es nach ihm geht, kommt er sehr bald wieder.

P.S.: Wir durften durchs Mikroskop schauen. Im Sirupbier lebte nichts mehr. Hefen ertragen eben auch nicht alles.

Wilde Hefe

So schaut’s nämlich aus. (Foto: CSt)