Dr. Thomas Tyrell, ehemals leitender Brauer bei Stone Brewing Berlin macht jetzt sein eigenes Ding und schöpft bei seinen Bieren aus dem Vollen: Viel Alkohol und viel Aroma, edel verpackt in großen Flaschen – Gourmetbier, wie er es nennt. Und gegen den Trend.
Die fetten Jahre sind vorbei. Überall ist die Freudlosigkeit eingezogen. Gürtel enger schnallen, bloß nicht klotzen. Kein Fleisch! Kein Gluten! Kein Alkohol!
Und dann kommt Thomas Tyrell. Und lässt es krachen, als käme das dicke Ende erst noch.
Und wer weiß? Vielleicht stimmt’s ja? Vielleicht werden de Zeit ja bald wieder so richtig, richtig groß?
Wünschenswert wäre das. Bier für den Anlass ist dann jedenfalls schon mal da. Und was für welches!
May all the pain be champagne
Thomas Tyrell holt eine noch leere Champagnerflasche aus seinem Rucksack. Jawoll: Champagner! Nichts weniger. In Champagnerflaschen mit Naturkorken werden seine Biere nämlich kommen. Alle drei. Und zwar schon bald. Im Oktober werden die ersten drei Biere des Tyrell BrauKunstAteliers den deutschen Markt erreichen: Die „Kaiser Weisse“, eine Imperial-Imperial Berliner Weisse mit 9,5 %Vol., Biomalzen (wie alle von Tyrells Bieren) und Brandenburger Wildhopfen, vom Brauer höchstselbst gepflückt, vergoren mit einzigartigen, hochvergärenden Milchsäure- und Hefekulturen. . Ein Gerstenwein, karamalzbetont, auf CognacfassHolz gelagert, 9,9 %Vol.. Und ein Kakao Stout, auch auf Holz gereift, mit Kaffee und feinsten Kakaobohnen als Belize, im Sudhaus eingebracht, 10,3 %Vol.. Oder anders gesagt: Fett, fett, fett.
In der Craft Beer Welt hat der Name Tyrell einen gewissen Klang: Bis zum Sommer letzten Jahres war Thomas Tyrell leitender Brauer bei Stone Brewing Berlin, quasi Greg Koch’s Mann in Germany. Er leitete die neugebaute 100-Hektoliter-Brauerei in Berlin-Mariendorf von Stunde Eins an und braute Stone Biere für ganze Europa. Darunter auch solche, die erst hier und mit ihm erfunden wurden. Stone’s White Ghost etwa, eine Berliner Weisse.
Bahnbrechendes aus Mariendorf
Außerdem war Tyrell als Stone-Braumeister mitverantwortlich für die „Groundbreaking Collaborations“ von Stone, eine ganze Reihe famoser One-Off-Biere, für die Stone mit legendären Brauereien zusammengearbeitet hat: Dogfish Head, The Bruery, Evil Twin, Mahrs Bräu, und so weiter. Dabei sind meist exorbitante Biere rausgekommen, total wahnsinnig, aber leider geil. Ein Royal Imperial Saison, etwa. Ein Imperial Doppelbock. Ein Imperial Wheat Ale mit Blauberren. Solche Sachen eben. „Ich fand es nur immer sehr schade, dass in Deutschland kaum jemand diese Biere probieren konnte“, erzählt Tyrell. Der größte Teil sei an die Förderer der Brauerei hauptsächlich in die USA gegangen, die Groundbreaking Collaborations waren so eine Art Croudfunding-Projekt. „Die Preise für Nachkäufer waren dann so exorbitant hoch, dass das hierzulande viele abgeschreckt hat“, sagt er und grinst.
Ready or not? Nicht so wichtig.
Ok, man muss das jetzt fragen, auch wenn Gründermut begeistert und man nicht unnötig miesepetrig da reinreden möchte, aber: Ist Deutschland denn bereit für solche Biere? So komplexe, teure, fette Biere? Tyrell grinst weiter und zuckt mit den Schultern: „Das weiß ich nicht“, sagt er und es klingt einfach sehr ehrlich. Und erst nach einer Pause fährt er fort: „Ich plane aber auch erst einmal nicht vom Verkauf dieser Biere zu leben.“ Das Tyrell BrauKunstAtelier sei ein Herzensprojekt. Es gibt keinen Businessplan, sondern eine Vision. Die war schon da, als er im September 2019 nach der Übergabe von Stone Berlin an Brewdog die Brauerei in Mariendorf verließ. Einmal etwas Eigenes machen – das fehlte halt noch in seinem Leben.
Bevor Thomas Tyrell Braumeister bei Stone wurde, lehrte und arbeitete er, der einen Doktor in Ingenieurswissenschaften hat, an der Berliner VLB. Davor braute er in Köln, Korea und Venezuela, war während der ersten Craft Beer Welle in den 1990ern in den USA. Seit knapp einem Jahr arbeitet er nun als Berater, unter anderem für das Berliner Social Bier-Business Quartiermeister, das sich dadurch auszeichnet, pro verkauftem Liter Bier 10 Cent an soziale Projekte in der Nachbarschaft zu spenden. Tyrell unterstützt in Sachen Qualitätssicherung. Und als nun das 10-jährige Jubiläum von Quartiermeister anstand und das im Corona-Jahr nicht mit einem rauschenden Fest gefeiert werden kann, schlug Thomas Tyrell, vor, ein super-exklusives Biermenü, ein infernales Trio, mit seinem neuen Brau-Startup für Quartiermeister zu brauen. Davon geht dann sogar ein Euro je verkaufter Flasche an den Quartiermeister e.V.
Wann, wenn nicht jetzt
„Natürlich habe ich mir zu Beginn der Pandemie schon überlegt, ob das nun wirklich der richtige Zeitpunkt für all das ist“, erzählt er. „Aber dann dachte ich halt auch: Wenn ich das jetzt nicht mache, mache ich es gar nicht mehr.“ Und wer will schon sein Altenteil im Garten der verpassten Chancen und der nicht gelebten Ideen verbringen. Also: machen kommt von machen. Ist einfach so.
Für das Brauen seiner eigenen Biere ist Thomas Tyrell Teil der Bernauer Braugenossenschaft geworden, die auf dem Gutshof Börnicke in Bernau bei Berlin nach aufwendiger Sanierung eines alten Brennereigebäudes eine nagelneue Brauerei in Betrieb genommen hat. Dort kann Tyrell produzieren, abfüllen, lagern. Das Quartiermeister-Kooperationstrio ist der Anfang, mehr fettes Bier kann und soll folgen. Und wer weiß: Alle dieser Biere haben das Potential ein paar Jahre in kühlen dunklen Kellern zu reifen und dabei sogar noch besser zu werden. „Irgendwann trinken sollte man sie aber dann schon auch“, mahnt der Braumeister. Wenn die Zeiten wieder fetter sind, vielleicht. Oder vielleicht auch gerade, wenn nicht.