Aus der Not zum Trend. Die Geschichte des Kürbisbiers
Pumpkin Ales – Kürbisbiere – treten heutzutage hauptsächlich als kreativer, gewürzbetonter Halloween-Begleiter auf. Doch sind Kürbisbiere viel älter als die schaurig-schöne Gruselnacht US-amerikanischer Prägung. Ihr Ursprung geht mit der Kolonialisierung Nordamerikas einher, wenngleich heutige Kürbisbiere nur noch wenig mit ihren Vorfahren von damals gemein haben. Mitunter teilen sie noch nicht einmal den kleinsten gemeinsamen Nenner – den Kürbis.
Die Geschichte des Pumpkin Ales hat ihren Ursprung in der europäischen Kolonialisierung Nordamerikas im 17. Jahrhundert. Aus Ermangelung an Getreide griffen die ersten Brauer in der Neuen Welt auf heimischen Getreideersatz zurück. Alles, was verfügbar und geeignet war, wanderte in die Braukessel. Und Kürbisse gab es in ganz Amerika in Hülle und Fülle. Neuere Forschungen gehen davon aus, dass im nördlichen Tiefland Boliviens Kürbisse bereits 10 000 v. Chr. kultiviert worden sein könnten. Sicher ist jedoch, dass bereits im präkolumbischen Amerika eine große Sortenvielfalt bestand. Auch die europäischen Siedler nutzten den allgegenwärtigen Kürbis auf vielfältige Weise. Ob im Kochtopf, Brot, Kuchen oder eben im Bier, Kürbisse waren von Anfang an Teil der US-amerikanischen Kultur.
Da das Fruchtfleisch der Kürbisse viel Stärke und Zucker enthält, eigneten sie sich in dieser Hinsicht wunderbar als Getreideersatz. Das „Pompion“ genannte Bier wurde aus dem gemaischten und vergorenen Fruchtfleisch der Kürbisse gewonnen. Allerdings hatten diese ersten Kürbisbiere nicht viel mit den heutigen Kürbisbieren gemein. Während der Kürbis heute fast ausschließlich als aromatische Zutat seinen Weg ins Bier findet, wurde er vormals als Quelle vergärbarer Zucker genutzt. Entsprechend anders darf man sich das aromatische Erlebnis dieser Biere vorstellen. Ihnen wird nachgesagt, einen deutlich wahrnehmbaren penetranten Geruch besessen zu haben, sofern sie nicht einige Jahre gelagert wurden.
Großer Beliebtheit erfreute sich das Pompion jedenfalls nie und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass es mit dem fortschreitenden Anbau von Getreide allmählich aus den Braukesseln und Köpfen der Brauer verschwand. Auch neue Einwanderungswellen, die viele deutsche, tschechische und britische Brauer in die USA brachten, könnten zum Verschwinden der Kürbisbiere beigetragen haben. Schließlich waren die Brauer es gewohnt mit europäischem Getreide zu brauen und hatten bei entsprechender Verfügbarkeit desselbigen keinen Grund, auf ihnen unbekannte Pflanzen aus der neuen Heimat zurückzugreifen. Was auch immer genau dazu führte, Fakt ist, Kürbisbier wurde immer seltener gebraut, bis es irgendwann ganz verschwand und für US-Brauer lange Zeit kein Thema mehr war.
Dies änderte sich erst im späten 20. Jahrhundert wieder. Am 14. Oktober 1978 wurde das Hausbrauen kleiner Mengen Bier für den Eigenbedarf gesetzlich gestattet. In der Folge erfreute sich das Brauen eigener Biere zuhause schnell wachsender Beliebtheit und da es bekanntlich viele Brauer schnell langweilt, stets das gleiche Bier zu brauen, stieg auch die Biervielfalt in den USA merklich an.
Einer der neuen Brauer, die sich seit den späten 1970er-Jahren auf der Suche nach neuen bzw. alten Rezepten durch unzählige Bücher las, war der Fotograf Bill Owens. Owens war begeisterter Heimbrauer und veröffentliche 1981 das Buch „How to Build A Small Brewery“. Ein Buch, das vielen heutigen US-Craftbier-Brauern als Einstiegshilfe gedient hat. Als 1983 das Verbot aufgehoben wurde, als Brauer direkt an Endkunden zu verkaufen, gab es für Owens kein Halten mehr. Im nordkalifornischen Hayward eröffnete er am 9. September desselben Jahres „Buffalo Bill’s Brewery“, den wahrscheinlich ersten Brewpub der USA. Dort servierte er seinen Gästen für sie völlig neue Biere wie Amber Ales oder eines der ersten Craft IPAs in den USA, das „Alimony Ale“, welches Owens als „das bitterste Bier Amerikas“ vermarktete.
1985 oder -86, so genau weiß er es inzwischen nicht mehr, stolperte Owens über ein Kürbisbierrezept in einem Buch von George Washington. In dem Buch beschreibt der erste Präsident der USA den Braubetrieb auf seinem Landsitz „Mount Vernon“. Für Owens war klar, dieses Rezept musste er ausprobieren. Owens baute einen monströsen Kürbis in seinem Garten an, fuhr ihn per Schubkarre in die Brauerei und gab das gebackene und kleingehackte Fruchtfleisch der Maische zu. Mit dieser Hybridmaische braute er sein Amber Ale. Gespannt testete er das Ergebnis. Der Kürbis im Bier schmeckte nach – nichts. Es war, als wäre er gar nicht im Bier enthalten. In diesem Moment hatte Owens eine Eingebung. Ihm wurde klar, dass seine Erwartung, wie das Bier zu schmecken habe, nicht vom größtenteils geschmacklosen Kürbis selbst, sondern von den Gewürzen herrührte, die sich typischerweise in einem amerikanischen Pumpkin Pie wiederfinden: Zimt, Nelke, Muskatnuss und Ingwer. Im Supermarkt deckte er sich daraufhin mit Pumpkin-Pie-Gewürzmischungen ein, braute sie in einer Kaffeemaschine auf und fügte diese, von ihm „pumpkin pie juice“ genannte, Mischung seinem Aber Ale nach der Hauptgärung zu. Das erste moderne Pumpkin Ale war geboren – und enthielt kein einziges Stück Kürbis.
Das „Punkin Ale“ genannte Bier erfreute sich großer Beliebtheit und fand im ganzen Land viele Nachahmer. Ganz wie Owens, konzentrierten sich die meisten Brauer mehr auf die Gewürzmischungen als auf den eigentlichen Kürbis. Und bis heute brauen viele Craft-Brauer ihre Pumpkin Ales ohne Kürbis. Allen Respekt, Frau und Herr Kürbis: Namensgeber eines Bierstils zu sein, obwohl man selbst als Zutat oftmals überhaupt nicht darin enthalten ist – das muss man erst mal schaffen!
Tatsächlich unterscheiden die Stil-Richtlinien der „Brewers Association“ zwischen “Pumpkin/Squash Beer“, welches mit Kürbis als Stärkelieferant und ohne Gewürze gebraut wird, und dem “Pumpkin Spice Beer“, das mit oder ohne Kürbis, aber auf jeden Fall mit Pumpkin-Pie-Gewürzen gebraut wird. Die „Beer Judge Certification Program“-Richtlinien fassen hingegen beide Varianten in den „Autumn Seasonal Beers“ zusammen. Und auch für die meisten Biertrinker dürfte die Unterscheidung zwischen den Varianten nebensächlich sein, sofern sie denn überhaupt von der reinen Kürbisversion ohne Gewürze wissen, ist sie doch heutzutage kaum noch anzutreffen. Etwas überspitzt könnte man behaupten, dass die damals aus der Not geborenen Varianten des Kürbisbiers der ersten US-amerikanischen Siedler wohl auch nur in der Not ihren Weg zurück in die Braukessel finden werden. Der anhaltende Trend sind ihre Pumpkin-Spice-Nachfahren. Diese sind – ob mit oder ohne Kürbis – eine der beliebtesten saisonalen Bierspezialitäten der USA und dürfen heute bei vielen Brauereien und Konsumenten zu keinem Halloween mehr fehlen. Obwohl die klassischen Herbstbiere mittlerweile auch dadurch von sich reden machen, dass sie – ihrer Zeit voraus – oftmals schon im späten Hochsommer die Bierregale und Zapfhähne besetzen.
Typische Pumpkin Ales, die sich an den ersten modernen Kürbisbieren der 1980er-Jahre orientieren, sind malzbetonte und eher süße Biere, mit einer kaum wahrnehmbaren bis moderaten Hopfenbittere und den markanten Aromen der Kürbiskuchen-Gewürze.
Im deutschsprachigen Raum hat sich das Pumpkin Ale (noch?) nicht so richtig durchgesetzt. Es gab und gibt zwar immer wieder vereinzelte Vorstöße und sogar einige wenige Brauereien, die jährlich ein Kürbisbier einbrauen, doch so richtig überspringen will der Funke nicht. Kürbisbiere haben bislang nur wenige treue Fans hierzulande.
In den USA hingegen bekommen Bierliebhaber mittlerweile eine große Palette an Pumpkin-Ale-Varianten geboten. Ob röstmalzaromatische Stout-Versionen, holzfassgelagerte Pumpkin Ales oder leichtere Vertreter wie Kürbis-Saisons oder Pumpkin Sours: Die modernen Vertreter des Pumpkin Ales haben dort längst eine neue Interpretationsebene und Vielfalt erreicht. Die Kürbisbiere aus den 1980er-Jahren wurden indes in den Status moderner Klassiker gehoben und erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Übrigens wird auch das Pumpkin Ale der „Buffalo Bill’s Brewery“ weiterhin jedes Jahr gebraut. Jedoch heißt es heute „America’s Original Pumpkin Ale“. Und zusätzlich zu den Gewürzen findet auch wieder Kürbis seinen Weg ins Bier. Denn irgendwie ist ein Pumpkin Ale so ganz ohne Kürbis – nun ja – doch kein richtiges Kürbisbier. Oder doch?
Einige Beispiele von Pumpkin Ales (die auch Kürbis enthalten):
- Buffalo Bill’s Brewery (USA): „America’s Original Pumpkin Ale“; Besondere Zutaten: Kürbis, Zimt, Gewürznelken und Muskatnuss; Das erste Pumpkin Ale aus den 1980er-Jahren
- Steamworks Brewing Company (CAN): „Pumpkin Ale“; Besondere Zutaten: Kürbis, Zimt, Gewürznelken und Muskatnuss; Vielleicht das weltweit bekannteste Pumpkin Ale und ebenfalls ein Vertreter der modernen Klassiker der Pumpkin Ales
- Cigar City (USA): „Good Gourd”. Imperial Pumpkin Ale; Besondere Zutaten: Kürbis, Zimt, Piment, Gewürznelken, Muskatnuss und Vanille; stärkere Variante eines Pumpkin Ales
- Buffalo Bill’s Brewery (USA): „Black Pumpkin“; Besondere Zutaten: Kürbis, Zimt, Gewürznelken und Muskatnuss; Kräftige, vollmundige Oatmeal Stout-Version eines Pumpkin Ales
- Braumanufaktur Hertl & Sudden Death Brewing (D): „Drunkin Pumpkin“; Besondere Zutaten: Kürbis, Zimt, Muskatnuss, Piment und Koriander; recht klassische, deutsche Interpretation eines modernen Pumpkin Ales