Marc Rauschmann Braufactum

BRAUFACTUM: „Da geht noch mehr!“

Nina Anika Klotz

Eine der ersten, deutschen Craft Beer Marken wird 10 Jahre alt. Die Radeberger-Tochter-Firma BraufactuM war für viele eine Art Wegbereiter. Aber wo sieht ihr Chef Dr. Marc Rauschmann sie selbst auf dem Weg? Mit uns blickt er zurück und schaut nach vorn, spricht über Hype Cycles und den Einstieg von AB Inbev ins deutsche Craft Beer Feld

Kurz vor Burger in Berlin-Mitte. Wenn das Braufactum Berlin fast direkt am Alexanderplatz um 12 Uhr mittags aufmacht, dauert es keine zweieinhalb Minuten, dann kommen die Business-Luncher. Die Berlin-Sightseer. Ein paar eher vereinzelte Biertrinker (is‘ halt noch früh am Tag), viele Pulled Pork, Ceasar Salad, Buletten und Burger-Esser aber dafür.

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Das Braufactum Restaurant am Berliner Alexanderplatz. (Foto: White Kitchen/PR)

Marc Rauschmann, der Langstreckenläufer

Dr. Marc Rauschmann ist einer der wenigen, der sich noch an einer Emaille-Pott Kaffee festhält. Macht er aber auch nicht lange. Dann bestellt er sich ein Progusta. Das Braufactum IPA. Er trinkt und man merkt ihm – ganz im Ernst – eine echte Freude an diesem Bier an. Nach all der langen Zeit! Nach ungezählten Gläsern Progusta! So, wie Marc Rauschmann insgesamt von gutem Bier und seiner Marke Braufactum, zutiefst und ganz im Ernst begeistert scheint. Unermüdlich. Auch nach zehn streckenweise enorm anstrengenden Jahren brennt er immer noch für die Idee, gutes, besseres, besonderes Bier, Craft Beer, in Deutschland groß zu machen.

Vergleicht man das, wo du vor zehn Jahren dachtest, dass du, Braufactum und die Craft Beer Bewegung heute stehen würden, mit dem tatsächlichen Status Quo: Was fühlst du? Begeisterung oder Enttäuschung?

Ich fühle zunächst Begeisterung für das, was sich in Deutschland in den letzten zehn Jahren bewegt hat. Bier ist für jüngere Konsumenten wieder viel interessanter geworden und es wird heute viel positiver und fundierter berichtet als noch vor zehn Jahren.
Es muss aber auf jeden Fall noch mehr gehen. Und das wird auch geschehen! Wir sind ja trotz der zehn Jahre erst zwei, drei kleine Schritte gegangen. Ich hätte mir, keine Frage, vor zehn Jahren natürlich gewünscht, dass wir jetzt schon weiter wären als wir heute sind. Aus verschiedenen Gründen ist die Dynamik nicht so entstanden, wie sie sich jeder, der in den Markt ging, das gerne ausgemalt hat. Wenn man zurückblickt und das Ganze realistischer betrachtet, versteht man warum sich alles so entwickelt hat und man kann dann auf das Erreichte stolz sein – auch wenn es natürlich noch  ein weiter Weg ist.

Warum?

Ich bemühe selten den direkten Vergleich mit den USA, an manchen Stellen, wie hier, macht es aber Sinn: Wenn man sich die Kurve in den USA anschaut, gab es dort ebenso erst einmal eine sehr sehr langsame Entwicklung. Nach Legalisierung des Homebrewing im Jahr 1979 gab es die ersten zehn Jahre keine relevante Zunahme des Marktanteils und nur einen leichten Anstieg an Brauereien. In den darauffolgenden zehn Jahren, von Ende der 80er bis Ende der 90er Jahre, gab es einen deutlichen Anstieg an Brauereien, dann einen Rückgang und erst ab 2008/2009 einen weiteren starken Anstieg an Brauereien sowie Volumen- bzw. Umsatzanteil am US Biermarkt. Obwohl ab 1997 nach diesem ersten Wachstum für praktisch zehn Jahren der Marktanteil Craft konstant war, ist die Anzahl an Brauereien noch drei Jahre länger über den Bedarf hinaus gestiegen. Bis zu der aktuellen, extrem dynamischen Entwicklung hatten viele Craft Brewer mehr für die Beergeeks, für eine kleine Szene, die sich selbst gefeiert hat, Bier gebraut. Heute steht der klassische Bier-Konsument mehr im Fokus. Insgesamt hat es in den USA eine Generation gedauert, bis Craft Bier flächendeckend da war, wo es heute steht. Und das wird in Deutschland auch so sein.

Du meinst eine ganze Generation von Biertrinkern?

Ja. Klar gewinnt man für bestimmte Anlässe auch mal die ältere Generation mit etablierten Biertrinkern oder auch mal Weintrinker, die diese Biere schätzen. Die richtigen Fans aber findet man bei den jüngeren Konsumenten, bei denen, die nachwachsen, nichts anderes kennen, sich von Anfang an für Craft Bier begeistern und aktiv an der Entwicklung teilnehmen. Und dann gibt es natürlich in jedem Land länderspezifische Faktoren und gerade Deutschland hat hier seine Besonderheiten.

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Das Progusta ist und bleibt der Bestseller bei Braufactum (Foto: PR)

Was läuft hier anders?

Was mir immer klarer wird – und das ist nicht zu unterschätzen – ist die Tatsache, dass in Deutschland der Markt für Craft Beer komplett anders entstanden ist als in allen anderen Ländern. In anderen Ländern und insbesondere auch in den USA ist er nämlich über die Gastronomie entstanden. Und dann hat der Handel nachgezogen. Die meisten Getränkemarken bzw. neue Produkte erlangen normalerweise erst einmal über die Gastronomie Bekanntheit.
Wir haben von Anfang an beide Kanäle bedient, sind aber bei der Gastronomie nur langsam vorangekommen. Restaurants und Bars mit einer breiten Craft Beer Karte waren erstmal nur Einzelfälle und wenn der verantwortliche Mitarbeiter gewechselt hat, war es meistens schon wieder vorbei. Flächendeckend hat die Gastronomie erst vor etwa vier Jahren angefangen, das Thema relevant aufzunehmen und zu verstehen, dass Craft Bier einen Mehrwert für sie schafft und man neue Gäste anziehen kann wenn das Thema konzeptionell gespielt wird.

Und der Handel?

Der Handel hat viel früher mit Craft Bier begonnen, aber ihm fehlte – und fehlt weitestgehend auch immer noch – die Rückendeckung durch die Gastronomie. Und das zeigt sich aktuell in den Zahlen: Ausgehend von urbanen Zentren wächst das Thema in der Gastro inzwischen stetig, der Handel hingegen stagniert in der Menge. Da mitunter die Regalmeter über den eigentlichen Bedarf hinaus aufgebaut wurden, werden diese nun wieder auf den realistischen Bedarf zurückgebaut. Aber wenn der Händler dann auf kleinerer Fläche die gleiche Menge Craft Bier absetzt, ist das ja nur vernünftig und gesund! Er wird sich dabei auf die relevanten Marken fokussieren. Der Konsument kauft, was er kennt und mehr und mehr  dann wieder das was ihm schmeckt. Dem Konsumenten kann man nicht, wie es zum Teil passiert ist, jede Woche eine neue Marke präsentieren. Der Konsument möchte sich  gut aufgehoben fühlen.

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Was hier immer Sinn macht: Mal mit dem Tasting Board beginnen. (Foto: White Kitchen/PR)

Für neuen Schwung nach einer flachen Periode braucht es aber doch wieder einen Impuls. Das Momentum hat Craft Beer verloren, das Ding an sich, der Begriff und die Idee dahinter, ist jetzt erstmal ausgiebig überall gespielt worden, oder nicht?

Wenn man in die Gastronomie schaut, bekommt Craft Bier  hier ja aktuell immer mehr Impulse. Jetzt wird die Gastronomie das leisten, was sie sonst zu Beginn  gemacht hätte. Und davon wird der Handel in Kürze auch wieder profitieren und bei einer marktgerechten Aufstellung Freude an der Kategorie haben. Ich bin sicher, dass das Thema Craft Bier weiter wachsen wird. Wir sehen ja an vielen Stellen, dass es nicht mehr wegzudenken ist und sich ausgehend von  der jüngeren Generation auch in Deutschland etabliert.

Wir sehen ja auch eine andere Entwicklung, die es überall anders gab: Mit der Minderheitsbeteiligung von AB Inbev an Crew Republic bringt sich der globale Braukonzern jetzt auch in das deutsche Craft Beer Segment ein. Wie ist das zu bewerten?

Erstmal ist es positiv, dass sich mit AB Inbev die weltweit größte Braugruppe im deutschen Craft Bier Markt engagiert. AB Inbev schaut mit der Erfahrung aus anderen Ländern auf den deutschen Markt und kommt offenbar  zu der Einschätzung, dass es sich lohnt hier zu investieren.  Was sich daraus entwickelt, muss man sehen. Aber per se ist es ein gutes Signal, dass der deutsche Craft Bier Markt, auch wenn das manchmal anders dargestellt wird, durchaus interessant ist.

Ich war erstaunt, dass es jetzt und nicht früher kam. Eben weil man doch so ein gewissen Abflachen spüren kann…

Wie gesagt, dieses „Abflachen“ kommt mehr aus der Betrachtung der Handelssicht ohne Gastro und ist eine normale Entwicklung, die es in der Phase auch in anderen Ländern gab. Positiv dabei ist ja, dass damit  dieser Hype überwunden ist.  Es herrschte eine Art Goldgräberstimmung, in der jeder, auch ohne sich ernsthaft zu engagieren, meinte, in diesen Markt gehen zu müssen. Oft haben  Marken nicht mal einen Brauer, geschweige denn einen Braumeister. Mitunter haben sich Agenturen berufen  gefühlt, selber „Craft Bier“ zu machen und haben sich  in den einschlägigen Brauereien für Lohnbrau die Klinke in die Hand gegeben – wenn sie sich überhaupt die Mühe gemacht haben dort aufzutauchen. Überdies sind auch etliche bestehende Brauereien mitunter ebenso ohne wirklich etwas zu der Bewegung beizutragen eingestiegen, indem sie meistens ein beliebiges IPA oder „Jahrgangsbier“ in den Markt gebracht haben. Wenn nun einige derjenigen jetzt die Lust verlieren und den Markt wieder verlassen ist das  insgesamt eher ein normaler Prozess und positiv für eine gewisse Konsolidierung.

Was können die deutschen Craft Brauer tun, um zur positiven Entwicklung des Craft Segments beizutragen?

Viele Craft Brauer sind verliebt in ihre eigenen, oft sehr speziellen Biere. Diese müssen immer extremer und immer verrückter sein und so weiter – aber die Konsumenten, die das mögen, die haben wir ja schon erreicht! Wir müssen uns jetzt an die wenden, die bereit sind, Neuland zu betreten. Es geht um Menschen, die statt ihres gewohnten Pils jetzt mal ein Kellerpils trinken und offen  für kleine weitere Schritte sind. Die müssen wir abholen. Es ist egal, was wir Craft Brauer denken und was wir trinken, wir dürfen den Konsumenten nicht aus den Augen verlieren und wir sollten dahin gehen, wo sich dieser auf dem Weg befindet. Das machen wir, indem wir tolle Biere brauen, die aber nicht gleich drei Schritte weiter sind, sondern erst einmal nur den nächsten Schritt machen. Weiterhin ist es wichtig, dass unsere deutschen Craft Biere auch eine eigene Handschrift haben. Ich denke das sind wir unserer langen Biertradition und dem Bierland Deutschland schuldig.

Zehn Jahre Braufactum ist eine ganz schön lange Zeit. Ich erinnere mich noch ganz gut an die allererste Kampagne von Braufactum: „Bei uns heißt der Winzer Braumeister“.

Ja wir haben mit einer gewissen Nähe zum Wein angefangen. Heute könnte man sich fragen, warum wir 2010  diese Positionierung gewählt haben. 2010 war niemand im Bierbereich in den Märkten, der den Kunden diese Biere hätte erklären können. Auch die Kunden selber kannten Craft Bier und alle neuen Stile wie IPA noch nicht. Deshalb haben wir gesagt: Es ist sinnvoll, das erst einmal neben Wein zu stellen. Denn der Sommelier, der Weinberater, berät ja auch über andere Getränke wie Spirituosen und kennt sich nicht ausschließlich nur mit Wein aus. Wir haben mit großen Flaschen zum Teilen am Tisch angefangen. Diese waren eher den Weinflaschen ähnlich. Dazu gab es auch das passende Glas. Insgesamt war es am Anfang wichtig, erst einmal neue Wege zu gehen, um darauf aufmerksam zu machen, dass es sich beim Craft Bier um etwas komplett Neues handelt. Zudem waren wir vor zehn Jahren noch komplett alleine mit der Kategorie.  Von daher war die Positionierung anfangs gut.

Heute gilt das nicht mehr?

Inzwischen hat sich der Markt entwickelt, Craft Bier hat eine gewissen Bekanntheit und unsere Positionierung hat sich mit dem Markt ebenso weiterentwickelt. Unsere Kunden  sind heute eher jüngere Konsumenten, die wir nicht mehrheitlich beim Wein abholen. Wichtig hierfür waren für die Positionierung auch die Einführung von Fassbier vor vier Jahren für die Gastronomie, unsere eigenen drei Taprooms in Berlin und Dresden, die Umstellung auf die 0,33 l Mehrwegflaschen und unsere beiden Sorten Hoppy Kellerpils und German Pale Ale in der Dose.  Daher ist heute die Positionierung von Braufactum als verlässliche Craft Biermarke durchaus bodenständiger und weniger nah beim Wein.

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Die Nachbarschaft