HISTORISCHE BRAUGERSTE: Oldies, but goldies

Nina Anika Klotz

Dr. Christina Bantle, Gastprofessorin für Politik und Märkte in der Agrar- und Ernährungswirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, Brandenburg, beschäftigt sich seit einiger Zeit mit dem Thema alte Braugerstensorten. Die machen nämlich tatsächlich einen Unterschied. Blöd nur, dass viel zu wenig darüber geredet wird, findet sie.

Frau Bantle, was genau sind denn eigentlich historische Braugerste bzw. oder alte Sorten im allgemeinen? Reden wir hier von Gewächsen aus dem Mittelalter?

Nein. Wenn wir von historischen Getreidesorten sprechen, meinen wir in der Regel solche, die ihren Höhepunkt um 1900 hatten. Außerdem zeichnen sie sich dadurch aus, dass sie sich in ihrer genetischen Zusammensetzung und daraus resultierenden Eigenschaften, wie etwa dem Proteingehalt, sehr deutlich von aktuell gängigen Sorten unterscheiden.

Und warum reden wir, warum reden moderne, mutige Brauer und Pioniere gerade jetzt über historische Braugerste? Woher kommt diese Bewegung?

Es gibt hier Bewegungen aus zwei unterschiedlichen Richtungen, die Schwung in das Thema gebracht haben. Zum einen die Forschung: Die Bundesregierung hat ein Programm zur Erhaltung biologischer Vielfalt und Biodiversität und speziell Agrobiodiversität, also genetische Vielfalt in der Landwirtschaft, aufgelegt. Diese kann einerseits aktuelle Nutzen für Verbraucher schaffen. Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe können zum Beispiel einen Mehrwert liefern. Kurz gesprochen: Manchmal steckt einfach mehr Gutes in alten Sorten, sie sind gesünder. Andererseits geht es der Wissenschaft aber vor allem um den Optionswert. Das ist sozusagen die Option, die alte Sorten für die zukünftige Züchtung mitbringen. Resistenzen, besonderer Geschmack, bestimmte Farben – all diese Möglichkeiten liegen in ihren Genen und man möchte diese Vielfalt und Auswahl haben, um Züchtung neuer Sorten in der Zukunft zu sichern.

Union Brauerei Bremen

Unterschiedliche Malzsorten sind das eine – unterschiedliche gerstensorten das andere. Im fertigen Bier schmeckt man die Unterschieder beiderseits. Ist wissenschaftlich erwiesen! (Fotos: NAK)

Also ist es eigentlich eine nach vorne gerichtete Bewegung und gar keine, die das „früher war alles besser“ proklamiert.

Nicht auf Seiten der Wissenschaft. Zugleich gibt es aber auch Impulse seitens der Verbraucher, die schon ein bisschen in diese Richtung gehen, wo man sich auf Regionalität besinnt, Identität, was man von früher kennt und was Seltenheitswert hat. Das Image hier ist schon geprägt von „früher war alles besser“. Es herrscht die Annahme vor, alte Sorten schmecken per se alle und immer besser und intensiver. Das stimmt aber nicht immer. Bei Gemüse gibt es alte Sorten, die besser schmecken, Möhren etwa, die viel süßer sind als moderne Sorten. Es gibt aber auch alte Sorten, die nicht so gut schmecken, Rote Beete, zum Beispiel, da gibt es sehr kratzige.

Kann man die trotzdem verkaufen, mit dem Argument „ist aber besser“, weil besser für die Umwelt und in gewisser Weise „craft“ und so?

Nein, das funktioniert nicht. Da muss man unterschiedliche Sorten aus der Genbank nehmen, testen und dann entscheiden, welche eignen sich auch geschmacklich. Geschmack ist bei Lebensmitteln am Ende der entscheidende Faktor.

Um so erstaunlicher, dass über Geschmack beim Thema Malz/ historische Malze eher wenig und vor allem weit weniger poetisch gesprochen wird, als wenn man von Hopfenaromen spricht. 

Das stimmt. Malz wird jetzt erst Thema, bisher ist die Differenzierung einzelner Biere eher über den Hopfen passiert. Die wenigsten wissen, dass die Sorte der Gerste, die dem Malz zu Grunde liegt, einen Unterschied beim Geschmack des fertigen Bieres macht. Das haben Langzeitstudien aus England, wo man dieses Thema auch sehr ernst nimmt, erst unlängst bewiesen: Die Eigenschaften der Sorte setzen sich bis zum Ende durch – egal was der Mälzer damit macht. Die Anbauregion hat man auch getestet, die hat nicht so einen Unterschied gemacht.

(Foto: NAK)

Schmecken alte Gerstensorten im Bier besser?

Ja, sie bringen wirklich einen sensorischen Mehrwert: Durch den hohen Proteinanteil schmecken sie weicher, milder und ausgewogener. Das muss jetzt dringend kommuniziert werden.

Von wem, Brauer, Mälzer oder Landwirt?

Alle, eigentlich. Im Grunde könnten sie sich die Aufgabe teilen: Die Brauerei könnte auf das Bier schreiben, dass es mit einer alten Sorte, zum Beispiel Spiegelgerste gebraut ist und dann verweisen, wo man mehr über Spiegelgerste erfährt. Diese Information könnten dann die Landwirte liefern. Ideal wäre ein unabhängiges Online-Portal zu historischen Braugerstensorten, wo sich Interessierte über die Sorten informieren können – das muss allerdings erst noch geschaffen werden. Aber es ist natürlich auch hilfreich, wenn sich Zeitschriften und Blogs wie Hopfenhelden des Themas annehmen.

Wir reden hier ja von einem Thema, das insbesondere für die Craft Beer Szene und das Segment der kleineren Privatbrauereien sowie der Biobierbranche besonders interessant ist.

Ja, für große Brauereien sind die historischen Sorten eigentlich uninteressant. Die Erträge sind deutliche geringer. Dadurch sind erstens die Preises sehr viel höher, zweitens in die Verfügbarkeit in großen Mengen nicht sichergestellt und drittens haben diese Sorten Eigenschaften, die den Brauprozess verlangsamen.

Brewer's Little Helper

(Foto: CD)

Also bewegen wir und im Bereich der „craft“, Handwerks- oder Manufakturprodukte. Kommt es Ihnen auch manchmal so vor, dass Produzenten aus diesem Segment sich erstaunlicherweise manchmal besonders schwer tun mit der eben angesprochenen Kommunikation? Dass die Meinung vorherrscht: Marketing ist für die in der Industrie, wir brauchen das nicht?

Absolut. Das merke ich täglich an meinen Studierenden des Faches Ökolandbau und Vermarktung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Die müssen pflichtmäßig im dritten Semester Marketing belegen – und ein ganz großer Teil ist am Anfang immer superskeptisch, merkt dann aber doch schnell, wie wichtig das ist.

Funktioniert Marketing bei Craft-Produkten denn anders?  

Die Instrumente sind zunächst die gleichen: Kommunikation, Gestaltung. Preis, Absatzwege – alles die Stellschrauben, an denen ich in Sachen Marketing drehen kann. Nur, dass der Punkt Kommunikation mit viel Abstand der Wichtigste ist. Wenn ich ein Nischenprodukt mache, an den nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, was das Besondere ist, muss ich es kommunizieren. So wie eben, wenn ich für mein Biere eine besondere, alte Gerstensorte verwendet habe. Das ist ein besonderer Mehrwert, der einen höheren Preis rechtfertigt – sofern das dem Verbraucher überzeugend erklärt wird.

Was ist für Sie also der nächste wichtige Schritt beim Voranbringen historischer Gerstensorten?

Dass Brauereien diese Sorten ausprobieren und dann ihre Kunden probieren lassen, wie unterschiedlich Biere mit alten Gerstensorten schmecken. Das können kleine und regionale Brauereien am besten – und die können das auch am besten kommunizieren.