Die Hamburger Bar Oorlam bietet Bier-Pairings der besonderen Art: Hier gibt’s zu IPA, Porter oder Barleywine den jeweils passenden Genever. Brennerin und Gründerin von Filosoof Jenever, Nienke Oostra, erklärt, wie das geht
Ganz, ganz schnelle Schnapskundestunde vorweg: Genever, oder auf holländisch Jenever, ist schwer vereinfacht gesagt so etwas wie der anspruchsvollere Vorläufer des Gins, der aber irgendwie über die Jahre auf der Strecke geblieben ist. Vergessen. Nach dem kräht kein Hahn, auch nicht, als der Gin vor zehn Jahren den Aufschwung des Jahrtausends erlebte.
Ursprünglich stammt Genever aus den Niederlanden. Der Wacholderschnaps war dort ab dem 16. Jahrhundert Teil der gelebten Trinkkultur. Als ein Prinz aus dem Haus Oranien den englischen Thron bestieg, führte er Genever auf der Insel ein. Fanden die Trinkfreudigen die dort Klasse, irgendwann aber gab’s Handelsstreitereien mit dem Holländern und dann begannen die Engländer selbst Wacholderschnaps zu machen – aber anders.
Während Genever nämlich ein Brand ist, ist Gin ein Geist.
Genever versus Gin
Die Herstellung eines echten Genever beginnt, wie Bier und Whiskey, mit Getreide, das erst eigemaischt und später mit Botanicals gebrannt wird. Gin hingegen wird mit neutralem Alkohol gemacht, kann alles sein und wird in der Regel fertig zugekauft, nicht selbst gemacht. Der wird mit den Botanicals aufgepeppt, sozusagen.
Zu diesen Botanicals gehört in beiden Fällen der Wacholder. Allerdings kommt der im Gin viel stärker als im gut gemachten Genever zur Geltung. „Das liegt daran, dass man mit Wacholder Fehlgeschmäcker aus dem Brennvorgang ganz leicht übertünchen kann“, sagt Nienke Oostra, die Jenever-Brennerin. Das haben nur Gin-Macher nötig. Sagt sie und grinst.
Wer nun von dieser Gin-Genever-Wacholderschnaps-Geschichte nichts wusste, der muss sich nichts denken. Bis vor etwa zehn Jahren kannte auch Nienke Oorlam die nicht, und das, wo sie doch heute eine von gerade mal dreißig Brennerinnen und Brenner aus den Niederlanden ist. Damals, also vor zehn Jahren, hatte sie eigentlich vor allem Whiskey im Sinn. „Nachdem ich mit 18 für mein Philosophie-Studium vom Land nach Amsterdam gezogen war, hatte ich eine sehr gute und zugleich sehr freundliche und wenig prätentiöse Whiskeybar für mich entdeckt“, erzählt sie. Sie fand Whiskey toll und faszinieren, so sehr, dass sie sogar nach Schottland reiste, Brennereien besuchen, beschloss, das Studium hinzuschmeißen und in einer schottischen Destillerie anzuheuern. Diese Idee war schon fast zu einem fixen Plan geworden, als sie einem befreundeten Spirituosenhändler davon erzählte und der sagte: „Du weißt aber schon, dass wir hier in den Niederlanden selbst eine sehr große Brenn-Tradition haben. Die ist nur total in Vergessenheit geraten. Kennst du denn überhaupt Genever?“ Ja, schon, dachte Nienke. Das ist doch dieser scharfe, billige Schrott für alte Männer. Trotzdem kaufte sie zwei Flaschen, höflichkeitshalber, vielleicht, ging nach Hause, probierte – und war fasziniert: Das schmeckte wirklich sehr besonders. Besonders gut, wenn man mal ehrlich ist.
Holland versus Schottland
Also stellt sie die Schottland-Idee erst einmal hinten an und begann in der Heimat ein bisschen zu recherchieren. Google wusste fast nichts über die wenigen, alten Genever-Brenner, die es noch gab. Sie musste die tatsächlich in einem alten Telefonbuch (!) nachschlagen, um anzufragen, ob sie mal zuschauen könne, wie traditioneller Jenever gemacht wird. Sie wollte lernen, wie das geht.
Das Problem war: Niemand konnte ihr da so richtig weiterhelfen. Bei ihren Reisen zu Hollands Jenever-Brennern stellte die Studentin fest, dass die meisten hier selbst gar nicht genau wissen, was sie machen und warum. Sie taten einfach das, was sie von ihren Vätern gelernt hatten. Was wiederum die von ihren Vätern gelernt hatten. Die Brennblasen der einzelnen Häuser unterschieden sich alle, die Technik auch, irgendwie, aber die Wissenschaft dahinter? Ein Rätsel.
Nienke begann, selbst herum zu experimentieren. Zuhause, in ihrer Küche. Illegal. Ihre Freundinnen finden das toll. „Das ist Nienke, die Brennerin. Sie macht ihren eigene Jenever“, stellte eine sie stolz auf jeder Party vor. „Das war mir eher peinlich, denn erstens war das ja illegal und zweitens habe ich das damals noch nicht besonders gut gemacht“ erzählt Nienke. Aber als sie ihr Studium fertig hatte und vor der Frage stand, was sie als Philosophin jetzt mache, da hat sie sich dann doch einfach dazu bekannt: Ja, ich bin Nienke und ich bin jetzt Brennerin. 2015 Gründete sie ihre Firma Filisoof Jenever in Amsterdam. Wenig später zog sie nach Hamburg und nahm ihre kleine Brennerei mit. Nienke Oostra brennt jetzt in der Buddelship Brauerei bei Simon Siemsglüss. Zusammen eröffneten Brennerin und Brauer 2018 eine Bar in der Hamburger Neustadt, das Oorlam. Eine Craftbeer und Genever Bar. Due erste und einzige in Deutschland.
Neun verschiedene Genever
Aktuell hat Nienke neun verschiedene Genver in ihrem Standard-Sortiment. Alle haben Frauennamen und sind nach wichtigen Frauen in Nienkes Leben benannt, heißen wie ihre Schwester, ihre Mama, die beste Freundin. Darüber hinaus gibt es in der „Proof“-Serie One-Offs bestimmter Genever-Varianten. „Das sind Raritäten, von denen mache ich mal 50, mal 150 Flaschen, je nachdem wie viel es ausgibt“, sagt sie. 90 Prozent ihrer Produkte verkauft die Holländerin an die Gastronomie, das meiste in den Niederlanden, ein bisschen in Deutschland, bald auch in anderen Ländern darüber hinaus. Denn: Genever ist erklärungsbedürftig. Absolut. Das mit dem Gin und dem Brand und dem Geist – das wissen die allerwenigsten.
Und auch, wie Genever getrunken wird. Klassisch wäre natürlich pur und keinesfalls zu kalt. „Am Besten nimmt man immer so wenig auf einmal in den Mund, dass man gar nicht richtig schlucken muss“, erklärt Nienke. Sie hat aber auch nichts dagegen, einen guten Cocktail mit Filosoof Jenever zu mischen. Betonung liegt auf gut. „Ich fände es natürlich schlimm, wenn jemand Cola da reinkippt.“ Nicht schlimm, eher prima, gingen ihre Brände als John Collins, also mit Soda, Zitronensaft, etwas Zuckersirup und vielleicht einem Tropfen Angostura. Oder aber als „Kopstoot“, als Kopfnuss, die niederländische Variante des Herrengedecks. Bier und Schnaps, also. Oder in diesem Fall: Bier und Genever.
Herrengedecke für alle
In ihrer Bar Oorlam präsentiert Nienke Oostra etliche verschiedene Bier-Jenever-Pairings: Ihren Roggen-Jenever Tini paart sie mit Buddelships Great Eascape IPA, die Hilde, einen Genever mit Eukalyptus, Lorbeer und Lakritz, geht mit dem Eisbrecher, einem Imperial Russian Milkstout. Tamar, ihren Zitronenjenever, empfiehlt sie zum Kohlentrimmer, dem Schwarzbier von Buddelship, ihr Einsteiger Pairing ist Koshka, der leichteste ihrer Jenever , mit einem entspannten Mitschnagger Pils. Wie sie diese Pairings gefunden hat? Nienke schüttelt den Kopf. „Ich weiß es nicht. Ich trinke einfach beides und weiß dann, was passt.“ Sie lacht. Sie habe immer schon einen sehr feinen Geschmackssinn gehabt, erzählt sie. Als Kind habe das dazu geführt, dass sie ein äußerst mäkeliger, schlechter Esser war. Nichts schmeckte ihr. Mit 12 fing sie an, selbst zu kochen und stellte fest: Doch, wenn es richtig gut gemacht ist, dann schmeckt es ihr doch. Aber eben nur dann. Fluch und Segen, mit eine großen Talent für Sensorik geboren zu sein.
„Man genießt so ein Pairing genau so wie man Kaffee und Apfelkuchen isst“, erklärt die Brennerin. Das Bier ist der Kaffee. Der Genever der Apfelkuchen. „Man fängt mit dem Bier an um die Geschmacksknospen zu öffnen. Dann kommt ein kleiner Schluck Jenever dazu. Danach dann wieder das Bier.“
Wer sich im Oorlam für ein Jenever-Bier-Tasting entscheidet, bekommt eine Art Pass, auf dem er oder sie abhaken kann, welche Pairings schon verkostet sind. Keiner muss, und keiner sollte dringend, fünf Bier-Genever-Pairings auf Krawall an einem Abend austesten. Nicht, dass aus einem anständigen Herrengedeck nächstentags eine fiese Kopfnuss wird.