Die Geburtsstadt der Pilsner Brauart kann auch IPA. Und wie! Martin Droschke, der gemeinsam mit Elmar Tannert des Genussreiseführer „Bierland Pilsen“ verfasst hat, empfiehlt die besten Craft Beer Bars und Shops der westböhmischen Metropole
Francis – Brewhemian Beer Café
Ein Besuch des immerhin 160.000 Einwohner großen Pilsen sollte immer am Platz der Republik, dem von einer gotischen Kathedrale bewachten Herz der Altstadt, beginnen. Denn dort liegt das „Francis“, eine kleine Kneipe, von der man sagen kann, dass sie wiederum das Herz der Szene rund um Craft Beer in Pilsen ist. Betrieben wird sie von Adam Valek, der sich als Biervermittler sieht und sein Handwerk beim Giganten Pilsner Urquell gelernt hat. Die Karte des „Francis“ mag klein sein. In der Regel liegen gerade einmal drei Biere am Hahn. Aber die sind immer auch ein Crash-Kurs über die lokale Szene und ihre Eigenheiten. Wir lernen, dass hopfenbetonte Biere dominieren – Stouts und Schokoladen-Aromen finden in der Geburtsstadt des bitteren Pils nur wenig Anklang. Nicht selten werden im „Francis“ parallel drei India Pale Ales ausgeschenkt. Pilsens weiches Brauwasser ist eben perfekt, um mit massiven Hopfengaben zu jonglieren. Die wichtigsten Stammbrauereien, von denen sich Adam Valek in ständigem Wechsel beliefern lässt, haben keine eigene Gaststätte und keine festen Abnehmer. Drei Namen, die man sich merken muss: „Raven“, eine 2015 gegründete Brauerei, die ständig neue Sorten entwickelt. „Zhurak“, eine Brauerei aus dem Umland, betrieben von einem US-Amerikaner. Und „Joe’s Garage“, das Bierlabel des Brauanlagenbauers Josef Krýsl, einer Vaterfigur der tschechischen Craft Beer Revolution. Das „Francis“ liegt versteckt in einem Hinterhof, ist nicht leicht zu finden. Tipp: Stellen Sie sich die Ecke des Platz der Republik, wo es zum berühmten Brauereimuseum geht. Dann die Häuserzeile an der schmaleren Seite des Platzes entlanggehen und genau auf Schilder achten. Adam Valek ist auch der Kopf hinter dem Craft Beer Festival „Brewstock“, das am 26./27. August 2016 erstmals im ehemaligen Straßenbahndepot „Depot2015“ stattfand, sein Kollege Tomas Raboch hat mit „Enjoypilsen“ ein Reisebüro gegründet, das Craft Beer Fans mit Brauern zusammenbringt.
- Francis – Brewhamian Beer Café
- nám. Republiky 4/3, 301 00 Plzeň
- Mo. – Fr. ab 14 Uhr, Sa./So. ab 16 Uhr
- Webseite
- Deutschsprachige Craft Beer Touren zu Kleinbrauereien mit Degustation und Treffen mit Brauern
Beer Gallery Na Cepu
Noch interessanter als Pilsens Brauereimuseum, das von Pilsner Urquell betrieben wird, ist eine winzige Kneipe, die in der selben Straße liegt. In der „Beer Gallery Na Cepu“ finden keine 20 Personen Platz (eine Vergrößerung steht kurz bevor). Ausgeschenkt werden wechselnde Biere regionaler Kleinbrauereien, nur manchmal ist ein Pils dabei, stark gehopfte (India Pale) Ales dominieren. Bemerkenswert ist die Sorgfalt, die hier beim Temperieren und beim Zapfen an den Tag gelegt wird. Man spürt den einzigartigen Idealismus dere, die sich um Craft Beer in Pilsen sorgen. Um ihn zu verstehen, muss man ein wenig über die Biergeschichte der Region wissen. Vor dem 2. Weltkrieg gab es in Westböhmen rund 400 Brauereien. Im Zug der sozialistischen Planwirtschaft wurde das Brauwesen zentralisiert, 1989 waren nur noch zwei Sudstätten übrig: Plzenski Prazdroy (Pilsner Urquell) und Chodovar (bei Marienbad). Der Einstieg internationaler Investoren bei Plzenski Prazdroj bzw. die Übernahme durch SABMiller gilt vielen Tschechen als finaler Untergang ihrer Bierkultur. Die seit dem Jahr 2000 in immer größerer Zahl entstehenden Kleinbrauereien sind folglich auch ein Akt des Widerstands, betreiben die Rückeroberung der nationalen Identität. Dabei sind sie freilich nach vorne gerichtet: In Böhmen ist man in Sachen Experimente schon viel weiter als in Deutschland.
- Beer Gallery Na Cepu
- Veleslavinova 57/8, 301 00 Plzeň
- täglich ab 15 Uhr
- Webseite
Pilsner Urquell Na Splice/ Na Parkanu
Wer in Pilsen einen Krug „Urquell“ bestellt, wird positiv überrascht sein und sich den Eindruck nicht mehr ausreden lassen, dass die Rezeptur für den tschechischen Markt nicht mit der für den deutschen identisch ist. Es heißt nicht umsonst, dass eines der schlimmsten Fehlaromen, die einem deutschen Brauer unterlaufen können, im böhmischen Bier erwünscht ist: Anklänge von ranziger Butter. Dass die Weltmarke tatsächlich auch Weltklasse kann, erlebt der Gaumen bei einer Führung durch die gigantische Pilsner Urquell Brauerei. Sie endet in den historischen, schier unendlichen Kellern mit der Degustation einer im offenen Bottich vergorenen, im Holzfass gereiften und naturbelassenen Sorte, dem „nefiltrovaný ležák“. Diese sensationelle Variante der Mutter aller Pils-Biere wird häufig, aber nicht immer, auch in den zu Pilsner Urquell gehörenden Lokalen „Na Splice“ (im ehemaligen Gärkeller der Brauerei) und „Na Parkanu“ (beim Brauereimuseum) ausgeschenkt. Wegen ihr lohnt es sich dringend, diese ansonsten eher zweitklassigen Lokale aufzusuchen.
- Pilsner Urquell Brauerei (Plzenski Prazdroj)
- U Prazdroje 7, 304 97 Plzeň
- Führungen auf Deutsch: 13:30, 15:00 und 16:45 Uhr
- Webseite
- Na Splice
- auf dem Brauereigelände von Pilsner Urquell
- täglich ab 11 Uhr
- Webseite
- Na Parkanu
- Veleslavínova 59/4, 301 00 Plzeň
- täglich ab 11 Uhr
- Webseite
Modra Hvezda, Dobrany
Das wahre Bierparadies von Pilsen liegt rund 20 km außerhalb in der Kleinstadt Dobrany. In der dortigen Kleinbrauerei „Modra hvezda“ wird ein Lager mit 12° Stammwürze ausgeschenkt, dass als Meilenstein bei der Wiederbelebung der böhmischen Bierkultur gilt. Kreiert hat es Petr Petruzalek, der sich in die Top 10 der tschechischen Braumeister hervorgearbeitet hat. Neun seiner Kreationen liegen im Brauereigasthaus permanent am Hahn, hinzu kommt eine wechselnde Sorte, die die Lust Petruzaleks am Experiment unter Beweis stellt – zum Beispiel ein Brennnessel-Bier. Empfehlenswert ist es, viel Zeit mitzubringen und eine Degustation zu bestellen. Die Kellnerin bringt dann nacheinander alle Sorten in verträglichen 0,2 l Gläsern, aufsteigend nach Alkoholgehalt. Höhepunkt ist das „Svatý Vít“, ein 23° Stammwürze starkes India Pale Ale, dass den Mund zuerst mit dem Aroma einer ganzen Aprikosen-Plantage füllt, die dann den Tannennadel- und Harzaromen eines Frühlingswaldes weicht – zurecht preisgekrönt und legendär. Dazu ißt man am besten einen „Hermelin“, einen in Öl eingelegten Camembert, der klassische böhmische Bierimbiß. Man kann im Braugasthof übernachten, von Pilsen aus besteht eine gut getaktete Zugverbindung.
- Modra hvezda
- náměstí T. G. Masaryka 159, 334 41 Dobřany
- Mo. – Fr. ab 10 Uhr, Sa./So. ab 11 Uhr
- Webseite
U Bizona, Cizice
Schon bessere Zeiten gesehen hat das Braugasthaus von „U Bizona“ im kleinen Dorf Cizice etwa 30 Autominuten südlich von Pilsen. Wie viele böhmische Kleinbrauereien, versteckt sich auch dieses Highlight in Sachen Craft Beer in Pilsen in einem Gebäude aus sozialistischen Tagen, das niemand mehr haben will. Egal, denn die Biere lassen vieles vergessen. Spezialität dieser Kleinbrauerei sind – neben dem unvermeidlichen traditionellen Lager mit 12° Stammwürze – Hopfengestopfte amerikanischen Stils. Vorsicht: Es geht rustikal zu und die Dorfbewohner, für die das „U Bizona“ ihr Wohnzimmer ist, machen sich gerne einen Spaß daraus, dass man kein Wort Tschechisch versteht, und laden zur Schnapsrunde – in Erwartung, dass man auch eine schmeißt. In Pilsen betreibt die Brauerei etwas außerhalb des Zentrums ein Stadtlokal. Weit weniger Kultverdächtig, dafür kann man sich dort in Ruhe durch die breite Kollektion degustieren.
- U Bizona
- Cižice 76, 330 29 Plzeň
- täglich ab 14 Uhr
- Stadtlokal in Pilsen: Klatovská 63, täglich außer Sonntag ab 15 Uhr
- Webseite