Aufs Land: Die Begeisterung für gutes Bier weht aus den Städten in die Provinz. Immer öfter trauen sich Unternehmer, in ihrem Dorf, ihrer Gemeinde, auf ihrer Scholle was mit Bier zu machen. Auch wenn die klein ist. Christian Temme zum Beispiel hat mit dem „Braustättchen“ in Knesebeck einen Pop-Up-Store und Bier-Eventlocation gestartet.
Knesebeck, sagt Christian Temme, ist ein ganz toller Ort.
Knesebeck hat etwa um die 2.700 Einwohner und liegt am Südrand der Lüneburger Heide. Zwischen Uelzen und Wolfsburg. Ein bisschen im Nichts. Vor der Wende Zonenrandgebiet. Seit der Wiedervereinigung das Tor zur Altmark.
Toll ist Knesebeck vor allem deshalb, weil es sich hier prima leben lässt. Hier gibt es gute Arbeit und bezahlbaren Wohnraum. 30 Kilometer sind es nach Wolfsburg zu VW und am Ort selbst gibt es einen Edelstahlhersteller, der viele Fachkräfte beschäftigt. Es gibt in Knesebeck einen ganzen Haufen Vereine und fast jeder ist in irgendeinem aktiv. Eine gesunde, lebendige Dorfgemeinschaft, wenn man so will.
Einziges Problem in Knesebeck ist das Bier. Hier trinkt man Pils. Sonst nichts. Und das relativ gedankenlos, so nebenbei und viel, zum Beispiel beim Schützenfest. Meistens kommt das Pils von der lokalen Brauerei aus Wittingen, die hier natürlich jeder kennt.
Wenn man nun schreiben würde „Christian Temme ist angetreten, das mit seiner Bier-Verkostungs- und Verkaufslocation Braustättchen zu ändern“ – dann wäre das schön, aber irgendwie auch nur ein kleiner Teil der Geschichte. Denn wenn man sich entscheidet, den Gospel vom guten Bier aufs Land zu tragen, dann muss man natürlich Chancen und Risiken abwägen.
- Chance: Hier gibt’s nix. Tausende kleine Dörfer, Städte und Gemeinden in Deutschland haben keine eigene Brauerei vor Ort. Da gibt es kein besonderes Bier zu kaufen. Da fehlt jede Spur von Craft Beer oder Bier von hier. Das ist natürlich eine Chance für jeden, der hier gutes Bier verkauft, sei es, weil er hier eine Brauerei starten oder einen Bierhandel einrichten will.
- Chance: „Bier von hier“ ist das Stichwort. Killerargument. Bei wenigen Dingen zeigen die Menschen so gern einen gewissen Lokalpatriotismus wie beim Bier. Und: Die Idee von „locally brewed“ passt zum Zeitgeist, die Rückbesinnung auf das Gute, das so nah liegt. So nah, dass es nicht der Amazon-Bote bringen muss. Ist besonders im Foodbereich ein wichtiges, wertvolles USP. (Und um noch mehr ins Detail zu gehen: Beim Bier kann man so eine schier konkurrenzlose Frische garantieren, die Supermarktbiere einfach nicht anbieten können.)
- Risiko: Es sind nicht viele. Der lokale Markt ist natürlich begrenzt. Sonst wäre es ja nicht der lokale Markt. Reicht das also? Wie weit will ich wachsen?
- Risiko: Mögen sie das wirklich? Kommt Craft, kommt gutes und besonderes Bier auf dem Land so gut an, wie es soll?
Man kann freilich auch immer schauen, wie sie es anderswo so machen, ob und wie Bier in ländlichen Regionen, fern der Großstädte und Metropolen in anderen Ländern funktioniert. Und siehe da: Gut!
In Großbritannien hatte laut eines Artikels im Guardian 2018 jede dritte Craft Brewery einen eigenen Brewpub, in dem oftmals große Teile der Produktion verkauft wurden. Es macht wirtschaftlich viel Sinn, das eigene Bier selbst zu verkaufen. Und es wird offenbar gut angenommen.
In den USA ist der 20-Mile-Radius für Craft Breweries die entscheidende Größe, hier machen viele der über 5.000 amerikanischen Brauereien, von denen wir hier in Deutschland die allermeisten nicht kennen, weil sie eben lokal agieren, den Hauptteil ihrer Geschäfte. Und das gilt freilich auch für Brauereien in Indiana, Idaho, Wyoming, Kansas, das Hinterland von Washington – denen in der Provinz, also.
Christian Temme beschloss nun also vor etwa eineinhalb Jahren, die Sache mit dem Bier auf dem Land auszuprobieren. Er hatte die Chance, eine ehemalige Scheune in seinem Heimatort und Elternhaus zu übernehmen und so beschloss der Chemiker, der hauptberuflich im Bereich Bierrohstoffsicherheit arbeitet, zuzuschlagen, den Ort zur Eventlocation auszubauen und alle paar Wochen Bierverkostungen und Foodpairings mit bis zu 25 Teilnehmern anzubieten. Nach neun erfolgreichen Sessions schließt er nicht aus, dass irgendwann in naher Zukunft auch ein Sudhaus ins Braustättchen einzieht.
Christian, wie schwer ist es, ein für eine solche Region neues Thema wie Craft oder gutes Bier zu etablieren?
Die Besonderheit freilich ist die Exklusivität: Man ist an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, ein bisschen wie ein Marktschreier. Es muss also alles passen. Am Anfang kann man sicherlich erst einmal mit denen punkten, die man kennt. Das ist ein Vorteil auf dem Land: Man kennt sich. Da fremdeln alle weniger. So haben wir die ersten Tastings voll bekommen. Und dann muss man schnell viel lernen. Der Anfang ist eine Art Marktstudie: Wer ist bereit in diesem lokalen Markt für Bier und Genuss Geld auszugeben? Und welche Biere kann man den Menschen hier tatsächlich zumuten?
Und das Ergebnis deiner Marktstudie war, dass der Hyperlokalmarkt funktioniert?
Ja, der kann in Sachen Bier funktionieren, hat er ja früher schon, Bayern macht es vor mit den Dorfbrauereien, die ausschließlich um den Kirchturm herum verkaufen. Aber man muss ihn auch sehr gut kennen und wissen, was man wem wo und wann anbieten muss. Da habe ich viel gelernt und musste auch Rückschläge einstecken. Ich habe Zielgruppen erlebt, bei denen ich dachte, das muss doch klappen – tat es aber nicht. Dass muss man schnell annehmen und anders weitermachen.
Unterscheidet sich das Bierinteresse in der Stadt von dem auf dem Land? Sind das quasi andere Personas, die man auf dem Land anspricht?
Definitiv. Bierinteressierte aus der Stadt und solche auf dem Land sind kein Vergleich – denn im Zweifel wissen sie auf dem Land noch gar nicht, dass sie bierinteressiert sind. Man trinkt zwar gerne Bier, aber weiß nicht, dass es mehr gibt als Pils. So bin auch ich groß geworden. Nun lebe ich in Hamburg und weiß, wie anders die Lage dort ist: Da kam man in den vergangenen Jahren am Thema (Craft) Bier nicht vorbei, da hat mittlerweile jeder mitbekommen, dass es mehr gibt als den bisherigen Standard, Pils aus dem Getränkemarkt.
Kann ja ein Vorteil sein, wenn man hier überhaupt erstmal aufzeigen kann, was es neben Pils alles gibt. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele sagen, ach das ist ja spannend, da gehen wir mal hin. Aber wenn sie da waren, haben sie einen Haken dran. Wie hält man die Begeisterung?
Das hängt sehr von der Leistung ab, die ich beim Tasting vollbringe. Ich hatte kalkuliert, dass zwei von zehn hängenbleiben, also wiederkommen, in den Lagerverkauf, was Neues probieren, wenn ich eine neue Sorte habe und so weiter. Und das kommt auch ungefähr hin. Allerdings bleibt es dann schwer, denn wenn die Stammkundschaft aufgeschlaut ist, will sie mehr, während Neue da sind, die erst noch erfahren müssen, was ein hopfengestopftes Lager ist. Da muss ich mittlerweile zwei verschiedene Gruppen bedienen. Aber das macht auch den Reiz aus.
Hätte das Konzept Braustättchen auch in der Stadt funktioniert?
Mir war die Atmosphäre wichtig, diese alte Scheune mit Fachwerk und so – so etwas geht ja gar nicht in Hamburg. Oder zumindest nicht mit den Mitteln, die wir uns vorgenommen hatten. Aber: Die Blaupause ist da, das könnte man Copy und Paste auch anderswo machen.
Was kommt als nächstes?
Erstmal feiern wir 1-jähriges Jubiläum. Am 02.03. machen wir dafür ein gemeinsames Event mit den Hobbybrauern aus Hannover und einem Bio-Galloway-Betrieb, der leckere Burger brutzelt. Für die Verkostungen wäre der nächste logische Schritt dann ein neues Veranstaltungsmodell für Fortgeschrittene. Daran arbeite ich.