Jan Kemker liebt das Münsterland, die Landwirtschaft und gutes Bier. Sein Steckenpferd: die Renaissance alter und alternativer Bierstile.
Die letzten 50, wenn nicht sogar 100 Jahre war Bier ein industrielles, Wein dagegen ein landwirtschaftliches Thema. Das möchte Brauereigründer Jan Kemker ändern. Seine Biere sollen so eng wie möglich mit der regionalen Agrarkultur verbunden sein. Mit seinem Erstling STADT LAND BIER hat der Brauer daher die ganze Region in eine Flasche gepackt. Der Brauprozess ist ursprünglich gehalten und geht wie folgt: Fermentiert wird mit der Hauskultur aus unterschiedlichen Hefen (Saccharomyces, Brettanomyces) und Milchsäurebakterien. Nach der Gärung wird STADT LAND BIER hopfengestopft mit europäischen Aromahopfen. Seine Interpretation eines historischen Tafelbiers. „Ein Bier, das du auf dem Land oder in der Stadt trinken kannst, ohne dass es dich überfordert, aber trotzdem spannend ist“, hält Jan stolz fest.
2008 hat der gebürtige Münsteraner den Braukessel für sich entdeckt. Anfangs als Hobby im Keller seines Elternhauses. 2014 hatte er zum ersten Mal die Idee, dass das Hobby auch zum Beruf taugen könnte. „Ich studiere im Master Agrar- und Lebensmittelwirtschaft, das passt schon zusammen“, erzählt er. Aber seine Professorin riet ihm, die Sache nochmal zu überdenken. Die Idee landete erstmal wieder in der Schublade.
Ein Faible für historische Bierstile
War gut so, findet er im Nachhinein. „Damals wollte ich noch Pale Ale und andere Standardbiere brauen. Da wäre ich einer von vielen.“ Stattdessen reift in Jan die Idee, alte und alternative Bierstile wieder zum Leben zu erwecken. Dieses Mal lässt er sich nicht davon abbringen, sondern legt los.
Seit Januar 2017 braut der 28-Jährige in einer Braustätte in Lienen, einer Gemeinde zwischen Osnabrück und Münster. Besonders historische Bierstile haben es ihm angetan. Manchmal versinkt Jan im Blog Hors Catégorie Brewing des US-Amerikaners Dave Janssen. Der Hobbyhistoriker beschäftigt sich dort intensiv mit alten Bierstilen und deren Herstellung. Jan ist gepackt und denkt sich: Sollte man nicht das Münstersch Alt wiederbeleben? Sollte man!
Das Münstersch Alt wiederbeleben? Unbedingt!
Dieser Bierstil ist im Vergleich zu seinem niederrheinischen Bruder fast in Vergessenheit geraten. In Dortmund schenkt jede Bar Altbier aus. In Münster … nun ja. Vom Geschmack, so vermutet er, muss das Münstersch Alt Gemeinsamkeiten mit Lambik und Berliner Weisse gehabt haben. In alter Literatur wurde dem Alt sein weinartiger Charakter und die bekömmliche Säure zugesprochen. Inzwischen reifen die ersten Altbiere schon seit über neun Monaten im Barrique. Noch in diesem Jahr sollen sie abgefüllt werden. Hetzen lassen will er sich bei aller Vorfreude allerdings nicht. Geduld ist das Gebot der Stunde: „Das Bier sagt dir, wenn es fertig ist.“ Auch zwei verschiedene Berliner Weisse sind bereits gebraut. Die erste heißt MIA, genau wie Jan Kemkers Goßtante. Er hat das Bier anlässlich ihres 90. Geburtstags gebraut und in Champagnerflaschen abgefüllt. „Ehrensache, dass ich meiner Großtante ein Bier widme“, sagt Jan. Na gut, und Berlin Beer Week 2017 war auch gerade.
Gleich zwei Berliner Weisse
Für das Etikett hat er mit dem Münsteraner Künstler Till Lenecke zusammengearbeitet. Ein Kinderfoto von Mia aus dem Jahr 1932 bildet den Mittelpunkt. Umrahmt ist es von krakeliger Handschrift. „Das sticht heraus“, sagt Jan, „und das ist vor allem im direkten Kontakt mit potenziellen Kunden wichtig.“ Nicht nur bei MIA legt der Brauer Wert darauf, dass seine Bierflaschen besonders aussehen. Das Etikett auf STADT LAND BIER zum Beispiel rinnert an ein Weinetikett, auf der Aquarellzeichnung sind die beiden Türme des Münsteraner Doms zu erkennen.
Inzwischen hat der Brauer schon die nächste Berliner Weisse auf Flaschen gezogen: Prumen – bis zum Platzen voll mit dem Aroma von Zwetschgen aus Ibbenbüren. In großen und kleinen Champagnerflaschen von Hand abgefüllt, wie es eben bei einer richtigen Manufaktur der Fall ist. Jan finanziert seine Aktivitäten bisher komplett selbst. Die Unabhängigkeit von Investoren sieht er dabei als großen Vorteil. Er muss nur auf die Qualität der Biere Rücksicht nehmen, nicht auf Dritte. „Gerade Biere mit langer Reifezeit in Holzfässern sind sehr zeitintensiv. Da kannste keinen Kapitalgeber brauchen, der dir ständig auf die Füße tritt.“
Die Landwirte kennt Jan Kemker persönlich
Seine Rohstoffe kommen soweit möglich aus der Region, das gilt sogar bei einem gewissen Anteil für den Hopfen. Die zugehörigen Landwirte kennt der Brauer persönlich und die Zusammenarbeit klappt bisher sehr gut. Zu abgehoben muss es gar nicht sein, wichtig ist, dass sich die Menschen angesprochen fühlen. Das funktioniert. Die Resonanz von Gelegenheitstrinkern bis hin zu Bieraficioandos ist durchweg positiv. So positiv, dass sich Jan ernsthaft mit einer Vergrößerung seiner Braukapazitäten beschäftigt. Anfragen wegen Lieferengpässen absagen zu müssen, schmeckt ihm gar nicht. Für die Zukunft hat er mehr als genug Pläne. Was Biersorten angeht, soll es in jedem Fall ein dunkleres Bier geben. Darüber hinaus finden sich auf der Zutatenliste für künftige Sude Beerenobst, Dinkel und Schwarzhafer. Also alles, was das Münsterland so hergibt. Titelfoto: Martijn van Dam