Der Verein „Berliner Weisse Kultur“ hat den Berliner Weisse Gipfel wiederbelebt – und erweitert. Hier werden nicht nur Berliner Biere und nicht nur die Weisse gefeiert, sondern so ziemlich alles, was wild und sauer ist. Dafür reisen Brauerinnen und Brauer aus der ganzen Welt an.
Berlin, das ist da, wo sie immer alle hinwollen, ohne dass wirklich klar ist, warum.
Außer vielleicht, wenn es ausnahmsweise mal um eine wirklich und ganz echte Berliner Erfindung geht, etwas original Berlinerisches, das die Stadt nicht im Laufe der Geschichte verscherbelt oder sonst wie aus Versehen zugrunde gerichtet hat. Oder zumindest nur beinahe. Die Berliner Weisse nämlich.
Dass die ausgerechnet hier in Berlin gewürdigt, gefeiert und sorgsam in Ehren gehalten wird, ist nur wohl und recht.
So hat sich also vor etwas mehr als zwei Jahren hier der Berliner Weisse Kultur e.V. gegründet, ein Zirkel, in dessen Zentrum eineinhalb Hände voll Berliner Bierprominenzen stehen, unter anderem Ulrike Genz von der Schneeeule und ihr Mann Andreas Martin, Stefan Krüger, Organisator der Berlin Beer Week, Hendrik Sell, Chef des Beereau (ehemals Berlin Beer Academy), auch Oliver Lemke (Brauhaus Lemke) gehört dazu, Sylvia Kopp, Autorin und Biersommelier und Ursprungsgründerin des Gipfels, sowie Franz Pozelt, Bierliebhaber und Slow Food Deutschland Mitmischer.
Ziel des Vereins ist es, Wissen und Verständnis um und für die Berliner Weisse zu fördern, immer, eigentlich, aber insbesondere rund um den Berliner Weisse Gipfel, der am 1.Juni 2019 stattfindet. Da werden 25 Brauereien aus mindestens fünf Ländern Berliner und entsprechend nicht-Berliner Weisse ausschenken, fast 50 Biere sind angemeldet, bis zu 600 Besucher, also Leidenschaftsbiertrinker, werden im Silent Green in Berlin-Wedding erwartet. Am Vortag findet dazu in den Räumlichkeiten der VLB das Berliner Weisse Symposiums für Brauerinnen und Brauer statt.
Wobei: So ganz allein und ausschließlich nur um die Berliner Weisse geht es eigentlich bei aller Berlinerei nicht.
Franz, was sind das denn für Biere, die auf dem Berliner-Weiße-Gipfel ausgeschenkt werden?
Franz Pozelt: Alles in allem sind es Berliner Weiße und andere, wilde, saure Biere. Bei der Berliner Weißen unterscheiden wir allerdings auch. Die Original oder Traditionell Berliner Weiße wird in traditioneller Weise in Berlin gebraut, wobei wir als Berlin alles definieren, was man in zwei Stunden zu Fuß von der Stadtgrenze aus noch erreichen kann. Alles andere, was in traditioneller Weise, aber außerhalb dieses Gebietes gebraut ist, ist dann eine Berliner Weiße „traditional style“. Und was nicht traditionell, also nur mit Milchsäure und ohne Brett gebraut wird, egal wo, ist dann „Berliner Weisse Style“. Früchte und Kräuter sind uns aus historischen Rezepten nicht bekannt – aber bei uns schon erlaubt.
Und welche anderen Wilden sind da?
Franz Pozelt: Die unterschiedlichsten Sachen, von der Brauerei Nevel in den Niederlanden, zum Beispiel. Die machen gar keine Weiße, aber lauter saure, wilde Biere. Felix vom Endt von Orca Brau bringt saure Sachen mit, die keine Berliner Weißen sind. Oder Jan Kemker, der kommt auch mit anderen wilden und spontanen Bieren zum Festival zu einer Veranstaltung in unserem Rahmenprogramm mit dem Titel „Brotzeit und Wilde Biere“. Da werden wir von ihm das Münstersch Alt präsentiert bekommen. Für die Brotzeit bringt er selbstgebackenes Sauerteigbrot aus historischem Braumalz, Wurst und Käse aus dem Münsterland mit. Dieses Rahmenprogramm ist übrigens wirklich gut und tiefschürfend.
Weil es Euch als Verein ja vor allem darum geht, das Wissen um die Berliner Weiße zu fördern. Die ja so gemeinhin oft ein bisschen verkannt wird. Oder: wurde. Welche Vorurteile stören Euch besonders?
Franz Pozelt: Ich persönlich bestreite ja diese Champagner-Legende. Also die, dass die Hugenotten, als sie nach Berlin kamen, die Weiße als den „Champagner des Nordens“ gefeiert haben. Denn erstens wurde der Champagner, wie wir ihn kennen, im Haus Veuve Cliquot um 1813 erst erfunden. Und zweitens rekrutierten sich die Hugenotten in Preußen vor allem aus mittellosen, arbeitsamen, handwerklich und kaufmännisch qualifizierten Einwanderern, ich kann mir also nicht vorstellen, dass ausgerechnet die mit diesem edlen, ganz neuen Getränk schon so viel in Verbindung brachten. Ich denke, wirtschaftliche Erwägungen bewogen sie zu Beginn des 18 Jahrhunderts Brauereien zu gründen.
Und dann ist da freilich immer noch die Sache mit dem Sirup. Das ist ja aber fast schon Standard. Eine gut gemachte, komplexe Berliner Weiße trinkt man besser pur.
Hendrik Sell: Ich würde das relativieren. Alles kann, nichts muss. Wenn jemand Sirup will, kann der schon rein – aber vielleicht ein natürlicher Sirup. Oder so wie Schoppe das gemacht hat mit dem „Sauren Nick“. Da hat er den Waldmeister direkt mitverbraut.
Franz Pozelt: Das stimmt. Früher, zu Beginn des Jahrhunderts, wurde die Berliner Weiße gern mit Pomeranzenlikör getrunken. Ein In-Getränk jener Tage. Klingt auch gar nicht so schlecht. Oder natürlich die Berliner Strippe, die mit dem Kümmelschnaps. Damit hat man früher der eher leichten Berliner Weiße mehr Wumms verpasst. Die Säure und das leicht Bittere des Kümmels passen überraschend sehr gut zusammen.
Hendrik Sell: Brewbaker hat letztes Jahr zur Flaschengärung Waldmeister-Likör in die Flasche gegeben. Das war auch eine klasse Idee!
Vielleicht noch ein Tipp für Sauer-Bier-Skeptiker, ihre Skepsis zu überwinden?
Franz Pozelt: Sauerbiere sind so vielfältig und komplex, meiner Meinung nach sogar mehr noch als Wein. Das ist also ein wirklich spannendes Feld. Man muss auch wirklich keine Angst vor der Säure haben – Berliner Weisse kommt in unterschiedlichsten Säuregraden daher, und auch mit ganz verschiedenen Säurearten. Und was nicht schaden kann, ist eine deftige Grundlage. Danach lässt sich wunderbar Saures verkosten.
Auf einen Blick
Berliner Weisse Gipfel
1. Juni 2019, 12:30 – 21 Uhr, Silent Green, Berlin-Wedding
25 Brauereien, über 50 Biere und ein spannendes Rahmenprogramm
Tickets ab 7,50 Euro
Alles Details und Karten hier